14. Sonntag nach Trinitatis (02. September 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer im Amt für Kirchenmusik Frieder Dehlinger, Tübingen [Frieder.Dehlinger@elkw.de]

1. Thessalonicher 1, 1-10

Liebe Schwestern und Brüder,

Paulus lobt.
Ich staune, wie sehr Paulus die Gemeinde lobt. In den höchsten Tönen!
Wir sind so dankbar!
Ihr seid ein leuchtendes Vorbild!
Stark im Glauben seid ihr, tüchtig in der Liebe,
geduldig in der Hoffnung.
Ja, ihr seid unsere Nachfolger, noch mehr: die Nachfolger Christi!

Mensch, die müssen toll gewesen sein, die Christen damals ums Jahr 50 in Thessalonich, dass Paulus sie so überschwänglich rühmt und lobt!

Wenn wir heute hier, unsere Gemeinde, doch nur auch ein bisschen toll wären. Ob Paulus bei uns auch etwas zu loben fände?
Wir, wir sind halt nicht so toll. Wir sind schon immer da, hier, mitten im Ort, selbstverständlich, alltäglich,
Mutter Kirche, ewig alt,
wer hört noch deine Glocken,
wer sieht noch in deinem Turm
den Hinweis auf unsere Bindung zum Himmel.

Toll findet unsere Gemeinde kaum einer, oder?
Meist gehen die meisten an uns vorbei:
„Gut das ihr da seid, aber ich brauch euch nicht.“

In Paulus‘ Brief nach Thessalonich: ein Überschuss an Frömmigkeit,
eine Lobeshymne für seine Gemeinde.
Bei uns: wachsende Unsicherheit. Unsere Gemeinden werden kleiner.
Viele wissen nichts mehr von der Religion ihrer Mütter und Väter,
die Zeit geht über uns hinweg.

Das heutige Thessaloniki im Norden Griechenlands zwischen Bergen und Meer ist heute die zweitgrößte Stadt Griechenlands. Wikipedia zählt ein Dutzend uralter hochbedeutender christlicher Kirchen auf, die zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören, mit wunderbaren Mosaiken und Malereien.
Zeitweise gab es zwanzig Klöster in der Stadt.

Damals aber waren die Christen in Thessalonich nur ein kleiner Haufen.
Paulus hat die Gemeinde auf seiner zweiten Reise ums Jahr 50 gegründet. Er reiste dann weiter – und schrieb bald nach seiner Abreise der jungen Gemeinde diesen hochgestimmten Brief.
Nach außen, nehme ich an, war in der alten Stadt von der jungen christlichen Gemeinde noch nicht viel zu merken.
Es ist nicht der äußere Schein, den Paulus lobt.

Nicht die tollen Kirchen und die vielen Klöster,
die kamen erst später,
und von den zwanzig Klöstern ist heute nur eines noch übrig.
Es ist auch nicht die Macht oder der Einfluss
oder der Wohlstand der Gemeinde, die Paulus lobt.

Nein, Paulus lobt ihren Glauben. Er lobt ihre Liebe. Er lobt ihre Hoffnung.
Da, liebe Schwestern und Brüder, da, meinen Sie nicht auch, da würde Paulus bei uns doch auch etwas zum Loben finden, nicht wahr?

Das Werk im GlaubenDer Glaube. – Moment, da steht:
„Wir gedenken ohne Unterlass vor Gott an Euer Werk im Glauben.“
Ist das Paulus? Werke und Glauben in einem Satz?
Haben wir nicht durch Martin Luther von Paulus gelernt, dass allein der Glaube zählt und die Werke zu nichts nutze sind?
Jetzt lobt Paulus hier die Werke im Glauben.
Und hat er nicht recht?
Unser Glaube soll in der Liebe tätig werden.
Glaube ohne Liebe ist tot.

Und die Liebe, die Christus uns Christen lehrt, ist nicht die kleine Liebe.
Wir sollen Gottes Liebe leben, seine große Liebe zur ganzen Welt, zu allen seinen Kindern, zu jedem Gottesgeschöpf.
Paulus, wenn er Spuren dieser großen Gottesliebe bei uns findet, und Werke, konkrete Taten der Liebe, er würde uns loben, gerade so wie er vor knapp 2000 Jahren die junge christliche Gemeinde in Thessalonich gelobt hat.

Die Arbeit in der LiebeGlaube und Liebe.
Paulus schreibt: „Wir denken ohne Unterlass vor Gott an eure Arbeit in der Liebe.“
Ohne Unterlass, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben.
Aber Arbeit in der Liebe. – Ich stolpere schon wieder. Ist Liebe nicht etwas, was sich spontan ereignet?
Ich sehe ein kleines Kätzchen – und das Herz geht mir auf!
Der junge Mann trifft beim Tanzen eine Frau, die strahlt und sprüht und lacht, und ganz von allein verliebt er sich. Und sie finden sich. Und die Liebe ist groß!
Muss nicht so Liebe gehen: spontan, umwerfend, das Herz geht auf, großes Kino, ganz von allein?

Paulus aber lobt und sagt: Ich lobe eure Arbeit in der Liebe. Arbeit in der Liebe. Beziehungsarbeit. Das klingt trocken, mühsam. Wer will das schon?
Heute ist es eher möglich, aus einer schwierigen Beziehung wegzugehen.
Früher ging das kaum.
Dieses Mehr an Freiheit – Freiheit, wegzugehen – bringt mit sich ein Mehr an Verantwortung, dass ich verantwortliche Entscheidungen treffe.
Ich bin freiwillig mit meiner Ehefrau zusammen.
Ich bin freiwillig in meinem Sportverein. Ich kann morgen kündigen.
Ich bin freiwillig in der Kirche. Ich könnte auch zuhause bleiben.
Ausschlafen. Das Bad putzen. Meinen Facebook-Account polieren.
Walken gehen. –
Ach, es gibt so viele gute Möglichkeiten für einen Sonntag-Vormittag.
Sie sind heute hier im Gottesdienst.
Freiwillig. – Das ist gut.
Verantwortung für mich und andere: damit tun sich viele schwer.

Arbeit in der Liebe. Natürlich ist Liebe Arbeit!
Wie klein die Liebe wäre, wenn nur unser spontanes Lieben da wäre.
Gott aber will, dass wir groß lieben:
dass wir uns in der Liebe üben,
dass wir unser Herz üben, diesen großen Menschheitsmuskel,
dass wir unser Herz weiten, so dass immer mehr reinpasst.
Immer mehr Vergebung, immer mehr Güte, immer mehr Großzügigkeit, immer mehr Liebe eben.

Und wenn‘s die Menschen uns schwer machen, sie zu lieben, und ja, sie machen es uns schwer – dann beginnt die Arbeit:
„Nehmt einander an, wie Christus uns angenommen hat zu Gottes Lob.“
Das wird Paulus erst Jahre später so aufschreiben in Römer 15,7:
Die Arbeit in der Liebe:
einander annehmen
zum Lob Gottes, des Vaters aller Menschen.

Weltuntergang und Zorn GottesWerk im Glauben, Arbeit in der Liebe.
Und als Drittes: Geduld in der Hoffnung.

Das ist etwas: Wenn wir im Neuen Testament lesen, dann schwingt dort in allen Texten, wirklich in allen! – die Erwartung mit, dass unsere Welt, wie sie ist, vergeht. Bald. Dass die Welt bald untergeht.
Ich wundere mich, wie die Menschen der Bibel darauf kamen,
dass ihre Welt untergehen könnte. Da war doch im Wesentlichen alles stabil:
kein Klimawandel, kein Artensterben,
keine atomaren Wahnsinnswaffen,
keine schleichende Vergiftung des Wassers,
kein zugemüllter Ozean, keine 7,5 Milliarden Menschen.
Das ist heute. – Aber damals – war da nicht alles stabil?
Wie auch immer, für die Menschen damals war es nicht stabil.
Viele glaubten, dass bald diese Welt endet und dass durch große Katastrophen wie durch Wehen eine neue Welt von Gott geboren wird.
Am deutlichsten beschrieben ist das im letzten Buch der Bibel,
in der Offenbarung.
Aber auch hier in unserem Brief schreibt Paulus:
„Wir warten auf Jesus, Gottes Sohn vom Himmel, der uns errettet von dem zukünftigen Zorn.“

Wenn in der Bibel Zorn Gottes steht, zucke ich immer zurück.
Geht es Ihnen auch so?
Vor allem andern offenbart die Bibel uns Gott als lieben Gott.
„Gott ist Liebe“, schreibt Johannes in seinem ersten Brief,
und Jesus spricht seinen himmlischen Vater mit Abba an, Baba, erstes Kosewort eines kleinen Kindes für die Eltern. Mutter, Vater, auf die es sich frag- und zweifellos völlig verlässt.
Abba, mein lieber Papa im Himmel.
Wenn Gott so ganz und gar Liebe ist, wie kann er dann Zorn sein?

Inzwischen denke ich immer öfter: Wenn Gott Liebe ist und sieht, wie wir hier mit seiner lieben Erde umgehen, dann muss er zornig werden.
Wenn Gott merkt, wie wir die Gebote, die er uns aus Weisheit und Liebe gegeben hat, um das Leben zu bewahren, – wenn Gott merkt, wie wir seine Regeln dauernd wegschieben, dann muss er doch zornig werden oder verzweifeln oder weggehen.

Geht Gott weg?
Für viele ist Gott weg.

Naja, wenn sich nun die Erde aufheizt, das Wetter wild wird und unsere Kinder die Rechnung dafür bekommen, dass wir die Kohle aus Jahrmillionen in 150 Jahren verheizt haben, ist das dann Zorn Gottes?

Und wenn unser menschliches Zusammenleben immer weiter auf dem Recht des Stärkeren aufbaut und Eigennutz und Korruption große Teile der Weltwirtschaft bestimmen, ist das dann Gottes Zorn, wenn Kriege und Gewalt mehr werden?

Zorn ist, was wir bekommen, wenn wir Gottes Gebot nicht folgen!
Oder anders gesagt: Zorn ist das, was wir aus eigener Kraft hinbekommen: Chaos und Zorn.

Gott gibt uns nicht Zorn. Er gibt uns Weisheit und Liebe.
Er lehrt uns seine Ordnung, damit wir nicht dem Zorn verfallen, sondern gut leben können.
Ob wir seine Weisheit annehmen und seine Gebot leben, das ist uns freiwillig.
Der Zorn ist, was bleibt, wenn wir Gott wegschicken.
Zorn ist, was sich ausbreitet, wenn wir Menschen die Arbeit der Liebe
und das Werk des Glaubens geringschätzen.

Geduld in der HoffnungPaulus hier interessiert sich nicht für den Zorn. Er spricht von etwas ganz anderem: nämlich vom geduldigen Hoffen und Warten der Gemeinde, dass Jesus Christus wiederkommt.
Und er spricht von der Rettung, von der Rettung aus dem künftigen Zorn.

Dass Christus wiederkommt aus dem Himmel.
Dass alle Menschen seine Wahrheit sehen.
Dass die Gier aufhört und die Gewalt.
Dass wir in Christi Reich Maß halten lernen, Frieden stiften,
dass unser Hunger und Durst nach Gerechtigkeit gesättigt wird,
dass wir in seinem Reich dann die Reinheit des Herzens bewahren
und Gott schauen,
dass, – selig sollen die sein – getröstet werden, die da Leid tragen,
und das Himmelreich erleben, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt wurden!
Wenn Christus wiederkommt aus dem Himmel.
Wenn wir die Rettung erfahren aus dem sich zusammenbrauenden Zorn.

Komm bald, komm Christus Jesus!
Und bis du kommst, durch alle Wehen hindurch,
üben wir uns hier im Lieben, dienen Gott und feiern Gottesdienst.

Paulus lobt.
Er lobt seine Brüder und Schwestern in Thessalonich in den höchsten Tönen,
lobt sie für ihren Glauben, für ihre Liebe, für ihre Entschiedenheit, für ihre Hoffnung:
Ihr habt euch bekehrt zu Gott,
habt euch abgewandt von den Abgöttern,
um jetzt dem lebendigen und wahren Gott zu dienen.
Ihr wartet auf seinen Sohn, Jesus,
den er auferweckt hat von den Toten,
dass er wiederkommt vom Himmel,
und uns von dem zukünftigen Zorn errettet. AMEN.

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