13. Sonntag nach Trinitatis (15. September 2019)
Markus 3, 31-35
3,31 Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen.
32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir.
33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder?
34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!
35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.
IntentionDie Predigt möchte zeigen, dass die Orientierung am Willen Gottes in der „wahren“ Familie Jesu ein riskantes Unterfangen ist.
FamiliendramaHeilige Familie? Keine Spur. Jesus hat die Bühne als erwachsener Mensch betreten, und gleich gab es Ärger. Weihnachten ist lange her: Erinnerung an die Geburt des Erlösers, geboren von der Jungfrau Maria. Gottesgegenwart auf einem Kindergesicht. Einmal im Jahr „Heilige Familie“! In ihr spiegelt sich die Sehnsucht nach heilen Familien, nach intakten Beziehungen, nach gelingendem Leben.
Heute, Mitte September, scheint es, als hätten wir das alles missverstanden. Jesu Mutter – sie wird nicht einmal beim Namen genannt! – und seine Geschwister haben ihn zur Rede stellen wollen. Die ganze Gegend war in Aufruhr. Die Leute haben sich entsetzt darüber, wie er aufgetreten ist, wie er geredet, was er sich erlaubt hat. Trotzdem sind sie gekommen, haben alles stehen und liegen gelassen – um ihn zu sehen, ihn zu hören, seine Nähe zu erleben. Seine Familie hat es hart getroffen: Unsere Nähe spielt für ihn keine Rolle mehr. Uns hört er nicht mehr zu. Uns sieht er nicht mehr. Sie wollten ihn ergreifen, ihn zurückholen unter die Gesetze der Familie. Das Recht der Familie stand über diesem Haufen dahergelaufener Leute, die das Haus vollgestopft haben, nur um ihren widerspenstigen Sohn und Bruder zu hören. Der hatte davon geredet, dass eine neue Zeit angebrochen sei und dass sie sich ändern müssten. Mutter und Geschwister haben ihn für besessen gehalten. Ein Kampf mit Worten, aber die Folgen treffen ins Mark. Was bisher gegolten hatte, galt plötzlich nicht mehr. Der Preis war hoch, die Luft im Haus zum Schneiden dick. Jesus hat seine Zuhörer benutzt, um sich die Verwandtschaft vom Leib zu halten. Draußen vor der Tür hat er sie stehen lassen, ihnen ausrichten lassen: Meine Mutter, meine Geschwister? Das sind ab sofort andere Leute. Meine Familie? In der neuen Zeit ist das die Familie derer, die den Willen Gottes tun. Was sollte eine Mutter – die Frau, die ihn geboren hat! – dazu sagen? Er hat nicht mehr alle beieinander. Das ist im Markus-Evangelium die erste Bemerkung über Jesu Familie: Sie erklärt ihn für verrückt.
Fremder JesusIst das ein normaler Konflikt unter den Generationen? Ist es der Kampf der rückwärtsgewandten Traditionalisten gegen ein fortschrittliches Verständnis von „Familie“? Eine Mutter, einen Vater, Geschwister zu haben: Ist das alles altmodisch, alttestamentlich, überholt von Jesus, der schon vor 2000 Jahren den Fortschritt gegen die Ewig-Gestrigen gepredigt und sie mit seinem Verhalten provoziert hat? „Normen und Werte“ soll die Kirche vermitteln – sagen die einen. Und sehen die „traditionellen Werte der Familie“ im Niedergang. „Kirche muss mit der Zeit gehen“ – sagen die anderen. Und sehen in der „Vielfalt der Lebensformen“, im bunten Flickenteppich der Beziehungen den Reichtum des Lebens. Festhalten am Althergebrachten – oder Aufbruch in die Grenzenlosigkeit der neuen Welt und ihrer Gotteskinder? Viele streiten darum, wer im Recht und wer Jesus auf seiner Seite habe.
Aber Vorsicht! Gerade diese Szene malt uns einen fremden Jesus vor Augen. Man mag lächeln über die hilflose Mutter, die zornigen Geschwister, denen nichts Besseres eingefallen ist, als ihn für verrückt zu erklären. Aber lächeln kann nur, wer sich selbstgewiss zu Jesu Füßen setzt – und wem es egal ist, dass Mutter und Geschwister den Sohn und Bruder nicht mehr verstehen. Es ist, als ob sie mit allem, was bisher richtig erschien, im falschen Film aufgewacht wären.
EntscheidungJesus hat es darauf angelegt, dass solche Dinge passieren. Immer wieder hat er Mitmenschen vor den Kopf gestoßen. „Sie entsetzten sich“, heißt es, wenn sie die Energie in seinen Worten gespürt und wenn sie geahnt haben: Sie würden sich ändern müssen. Zugleich aber hat er ihnen eine neue Welt vor Augen gestellt. Schaut euch um, hier in diesem Haus! Schaut euch gegenseitig an, so ist es im Reich Gottes: Schwestern und Brüder, ihr, in meiner Nähe! Die Familie der Kinder Gottes ist weiter, als alle Grenzen der Familienbande es zulassen möchten. Eine faszinierende Botschaft, ihr Echo hallt durch die Jahrhunderte.
Aber zugleich ist die neue Zeit der Grenzenlosigkeit, die Jesus angekündigt hat, zur Krisenzeit geworden. Die Umkehr, zu der er rief, hat die Gesellschaft gespalten. Da waren die Einen, die vor Begeisterung alles stehen und liegen gelassen hatten – und da waren die Skeptiker, die den Kopf geschüttelt haben. Damit sie das aushalten konnten, half es nur noch, den Ausreißer für verrückt zu erklären, den missratenen Sohn und Bruder zu maßregeln, ihn zurückzuholen. Der wiederum lebt längst in einem anderen Film, voller Hoffnung, voller Energie auf dem Weg nach dem Ziel: Reich Gottes heißt es. Mit ihm waren die unterwegs, die um ihn gesessen haben, um seine Botschaft von einer neuen Welt zu hören.
Begeisterung bei den einen – Ablehnung und offener Hass bei den anderen. Immer wieder fragen Menschen: weshalb die Ablehnung, der Hass? Kinder wollen wissen, weshalb er getötet wurde, da er doch ein „lieber Jesus“ war. In der Tat: Es ist nicht leicht, hinter seiner Schroffheit seine Liebe zu erspüren. Es macht Angst, alles stehen und liegen zu lassen und der Spur zu folgen, die dem Reich Gottes entgegenführt. Wenn Jesus schon seinen allernächsten Verwandten ein Fremder geworden ist, dann werden wir damit rechnen müssen, dass er auch in seiner neuen Familie Unverständnis, Entsetzen, Zorn auslöst: unter uns, in seiner Gemeinde, die seinen Namen trägt. Wenn es uns etwas kostet, den Willen Gottes zu tun, dann ist er nicht mehr so einfach der „liebe Jesus“ Wir spüren die Zumutung und wenden uns ab.
GefahrWohin führt die Spur, dem Reich Gottes entgegen? Woran haben die, die sich zwischen Jesus und seiner Mutter gedrängt haben, erkannt, dass sie die neuen Familienmitglieder Jesu waren? Die Szene ist nichts für Leute, die es toll finden, dass Jesus gegen seine Familie aufmuckt. Sie liefert keine Genugtuung daran, dass Jesus es den lieben Verwandten einmal so richtig gibt. Dass er den Pharisäern eins auswischt: alles schön und gut und oft gehörter Christenstolz, voller Selbstgewissheit gegen die Pharisäer, gegen die Altmodischen, gegen die Besorgten gerichtet. Aber wer spürt die Gefahr? Wer fragt in seiner Begeisterung, was Jesus zum Schluss sagt: Wer den Willen Gottes tut, ist mein Bruder, meine Schwester, meine Mutter? Hüten wir uns davon, allzu schnell Partei mit ihm zu ergreifen! Glauben wir nicht, das Familienleben in der neuen Familie der Unangepassten wäre leichter! Wir könnten uns irren. Das ist kein Spiel, bei dem wir unsere persönlichen Freiheiten ausprobieren könnten: frei von Rollen und Zwängen, endlich einmal „ich“ selber sein können. Als ob es cool wäre, dazuzugehören. Da steht Jesus, schaut in die Runde und proklamiert in grenzenloser Freiheit: Das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Gehören wir wirklich dazu?
Jesus hat diesen Weg mit dem Leben bezahlt. Seine Mutter, das muss jetzt gesagt werden: Sie hat unter dem Kreuz gestanden, sie war da! – Trotz allem, was zwischen ihnen gestanden hatte, einfach: weil sie seine Mutter war. Jetzt endlich wird sie auch bei ihrem Namen genannt: Maria, dazu auch die Namen seiner Geschwister: Jakobus, Joses. Keine Rede davon, dass andere Leute seine wahren Verwandten gewesen wären. Die nämlich, auch das muss gesagt werden: Die ihm zu Füßen gesessen hatten, sie waren weg! – Trotz aller Begeisterung über die neue Familie in seiner Gemeinschaft. Dass der Weg dem Gottesreich entgegen auch ans Kreuz führen könnte – das hatten sie nicht erwartet. Es musste so kommen: Auch Jesu neue Schwestern und Brüder wurden nicht davor bewahrt, voller Schrecken im falschen Film aufzuwachen. Am Ende ist Jesus der Einzige geblieben, der den Willen Gottes getan hat. Das meinen wir wohl, wenn wir beten: „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd´ der Welt, erbarm dich unser.“ So hat er auf sich genommen die Wut und die Ablehnung durch seine Verwandten. So hat er ertragen Verleugnung und Verrat seiner neuen Familie. Sie hatten in der Illusion gelebt, die Grenzenlosigkeit des Gottesreiches wäre ein Leben auf Rosen gebettet.
Den Willen Gottes tunAlso was heißt das: Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter - ? Es heißt wohl: dass wir Christenmenschen in der Orientierung an Jesus mit allem zu rechnen haben. Damit, dass es unbequem ist und gefährlich, zu seiner Familie zu gehören. Aber auch damit, dass wir selber im falschen Film aufwachen und erkennen, dass wir auf dem Holzweg waren. Wer steht auf der richtigen, hellen Seite, wer auf der dunklen, falschen? Wer erklärt wen für verrückt und muss am Ende einsehen, dass er es besser nicht getan hätte? Die Autorität, mit der Jesus auftrat, hat seine Mitmenschen erstaunt und entsetzt – eine Zumutung für alle! An ihr kommen wir auch heute nicht vorbei. Wer sich auf sie einlässt, weiß, dass die neue Familie Jesu ein großes Ziel vor Augen hat. Der Weg dorthin beginnt wohl immer wieder von vorn – so wie zu Anfang des Evangeliums Jesu Ruf zur Umkehr steht: Tut Buße, kehrt um, und glaubt an das Evangelium!
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