13. Sonntag nach Trinitatis (21. August 2016)
1. Johannes 4, 7-16
Liebe Gemeinde,
Sommermonate sind nicht nur die Zeit, Urlaub zu machen, zu verreisen und wieder zurückzukehren – oder wenn man zuhause geblieben ist, wahrzunehmen und vielleicht auch ein wenig zu genießen, wie alles ein wenig ruhiger verläuft. Die Sommermonate sind in der Natur die Zeit, in der etwas reift.
Zeit der Reife – auch für unsere GottesvorstellungenHeute, so meinen unsere Vorfahren in der Kirche, ist es Zeit, dass auch bei uns etwas reift und weiterwächst. Es ist unsere Vorstellung von Gott – und unsere Vorstellung davon, wie Gott und unser Alltagsleben zusammenhängen und zusammenkommen. Gott ist Liebe – und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Ich weiß nicht, welches Gottesbild Ihnen nahe ist. Welche Vorstellung von Gott Sie vielleicht schon seit Kindertagen in sich tragen. Gott wie ein Hirte, der für uns sorgt, der uns immer wieder an frische Auen führt. Gott wie eine Burg, bei dem wir Zuflucht finden können in den Stürmen unseres Lebens. Gott wie eine Stimme, die uns aus der Enge in die Weite führt. Die Bibel erzählt uns ja in vielen Bildern von Gott – und weiß doch, dass kein Bild Gott je fassen kann. Da gibt es die vielen personalen Gottesbilder. Gott als Gegenüber, ansprechbar wie eine Person. Wie ein himmlischer Vater, lehrt uns Jesus. Wie eine Mutter, die uns tröstet, sagt Jesaja.
Und dann gibt es all die Gottesbilder, die Gott nicht wie eine Person, sondern wie eine Kraft beschreiben. Die Psalmen sind voll davon: Gott, mein Licht. Ein Licht, das das Dunkel aufdeckt und Klarheit bringt. Gott – die Quelle des Lebens, Ursprung alles Lebendigen. Gott – wie Sonne und Schild, eine Kraft, die uns wärmt und wachsen lässt und die uns schützt, wenn es Angriffe gibt.
Und damit ist kein Wettbewerb ausgerufen, wer nun das richtige oder das schönste Gottesbild hat. Sondern die Menschen haben etwas erfahren, was sie gerne mitteilen wollen: So hat sich für mich Gott ereignet. Hier habe ich etwas erlebt, was von einer größeren Kraft zeugt. Eine Kraft, die uns zum Staunen oder vielleicht auch zum Erschrecken bringt.
Welches Gottesbild haben Sie eigentlich? Die Theologin Dorothee Sölle wurde oft so gefragt. Bestimmt über hundertmal von Journalisten, die es gerne schwarz auf weiß gehabt hätten. Ihre Antwort war: „Keines. Ich soll doch nicht! Mal dies, mal jenes. Vater oder Mutter oder Morgenglanz der Ewigkeit oder
d-moll-Klavierkonzert. Kommt drauf an, wo ich Gott treffe.“ (Sölle/Schottroff, Den Himmel erden, S. 83 in: kirchezumhoeren.de/archiv/3691.php ).
Erfahrungen mit Jesus Christus und unsere Gottesvorstellungen:
Gott ist Liebe – Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in GottDer heutige Predigttext zielt genau in diese Richtung. Die neutestamentlichen Briefe an die Gemeinden bringen ja alle die Erfahrungen mit Jesus ein. Seine Art zu leben, zu reden, zu handeln, für andere da zu sein. Sein Leiden an der Selbstgerechtigkeit der religiösen Führer, an der Ungerechtigkeit der politischen Machthaber. Sein Sterben. Und schließlich die Erfahrung von Auferstehung. All dies hat Menschen veranlasst, noch einmal ganz neu über Gott nachzudenken. Der Verfasser des Johannesbriefes kommt zu dem Schluss: Gott ist Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott – und Gott in ihm.
Es ist die Weite, die in diesem Satz steckt, die so erstaunt. Es ist diese eine Bedingung, genauer gesagt das Fehlen von vielen anderen Bedingungen, die wir eigentlich erwarten würden. Wer in der Liebe lebt – das ist das Entscheidende. Nicht: Wer sich zur Kirche zählt, wer unsere Glaubenssätze teilt. Nicht der Priester in der Geschichte vom barmherzigen Samariter, nicht der Levit, der kirchliche Angestellte, sondern der ausländische Samariter. Der, der nicht wegsieht, sondern hilft. Der wahrnimmt und sich einlässt auf das, was vor seinen Augen passiert. Und dann auch nicht alles selber macht. Aber Hilfe organisiert, um seinen eigenen Weg dann fortsetzen zu können.
Als Jesus in einem anderen Gleichnis Menschen in den Himmel schickt, waren diese ganz überrascht. Sie können gar nicht begreifen, warum gerade sie. Darauf sagt Jesus nur: Ich war krank, und ihr habt mich besucht. Ich hatte keine Kleider, und ihr habt mich bekleidet. Was ihr einem meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan. Oder, in der Sprache der Johannesbriefe: Wer in der Liebe lebt, der lebt in Gott, und Gott in ihm. Das ist der Schlüssel für alles: im Raum der Liebe leben. Nicht auf einer Insel, jeder und jede für sich allein, sondern in Verbundenheit, in Beziehung mit allem Leben: zu unseren Mitmenschen, zu unserer Umwelt, zu Gott. Wer liebt, lebt in Gott, im Einklang mit Gott. In dem ist Gott gegenwärtig. Dort ereignet sich Gott. Da berührt uns etwas. Kommt etwas dazu, was unsere Kraft übersteigt. Entsteht Lebensraum. Kommen Himmel und Erde zusammen.
Wie schaffen wir das: in der Liebe leben?Aber wie schaffen wir das: in der Liebe leben? Wenn der Druck im Alltag so groß ist, dass kein Platz mehr ist für die Liebe, sondern nur noch für das Funktionieren? Wenn uns der Egoismus der anderen erdrückt? Wenn wir überall um uns herum Augenzeugen sind von Unrecht und Gewalt – und wir einfach hilflos dastehen?
Johannes erinnert uns daran: Deshalb ist doch die Liebe Gottes sichtbar geworden. Wir sind nicht diejenigen, die lieben müssen. Die erste Botschaft heißt: Wir sind die, die geliebt sind. Es geht nicht darum, dass wir alles von uns abverlangen. Immer genau wissen, was richtig ist und was zu tun ist. Und wenn wir in eine Lebenskrise hineingeraten, selbst diese dann souverän meistern. Sondern, dass wir immer wieder neu, wenn ein neuer Tag beginnt, eine neue Situation auf uns wartet, zunächst diese Grundhaltung in uns spüren: Ich bin geliebt. Mit meinen Stärken, mit meinen Begrenzungen, die zu mir gehören, mit meinen Schwächen. Geliebt sein und Liebe weiterschenken als Schlüssel zum Leben. Als Lebenshaltung, die uns Christen ja im Vergleich zu allen anderen Lebenshaltungen am meisten überzeugt. Kein Lebensrezept, das uns verspricht, erfolgreich zu sein in unserer Gesellschaft. Aber das uns verheißt, glücklich zu sein. Selig.
Aber wo ist Gott, wenn so viel Leid geschieht?Aber wo ist denn Gott? – fragen dann auch wir uns immer wieder. Wo ist denn Gott, wenn so viel Leid geschieht? Wenn wir ihn nirgendwo sehen. Wenn so viel Missbrauch in seinem Namen getrieben wird. Es ist eine der großen Fragen. Auf akademisch-intellektueller Ebene. Auf der ganz existenziellen Ebene. Immer wieder neu stellt sie sich uns in den Weg. Johannes sagt: Gott ist überall dort, wo Menschen in Liebe leben. In der Liebe bleiben. Menschlichkeit leben. Füreinander da sind. Sich unterbrechen lassen, wenn der Mensch neben uns Hilfe braucht. Mit anpacken. Dort, wo wir nicht gleichgültig oder berechnend werden. Wo Barmherzigkeit wohnt. Paulus schreibt in 1.Korinther 13: Die Liebe trägt alles. Sie verträgt den andern. Sie lebt von der Aufrichtigkeit. Sie glaubt alles. Sie hofft alles. Sie wächst und wird größer.
Wenn wir uns untereinander lieben, dann ist Gott in uns gegenwärtig. Dann kommt Gott in unsere Welt. In unser Privatleben. Und doch nicht nur aufs Private beschränkt. Gott kommt als Liebe in alle unsere Lebensbereiche. Das politische und wirtschaftliche Wort für Liebe heißt Gerechtigkeit.
Was für eine Zusage wird uns heute an diesem Sonntag mitgegeben: „Wenn wir uns untereinander lieben, dann ist Gott in uns gegenwärtig.“ Nehmen wir diese Verheißung mit in die neue Woche. Lassen wir sie in uns wachsen und reifen. Lassen wir uns bescheinen von dieser Liebe. Lassen wir uns von ihr leiten. Stecken wir Gott nicht in eine gedankliche Schublade, sondern lassen wir uns überraschen, wo wir ihn in dieser Woche überall treffen. Amen.
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