11. Sonntag nach Trinitatis (11. August 2024)

Autorin / Autor:
Pfarrerin i.R. Irmtraud Fischer, Eberbach [i.fischer@evkibu.de]

Galater 2, 16-21

IntentionZiel der Predigt ist es, den Weg zu Jesus Christus als erste Wahl unseres Lebens zu weisen und Mut zu machen, aus seinem Geist zu leben – in dem Wissen, dass Gott allein das Urteil über uns zusteht.

PredigttextDoch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht. Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, sogar selbst als Sünder befunden werden – ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! Denn wenn ich das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter.
Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.

Liebe Gemeinde!
Superwahljahr 2024 – Europawahlen, Landtagswahlen, Präsidentschaftswahlen in den USA… Politiker reisen durch die Lande und werben für ihre Partei. Sie sprechen bei Wahlveranstaltungen. Sie verweisen auf ihre persönlichen Erfolge und Verdienste und die ihrer Partei.
Wie kommt das bei den Zuhörenden an? Heißt es nicht im Volksmund, dass Eigenlob stinkt? Gilt das auch für Wahlveranstaltungen?
Wohl nicht. Denn wer von dem spricht, was nicht gelungen ist, kann seine Sachen packen und gehen. Persönliche Stärke, Überzeugungskraft und Ausstrahlung zählen. Über Fehler wird nur geredet, wenn sie die anderen gemacht haben.
Eine Gemeinde sucht einen neuen Hausmeister und Mesner.(1) Gefragt ist einer, der über die Fähigkeiten verfügt, die die Gemeinde erwartet. Ohne Chance bleibt einer, der diese nicht vorweisen kann.
Überall braucht man Mitarbeiter, die ihrer Aufgabe gewachsen sind.
Doch Achtung: Wenn einer seine Qualitäten allzu vollmundig anpreist, werden wir skeptisch.
Wenn offensichtlich Schein und Sein auseinanderfallen, misslingt der Versuch, sich ins rechte Licht zu setzen.
Wie also gerate ich ins rechte Licht?
Offenbar ist mein Bemühen darum gar nicht allein entscheidend. Entscheidend ist, wie ich von anderen gesehen werde und wie deren Urteil über mich ausfällt.

Bei Gott gilt ein anderer MaßstabDas gilt nicht nur vor meinen Mitmenschen. Das gilt auch vor Gott – und das mag uns überraschen.
In der Schriftlesung haben wir Jesu Gleichnis vom „Pharisäer und Zöllner“ gehört (2). Beide gehen in den Tempel, um zu beten.
Der eine sagt: „Sieh, Herr, ich bin kein schlechter Mensch. Ich beute niemanden aus. Ich bin kein Betrüger. Meiner Frau bin ich treu. In der Fastenzeit verzichte ich konsequent auf Zigaretten und Alkohol. Meine Kirchensteuer zahle ich pünktlich und ohne zu murren.“
Ganz anders lautet das Gebet des anderen: „Herr, eigentlich dürfte ich nicht zu dir kommen, so, wie ich lebe; aber ich brauche dich. Lass mich deine Nähe spüren.“
Pharisäer und Zöllner sind zwei Menschen, die sich selbst unterschiedlich einschätzen, auch vor Gott. Oder sind es zwei Seiten in mir, die unverbunden nebeneinanderstehen? Wir neigen dazu, zwischen Überschätzen und Unterschätzen unseres Selbst hin und her zu wanken. Es fällt uns schwer, uns selbst realistisch einzuschätzen.

Wer bin ich?Kann ich Gottes Wohlgefallen verdienen? Sieht er mich so, wie ich mich sehe? Brauche ich mich also nur ins rechte Licht zu setzen?
Jesus zeigt, wie Gott die beiden ansieht: Der Zöllner, von seiner Selbsterkenntnis fast erdrückt, geht getröstet und mit neuem Mut davon.
Was kann der andere empfangen? Was kann Gott uns schenken, wenn wir ihm aufzählen, welche Freude er an uns doch haben muss?
Es kommt – so sagt Jesus – nicht darauf an, wie wir uns vor Gott darstellen, sondern wie wir vor ihm dastehen.
Diese Grunderfahrung macht Paulus, als ihm Jesus vor Damaskus erscheint.(3) Sein Leben verläuft fortan in völlig neuen Bahnen. Darum wird Paulus in seinen Briefen nicht müde zu betonen: „Wir wissen“, so schreibt er, „dass niemand dadurch Gottes Anerkennung findet, dass er tut, was die Gebote vorschreiben. Vor Gott kann nur bestehen, wer auf Jesus Christus vertraut.“ (4)
Das letztlich entscheidende Urteil über mein Leben fälle nicht ich selbst, leider – oder Gott sei Dank? Ich bin in meiner Beurteilung ganz auf Gottes Sicht angewiesen. Wenn ich das erkenne und annehme, gebe ich ihm Raum in meinem Leben. Gott lässt mich vor ihm recht sein, wenn ich glaube. Denn dann füllt er mein Leben.
Wenn ich versuche, mich hochzudienen, habe ich nur mich selbst und meine Anerkennung im Kopf.

Im Alltag gewinnt unser Glaube mit der Hilfe von Gottes Geist GestaltJesus rief, wo immer er predigte und Menschen half, zum Glauben. Und deshalb darf ich seiner Fürsprache gewiss sein. Wir sind also zum einen auf Gottes Urteil angewiesen, das uns ihm recht sein lässt. Zum andern brauchen wir täglich neu seine Hilfe und das Wehen seines Geistes, damit wir recht leben. Gott lässt das, was wir säen, aufgehen, wachsen und reifen.
Diese Einsicht schenkt uns Hoffnung und Zuversicht.
Auf Gott zu vertrauen, das macht uns zu Christen.

Ein Pfarrer wird gefragt, welche Ziele er für seine Gemeindearbeit habe. Er antwortet: „Ich will zum Glauben führen, die Augen für das Unsichtbare öffnen; ich will die Gewissheit weitergeben, dass wir von Gott angenommen sind.“
Später ergänzt er: „Als ich über meine Antwort hinterher nachdachte, hatte ich den Eindruck, den Mund viel zu voll genommen zu haben. Was würde ich tun ohne den Geist Gottes? Käme nicht immer wieder er dazu, der mein Tun segnet und den anderen Menschen öffnet – ich wäre schnell am Ende. Ich kann nur erste Schritte mit einem anderen Menschen gehen. Er und ich, wir müssen darauf vertrauen, dass Gott unser Tun begleitet und vollendet. Es ist nicht alles machbar und planbar. Das zu wissen, befreit von einer schier unerträglichen Last.“
Diese Worte des Pfarrers können uns trösten, wenn viele Mühen erfolglos scheinen in der Gemeinde, in der Familie, im Beruf.
Der Pfarrer erzählt weiter: „Das muss ich allerdings immer wieder durchbuchstabieren. Letzten Sonntag war ich enttäuscht und traurig. Ich hatte mich so auf das Predigtnachgespräch gefreut. Der kleine Gemeindesaal war schön hergerichtet, der Kaffee gekocht. Auf dem Tisch standen kleine Schüsseln mit leckeren Keksen. Und dann? Es fanden nur Gäste von auswärts den Weg zum Gespräch. Ich war ziemlich entmutigt. Doch es kam anders als befürchtet: Uns wurde im kleinen Kreis ein intensives und persönliches Gespräch geschenkt. Danke, Gott, dachte ich hinterher voller Freude.“

Ein anderes Beispiel:
Eltern von Heranwachsenden kennen die Verzweiflung: Da scheint nichts von dem, was ihnen in der Erziehung, auch im Blick auf den Glauben wichtig war, zu fruchten. Jahre später zeigt sich: Gottes Geist geht mit den anvertrauten Kindern eigene Wege. So fanden Anfang der siebziger Jahre Jugendliche durch die „Jesus People“ zum Glauben. Bei anderen stoßen christliche Popgruppen oder eine christliche Theatergruppe die Tür zum Glauben auf. Oder sie begegnen im Beruf einer Kollegin, die mit großer Ausstrahlung ihren Glauben lebt.

Unser Tun ist unvollkommen, darum brauchen wir VergebungFür Paulus gründet sein gesamtes Leben im Vertrauen auf Gott. Er weiß, wie zerbrechlich und unvollkommen unser Tun ist – und ist sich gleichzeitig der Hilfe Christi gewiss.
Wir sind angewiesen auf Gott, auf sein Urteil, seine Hilfe und – auf seine Vergebung.
Wir sind angewiesen – hören wir solche Worte gern? Möchten wir nicht lieber frei und unabhängig Herr unserer selbst sein? „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“ Dieser Wahlspruch trügt. Denn die Geschichte unseres Tuns und unserer Fähigkeiten wird zugleich immer wieder auch zu einer Geschichte unseres Versagens:
Da lässt der erfolgreiche Politiker auf seinem Weg nach oben manch einen auf der Strecke. Da wird der Erfolg im Beruf oder Verein erkauft um den Preis der Ehe oder der Familie oder auf Kosten der eigenen Gesundheit. Da geraten wir oft gerade da, wo wir voll guten Willens anpacken, in Schuld, weil anderes aus unserem Blick gerät.
Wenn Gott sein Urteil spricht, sind wir auf seine Gnade angewiesen!

Vermutlich geht es vielen unter uns so: Es fällt uns schwer anzunehmen, dass die eigenen guten Werke so wenig wert sein sollen. Sie werden durch das, was wir versäumen, in den Schatten gestellt. Dann fragen wir uns, wozu wir uns eigentlich abrackern.
Aber auch das dürfen wir erleben: Da kommen Dinge, die wir versäumt haben, auf erstaunliche Weise wieder in Ordnung. Dankbar und beschämt staunen wir – und spüren uns mit unseren Grenzen von Gott angenommen. Wir erleben, dass Gott vergibt.
Paulus nennt die Erfahrung, von Gott gehalten zu sein, auch wenn wir über uns selbst bestürzt sind, Glauben. Wer glaubt, lernt sich selbst realistisch zu sehen. Der lernt die ihm verliehenen Gaben und Fähigkeiten genauso zu erkennen wie Schuld und Versagen. Und dem gelingt es, auf Jesus Christus zu sehen als Freund und als den, der unsere Last auf sich genommen hat.

Jesus Christus ist unsere erste WahlSuperwahljahr 2024 –
Gott lässt sich um die rechte Entscheidung beim Wählen bitten.
Für unser Leben aber soll Jesus Christus unsere erste Wahl sein. Er tritt für uns ein, wenn Gott uns ansieht und beurteilt. Er hilft zum Gelingen, und er vollendet, was wir begonnen haben.
Ihm zu vertrauen, dazu ermutigen wir einander mit dem Lied

„Such, wer da will ein ander Ziel,
die Seligkeit zu finden.
Mein Herz allein bedacht soll sein,
auf Christum sich zu gründen.
Sein Wort' sind wahr, sein Werk' sind klar,
sein heil'ger Mund hat Kraft und Grund,
all' Feind zu überwinden.“
Amen.


Anmerkungen
(1) Falls vorhanden, aktuelles Beispiel aus der Gemeinde oder dem kommunalen Kontext (Bürgermeisterwahl o. ä.) aufnehmen
(2) Lukas 18,9-14
(3) Apostelgeschichte 9,1-19a
(4) nach Galater 2,16


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