11. Sonntag nach Trinitatis (28. August 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrerin / Studienrätin Stephanie Kscheschinski, Lörrach [stephanieloeffler@t-online.de]

2. Samuel 12,1-15

IntentionDer Predigttext handelt davon, dass Schuld offen angesprochen werden muss, um Vergebung zu erfahren. Vergebung bedeutet aber nicht, dass man die Folgen der Schuld nicht zu tragen hätte.

12,1 Und der Herr sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt's wie eine Tochter. 4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war. Und er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. 5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der Herr lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. 7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der Herr, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls 8 und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen in deinen Schoß, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. 9 Warum hast du denn das Wort des Herrn verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durch das Schwert der Ammoniter. 10 Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. 13 Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den Herrn. Nathan sprach zu David: So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. 14 Aber weil du die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. 15 Und Nathan ging heim.

Liebe Gemeinde!
Von Schuld zu sprechen fällt uns oft schwer. Es ist unbequem. Eigentlich sollte das für uns als evangelische Christinnen und Christen anders sein. Denn schließlich gilt die Frage nach Schuld und Vergebung als Herzstück der reformatorischen Theologie. Deswegen lohnt es sich für uns, dieser Geschichte nachzugehen. Um den Auftritt des Propheten Nathan verstehen zu können, möchte ich die Vorgeschichte nacherzählen.

Die verbrecherische Tat DavidsKönig David hat Bathseba beobachtet, die auf dem Dach ihres Hauses gebadet hat. Obwohl er weiß, dass sie verheiratet ist, lässt er sie in seinen Palast holen. Er schläft mit ihr und sie wird schwanger. Als David das erfährt, versucht er, die Schwangerschaft Bathsebas Mann, einem hohen Offizier, unterzuschieben. Das gelingt aber nicht. Da sorgt David dafür, dass Bathsebas Mann im Krieg umkommt. David ist nun nicht nur ein Ehebrecher, sondern auch noch ein Mörder. Beides versucht er zu vertuschen. Nach der Trauerphase holt David die Bathseba zu sich und heiratet sie. Bald danach kommt ihr Kind zur Welt und stirbt noch als Säugling

Nathan benennt Davids SchuldHier, liebe Gemeinde, enden viele Geschichten der Menschheit. Großes Leid widerfährt Menschen, einzelnen oder auch ganzen Völkern und die Schuld wird nie richtig benannt. Aber nicht nur das, sie wird nie aufgearbeitet, nie geklärt, nie zur Aussprache gebracht. Machtmissbrauch wird unten den Teppich gekehrt, Beweise sind nicht mehr auffindbar und eine Mauer des Totschweigens wird errichtet. Beispiele gibt es dazu viele. Denken Sie nur an die Frage jüngerer deutscher Geschichte: Was soll mit den Stasiakten geschehen. Oder etwas weiter zurück: Wie können die Gräueltaten der Nazis in den Konzentrationslagern aufgedeckt werden? Auch aktuell das Phänomen des Vertuschens: In Russland darf niemand von Putins „Krieg“ sprechen. In China findet ein Völkermord an den Uiguren in Umerziehungslagern statt und die Welt, was tut sie? Oder denken wir an den Umgang der katholischen Kirche mit den Verbrechen des Missbrauchs. Opfer von Verbrechen fühlen sich sehr oft alleine gelassen und haben den Eindruck, ihr Leid wird nicht gesehen. Ganz anders geht es in unserer Geschichte zu. Gott schickt den Propheten Nathan zu König David. Nathan konfrontiert den König mit der Geschichte des Reichen, der das Schaf des armen Mannes nimmt, um seinem Gast ein Mahl zuzubereiten. Als sich David über die Tat des Reichen aufregt und sie mit harten Worten verurteilt, benennt Nathan klar den König als Täter und sagt: „Du bist der Mann!“ Dann legt der Prophet dem König schonungslos genau dar, wie er das Wort Gottes verachtet und Mord und Ehebruch begangen hat. Der Prophet getraut sich, dem König die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Er tut es aber nicht plump, sondern so, dass dem König noch eine Tür zur Auseinandersetzung offenbleibt.

David bekennt seine SchuldJetzt erweist sich David durchaus als groß. Er bekennt dem Propheten gegenüber seine Schuld und sagt: „Ich habe gesündigt gegen den Herrn.“ Gut gefällt mir, dass David nun nicht anfängt zu vertuschen und zu feilschen. Er beschönigt nicht und verdrängt auch nicht, weil er wahrscheinlich spürt, dass das nur zur kurzfristigen Entlastung führen würde und letztlich noch mehr Schuld nach sich ziehen könnte. Er nimmt seine Schuld als Schuld wahr und nimmt sie damit auch an. Wie gut würde das den vielen Opfern von Verbrechen tun, wenn die Täter sich so verhalten würden. Wenn sie ihre Schuld anerkennen und Reue zeigen würden.

David erfährt VergebungDer große David erfährt nun durch Nathan das Wort der Vergebung. Nathan sagt zu ihm: „So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben.“ Dieses Versprechen hat David die Angst genommen, für seine Verbrechen mit dem eigenen Leben bezahlen zu müssen. Sicher hat er sich befreit gefühlt und gespürt, dass Gott Neuanfänge ermöglicht. Ganz klar sagt Nathan zu ihm: Du kannst weiterleben, auch weiterhin König sein, aber anders! Nicht so wie bisher! Kehre um, und besinne dich auf Gottes guten Weg, halte seine Gebote und bemühe dich, Schuld zu vermeiden. Nathan räumt mit der Illusion auf, dass es uns als Menschen möglich ist, ohne Schuld zu leben. Oftmals sind wir in Schuldzusammenhänge verstrickt, die uns erst später klar werden, zum Beispiel durch unseren ökologischen Fußabdruck und unseren Konsum in den reichen Industrieländern. Und so wie wir die Folgen zu tragen haben für unsere Schuld, so muss auch David die Folgen seiner Schuld tragen. David kann uns zum Vorbild werden dafür, dass wir uns auf unsere Schuld ansprechen lassen und schuldfähig sind. So sind auch für uns immer wieder Neuanfänge möglich, die uns befreien und ohne Angst unser Leben gestalten lassen. Denn weil Gott uns liebt, vergibt er auch uns unsere Schuld, wenn wir ihn ehrlich darum bitten. Amen.

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