11. Sonntag nach Trinitatis (01. September 2019)

Autorin / Autor:
Pfarrerin und Kirchenrätin Dr. Evelina Volkmann, Stuttgart [Evelina.Volkmann@elk-wue.de ]

Hiob 23, 1-17

23,1 Hiob antwortete und sprach:
2 Auch heute lehnt sich meine Klage auf; seine Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss.
3 Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seiner Stätte kommen könnte!
4 So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen
5 und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde.
6 Würde er mit großer Macht mit mir rechten? Nein, er selbst würde achthaben auf mich.
7 Dort würde ein Redlicher mit ihm rechten, und für immer würde ich entrinnen meinem Richter!
8 Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht.
9 Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht.
10 Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold.
11 Denn ich hielt meinen Fuß auf seiner Bahn und bewahrte seinen Weg und wich nicht ab
12 und übertrat nicht das Gebot seiner Lippen und bewahrte die Reden seines Mundes bei mir.
13 Doch er hat's beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht's, wie er will.
14 Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn.
15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm.
16 Gott ist's, der mein Herz mutlos gemacht, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat;
17 denn nicht der Finsternis wegen muss ich schweigen, und nicht, weil Dunkel mein Angesicht deckt.

Zur PredigtDie Herausforderung, diese Perikope zu predigen, erscheint mir ähnlich wie die der Karfreitagspredigt. Natürlich kommen wir von Ostern her, wissen um die Auferstehung. Aber an Karfreitag ist die Erfahrung der Gottesferne auszuhalten. Für viele ist sie eine ungeliebte Dimension unseres Glaubens an Gott. Doch sie gibt dem Glauben einen ausgeprägten Realitätssinn.
Ich gestalte die Predigt wie ein Gespräch zwischen Hiob und mir, der Predigerin – quasi als Gegenerzählung zu Hiob 22. Das Ich der Predigerin/des Predigers ist hier ein repräsentatives bzw. konfessorisches Ich, kein persönliches.

IntentionHiob geht hier in Geduld und Protest Schritte hin zu einem für ihn neuen Gottesbild, nämlich zu einem, in dem auch die menschlichen Erfahrungen von Gottverlassenheit und Gottesangst einen Platz haben. Diesen Weg Hiobs möchte ich in der Predigt gern so nachvollziehen, dass sich möglichst viele Hörende darin wiederfinden.


Liebe Gemeinde!
1. Hiob heute im Gespräch mit einem Freund/einer FreundinHeute begegnen Sie Hiob. Hiob, dem Mann, nach dem die Hiobsbotschaften benannt sind. Hiob, der viel leiden muss. Er klagt seinen Freunden sein Leid.
Ich habe mir überlegt, was ich ihm heute antworten würde. Hören sie unser Gespräch:

2. Hiobs schlechte Erfahrungen mit GottHiob setzt ein: Auch heute ist kein guter Tag für mich. Ich bin sauer auf Gott. An sich ist mein Verhältnis zu Gott gut. Aber in letzter Zeit ist mir so viel zugestoßen. Erst verliere ich all mein Vieh. Dann erfahre ich: Auch meine Knechte sind ermordet. Später kommt ein Bote und sagt: „Es ist ein Unglück passiert. Und dabei alle deine zehn Kinder ums Leben gekommen. Ein starker Wind hat das Haus zum Einstürzen gebracht, in dem die jungen Leute gerade aßen und Wein tranken.“ Und jetzt bin ich auch noch krank geworden. Mein Körper ist von Kopf bis Fuß mit Geschwüren bedeckt. Mit einer Scherbe sitze ich in der Asche und kratze mich. Ich verstehe das alles nicht. Ich kann nicht mehr! Warum bewahrt mich Gott nicht vor diesen Katastrophen?

3. Hiob will mit Gott rechten.Hiob wendet sich an Gott: Ich bin wütend auf dich, Gott. Warum lässt du mich so leiden? Du schuldest mir eine Erklärung! Ich finde, ich habe das alles nicht verdient. Nie habe ich mir etwas zuschulden kommen lassen. Gott, erklär dich mir! Was hast du dir dabei gedacht, als du mir solch schlimmes Leid zugemutet hast? Sag es mir. Ich halte die Wahrheit schon aus. Ich weiß, dass ich nichts zu verbergen habe. Ich führe ein anständiges Leben.
Gespannt bin ich, was du zu deiner Verteidigung zu sagen hast. Nenn mir einen Grund für das, was du mir angetan hast! Mir fällt jedenfalls keiner ein.
Aber du schweigst. Bist du etwa feige geworden, Gott? Du versteckst dich. Dabei wünsche ich mir so sehr, dir zu begegnen.
(Pause)

4. Gott ist nicht so, wie wir denken.Was sage ich nur dem Hiob, der so bitter klagt? Vielleicht geht es so:
Lieber Hiob, ja, tu das! Fordere Gott heraus. Ich spüre deinen Schmerz. Ich verstehe auch deine Wut auf Gott. Brüll sie heraus. Gott soll sie hören! Frag Gott, was das alles zu bedeuten hat. Du weißt nicht, wie es in deinem Leben je wieder gut werden soll. Immer war davon die Rede: Gott ist freundlich. Gott liebt die Menschen. Gott hat uns geschaffen. Wir sind ihm wichtig. Und dann erlebst du solche Dinge?! Du, der du völlig unschuldig bist!
Aber eine Sache sehe ich anders als du: Du willst Gott das Recht darlegen (V 4). Du willst Beweise gegen Gott vorbringen. Ich weiß nicht. So sehe ich Gott nicht. Mich erinnert das an eine Gerichtsverhandlung. Gott wäre der Täter auf der Anklagebank und du das Opfer. Und gleichzeitig wärst du auch noch der Richter, also über Gott. Du als Richter würdest sagen: Hier ist Hiob, ein redlicher Mensch. Also musst du, Gott, ihn auch entsprechend behandeln. Du hast dafür zu sorgen, dass es ihm gut geht. Gott müsste sich also nach deinem Urteil richten.
So stelle ich mir Gott nicht vor. Ich glaube: Gott richtet sich nicht nach unserem menschlichen Urteil. Und so haben wir Menschen auch nicht das Recht, von Gott eine Belohnung in Form eines schönen Lebens einzuklagen, nur weil wir z.B. die Zehn Gebote halten. Auch wenn ich dich da jetzt enttäuschen muss, lieber Hiob, auch wenn du bisher vielleicht ein anderes Bild von Gott hattest: Ich kann da nicht mit. Gott ist – so lese ich das aus der Bibel – in seinem Tun und Lassen eben gerade nicht von den Menschen abhängig. Ich bin gespannt, wie du das hörst.
(Pause)

5. Hiob findet Gott nicht.Liebe/r Freund/in, antwortet Hiob. Danke, dass du mir zuhörst. Vielleicht hast du ja sogar recht. Vielleicht bilde ich mir bis jetzt nur ein, Gott gut zu kennen. Ich hatte eben aus meinem bisherigen Leben den Eindruck: Es geht mir gut, weil ich Gottes Gebote halte. Ich dachte, meine große Familie, mein ansehnlicher Viehbesitz, alles, was ich habe, meine Gesundheit – ich dachte, das alles seien sichtbare Zeichen für Gottes Segen. Ich fühlte mich im Einklang mit Gott und seinen Geboten.
Und jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, was gilt. Ich versuche immer noch, Gutes zu tun. Das hat sich nicht verändert. Und trotzdem geht es mir schlecht. Wo ist Gott nur? Vielleicht ist er wirklich nicht „der liebe Gott“, der uns Menschen für unser Gutsein belohnt. Im Moment merke ich jedenfalls schmerzlich: Gott lässt mich allein. Überall Leere. Es ist zum Verzweifeln.

6. Auch ein heutiger Hiob findet Gott nicht.Lieber Hiob, fahre ich fort, du bist nicht allein mit deinem Schicksal. Hiobsgestalten wie dich gibt es viele mitten unter uns: Menschen, die an ihrem Schicksal verzweifeln. Menschen, die nach Gott suchen und ihn einfach nicht finden. Einer von ihnen war der Dichter Robert Gernhardt. Über seine langen Krankenhausaufenthalte hat er gedichtet (1):

Hiob im Diakonissenkrankenhaus

Ihr habt mir tags von Gott erzählt,
nachts hat mich euer Gott gequält.

Ihr habt laut eures Gotts gedacht,
mich hat er stumm zur Sau gemacht.

Ihr habt gesagt, daß Gott mich braucht –
braucht Gott wen, den er nächtens schlaucht?

Ihr habt erklärt, daß Gott mich liebt –
liebt Gott den, dem er Saures gibt?

So erleben das viele Menschen bis heute. Der „liebe“ Gott ist ihnen abhandengekommen.

7. Aber ich bin doch unschuldig!Wie kann das sein?, fragt Hiob. Ich bin unschuldig. Gott soll mich nur prüfen. Ich habe nichts zu befürchten. Auch Elifas, mein angeblicher Freund, hat gut reden. Er behauptet, ich hätte Nackten die Kleider entrissen (22,6), Durstigen das Wasser und Hungrigen das Brot verweigert (22,7), Witwen und Waisen gequält (22,9). Das ist an den Haaren herbeigezogen. Er sucht irgendetwas Unrechtes in meinem Leben. Doch das stimmt alles nicht. Gott hat keinen Grund, mich für irgendetwas zu bestrafen. Ich protestiere!

8. Gott macht unsere menschlichen Gedankenspiele nicht mit.Ja, Hiob, du bist wirklich unschuldig, sage ich. Und wie du erlebe ich: Unschuldiges Leiden gibt es. Ich habe einen anderen Eindruck von deiner Geschichte gewonnen: Ich erlebe Gott als einen, der unser menschliches Spiel von „hier Böse – dort Gut“ nicht mitmacht. Kein Mensch kann Gott beeinflussen, auch nicht durch gute oder schlechte Taten. Und das siehst du ja auch so. Du sagst: „Gott allein bestimmt – wer will ihn hindern? Und er macht’s, wie er will“ (V 13). Eigentlich hast du schon alles begriffen, lieber Hiob: Gott wird tun, was er für dich geplant hat, und Pläne für dich hat er genug! (V 14).(2) Wir Menschen fassen Gott nicht.

9. Hiobs totale VerzweiflungHiob seufzt: Mir ist dies alles unheimlich. Gott ist ein Gott, der mir Angst macht! Der mir meinen Mut nimmt. Mein bisheriges Schicksal, selbst den Verlust meiner Kinder, meiner Gesundheit, meines Besitzes – das alles könnte ich zur Not noch irgendwie ertragen. Aber dass Gott mich allein lässt und mir nicht hilft, das zieht mir den Boden unter den Füßen weg.

10. Ich halte das mit dir aus!Was kann ich Hiob da noch sagen? Vielleicht: Lieber Hiob! Ich bin da und halte das mit dir aus. Schreie, heule, tobe – tu alles, was dir angemessen erscheint. Ich bin da und mit mir eine ganze Gemeinde, die gerade hier Gottesdienst feiert. Die wenigsten unter uns haben Schicksalsschläge wie du erlitten. Darum sagen wir auch nicht: Wir kennen das aus eigener Erfahrung. Das wäre anmaßend. Aber wir halten mit dir deine Verzweiflung über Gott aus. So etwas gehört zu unserem Glauben dazu.
Allerschlimmste Abgründe trennen uns nicht von Gott. Sie trennen uns allenfalls von unserem Bild von Gott. Doch Gott ist größer und stärker. Gott liebt uns. Dennoch gibt es Menschen wie dich, die sich von Gott verlassen fühlen. Gemeinsam halten wir diesen Widerspruch aus.
(Pause)

11. Ausblick: Hiob lernt Gott neu kennenSo ähnlich könnte ein Gespräch mit Hiob gehen.
Wie würden diese Worte auf Hiob wirken? Ob er sich dafür bedanken würde?
Was die Bibel aber erzählt: Später zeigt Gott sich ihm und spricht mit ihm. Völlig anders, als er es erwartet hat. Aber doch so, dass es ihm unter die Haut geht. Hiob lernt dabei Gott neu kennen. Und er sieht auf sein Leid auf einmal mit anderen Augen. Er versöhnt sich mit seiner schrecklichen Lage. Er sagt:
„Ich weiß jetzt, dass dir nichts unmöglich ist; … Du fragst, warum ich deinen Plan anzweifle und rede ohne Wissen und Verstand. In meinem Unverstand hab ich geredet von Dingen, die mein Denken übersteigen. Du hast mich aufgefordert, zuzuhören… Ich kannte dich ja nur vom Hörensagen; jetzt aber hat mein Auge dich geschaut“ (Hiob 42,2-5).
Amen.

Anmerkungen1 Robert Gernhardt, Gesammelte Gedichte 1954-2006, Frankfurt/M. ²2010, S. 473.
2 Vgl. die Übersetzung der Gute-Nachricht-Bibel zu V 13-14.

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