10. Sonntag nach Trinitatis (16. August 2020)
Römer 11, 25-32
IntentionLiebe zu seinen jüdischen Geschwistern schlägt bei Paulus um in Hass – und wandelt sich schließlich wieder zu Liebe. Wie Jakob, Abraham, Mose oder die kanaanäische Frau bittet er, bis er Gewissheit erhält: Ganz Israel wird gerettet werden (Römer 11,26).
11,25 Ich will euch, Brüder und Schwestern, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, bis die volle Zahl der Heiden hinzugekommen ist.
26 Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen aus Zion der Erlöser; der wird abwenden alle Gottlosigkeit von Jakob.
27 Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.«
28 Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber nach der Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen.
29 Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.
30 Denn wie ihr einst Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams,
31 so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen.
32 Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
Liebe Gemeinde!
Paulus ändert seine Meinung – aus Liebe. Er hat es getan. Soweit wir aus seinen Briefen wissen, nur ein einziges Mal. Dafür aber fulminant. Paulus, der Apostel Jesu Christi, hat seine Meinung geändert. Und das nicht in irgendeiner Nebenfrage, sondern im Zentrum seines Evangeliums von Jesus Christus.
Er hat es getan aus Liebe. Hören Sie die Sprache der Liebe, in der er von den Seinen spricht. Er hat es getan aus Liebe zu seinen Brüdern und Schwestern, seinem eigenen Volk, seinen „Stammverwandten, die Israeliten sind, denen die Gotteskindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und die Thora und der Tempelkult und die Zusagen Gottes; ihnen gehören auch die Erzväter, und aus ihnen kommt Christus her nach seiner menschlichen Natur“ (Römer 9,3b-5). Jesus selbst ist ein geborener Jude, Sohn der Jüdin Mirjam – Maria. Er ist die Treue Gottes in Person zum auserwählten Volk Israel.
Der Messias Israels, Paulus und die Juden: Liebe schlägt um in HassBei seiner Berufung vor Damaskus war Paulus Christus leuchtend, blendend, überwältigend aufgegangen als Gottes Macht und Gottes Weisheit, die selig macht alle, die an ihn glauben, die Juden zuerst. Darum führte auf seinen Missionsreisen sein erster Weg ihn immer in die Synagogen. Die Juden zuerst!
Und dann der Absturz, das schlechterdings Unerklärliche, in seiner stereotypen Wiederholung Vernichtende: Nur wenige Juden kommen zum Glauben an Jesus, den Messias. Die Mehrheit wendet sich ab. Ihnen ist der gekreuzigte Christus nicht Erweis der Treue Gottes, sondern ein Skandal, ein Gräuel, eine Blasphemie. Für Paulus wird es lebensgefährlich: „Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; einmal bin ich gesteinigt worden“ (2. Korinther 11,24.25a).
Paulus blutet aus vielen Wunden des Körpers und der Seele. Mehr noch: Indem sie ihn, den Boten Gottes, verschmähen, verschmähen sie Christus, verschmähen sie Gott selbst. Hat Jesus doch gesagt: „Wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat“ (Lukas 10,16).
Die verschmähte Liebe schlägt um in Hass. Bei Paulus – und bei Gott. Wer Gott als rachsüchtigen verschmähten Liebhaber kennen lernen will, der lese einmal Hosea 2,4-15. Oder höre das Folgende. Es stammt nicht aus den späten Judenschriften Luthers und auch nicht aus der Feder eines Deutschen Christen, sondern aus dem ältesten Paulusbrief, dem 1. Thessalonicherbrief (2,15): „Die Juden haben den Herrn Jesus getötet (waren das nicht die Römer?) und die Propheten und haben uns verfolgt und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen zuwider, indem sie, um das Maß ihrer Sünden vollzumachen, uns hindern, den Heiden zu predigen. Aber der Zorn Gottes ist schon bis zum Ende, endgültig, unwiderruflich, in ganzer Härte über sie gekommen.“ Den Juden zuerst? Nein! Ihnen nicht mehr! Gott hat sie verworfen. Sie sind verloren.
Eine zweite BekehrungDoch dann, fünf Jahre später, lesen wir im Römerbrief das Gegenteil. „Und so wird ganz Israel gerettet werden (11,25).“ Paulus hat seine Meinung geändert. Gott hat seine Meinung geändert.
Es ist ein Wunder, eine zweite Bekehrung. Wie die erste vor Damaskus verdankt sie Paulus einer göttlichen Offenbarung. Erschlossen wurde ihm nach langem Ringen ein Geheimnis, an dem er nun den Christen in Rom Anteil gibt, damit sie nicht Judenhasser würden wie er. „Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet“ (11,25). Nach Menschenweise klug war nämlich auch ich, Paulus, als ich jene antisemitische Passage in 1. Thessalonicher 2 schrieb, als das heiße Feuer der Liebe mir umschlug in die kalte Flamme des Hasses.
Römer 9–11 als Dokument theologischen RingensDie drei Kapitel Römer 9-11 sind das einzigartige Dokument dieses atemberaubenden Ringens, dessen Ergebnis unser heutiger Predigttext ist. Paulus kämpft sich aus den Rachephantasien des gekränkten Liebhabers heraus, zurück in die Liebe. Und er kämpft Gott heraus aus seinem Zorn über das ungläubige Israel. „Ist nicht Ephraim mein teurer Sohn und mein geliebtes Kind? Denn sooft ich ihm auch drohe, muss ich doch seiner gedenken; darum mir mein Herz ihm entgegen, dass ich mich seiner erbarmen muss, spricht der HERR“ (Jeremia 31,20).
Paulus, der Schüler Rabbi Gamaliels, tritt an mit allem, was er hat an theologischer Bildung und an Kenntnis seiner Heiligen Schrift. Nirgends sonst begegnen in den Paulusbriefen auf so engem Raum so viele Zitate aus der Thora, den Propheten und den Schriften. 35 wörtliche Zitate weist der gelehrte Rand der griechischen Ausgabe von Nestle-Aland mit kursiver Stellenangabe aus. Der Anspielungen sind noch weit mehr. Paulus muss tage- und nächtelange seine Bibel immer und immer wieder durchgegangen sein, rastlos, schlaflos. Ein Titanenkampf am Schreibtisch. Römer 9-11 ist eine „von tiefer Liebe des Apostels zu seinem Volk bestimmte und deshalb in leidenschaftlicher Bewegtheit vorgetragene theologische Erörterung und Klärung des Israel-Problems.“ (1)
Ich meine inzwischen: Dieser Kampf wird nicht nur am Schreibtisch, sondern auch auf Knien ausgetragen. Römer 9-11 ist zugleich das einzigartige Dokument eines Gebetskampfes und einer Gebetserhörung. Ausgetragen unter Tränen – in „große[r] Traurigkeit“ – und mit „Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen“ (Römer 9,2). Der Jude Paulus wird eins mit dem gottverlassenen Israel: „Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?“ (Psalm 42,4).
Wie Jakobs nächtlicher KampfMan ist an Jakobs nächtlichen Kampf auf Leben und Tod mit dem Unbekannten – einem Flussdämon?, einem Engel?, Jahwe selbst? – am Jabbok erinnert (1. Mose 32, 23-33). „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Bei Paulus dann: „Ich lasse dich nicht, du segnest sie denn.“ Und „da ging ihm die Sonne auf, und er hinkte an seiner Hüfte“.
Jakob hat seine körperliche Unversehrtheit eingebüßt. Paulus setzt seinen Glauben und seine Verbundenheit mit Christus und damit seine Teilhabe am Heil ein. „Ich selber wünschte verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch“ (Römer 9,3).
Damit tritt Paulus ein in die Reihe der großen biblischen Fürbitter Abraham, Mose und die kanaanäische Frau. Und Jesus, der für seine römischen Mörder am Kreuz betet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lukas 33,34).
Abraham und der Gedanke eines heiligen RestesAbraham. Der Zorn Gottes ist entbrannt über die Städte Sodom und Gomorra. Zu groß ist die Bosheit ihrer Bewohner. Gott wird sie vernichten mit Schwefel und Feuer vom Himmel. Da tritt Abraham vor den HERRN: „Willst du denn den Gerechten mit den Gottlosen umbringen? Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein. Willst du nicht der Stadt vergeben um der fünfzig willen?“. – „Doch, ja.“ – Abraham setzt nach: „Und wenn nur fünfundvierzig?“ – „Ja, auch dann noch.“ – „Und bei vierzig?“ – „Ja.“ – „Zürne nicht Herr, man könnte nur dreißig darin finden.“ – „Ja.“ – „Und bei zwanzig? Und bei nur zehn? – „Auch dann noch. Ich will sie nicht verderben um der zehn Gerechten willen.“ Sie finden sich nicht. Die Städte werden zerstört. Alle ihre Einwohner sterben. Alle? Nein. Gott schickt zuvor seine Boten, die Abrahams Neffen Lot und dessen Familie aus der Stadt führen. Abrahams Fürbitte hat einem kleinen Rest das Leben gerettet. Immerhin.
Paulus kennt diesen Gedanken des heiligen Restes. Er ist das Thema des ersten großen Gedankenganges von Römer 9,6–10,10. Die Existenz des Restes genügt, um Gottes Treue zu seinen Zusagen an Abraham, um die Erwählung Israels zum Volk Gottes, zu retten. Von Anfang an war es so. Nur Isaak, nicht Ismael. Nur Jakob, nicht Esau. Und es gibt sie ja, die Christen aus den Juden. An erster Stelle Paulus selbst, der bekehrte Pharisäer, beschnitten am achten Tag, aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern. Es gab zu Zeiten Elias die Siebentausend, die ihre Knie nicht gebeugt haben vor dem Baal. So sind auch zur Zeit des Paulus „einige übriggeblieben nach der Wahl der Gnade“ (Römer 11,5).
Abraham gibt sich mit dem Rest zufrieden. Paulus nicht: „So frage ich nun: Was ist mit der großen Mehrheit der Israeliten, die nicht zum Glauben an Jesus kamen? Strauchelten sie, damit sie liegen blieben?“ (Römer 11,11 in der Übersetzung von Ernst Käsemann).
Mose lehnt das Angebot eines heiligen Restes abHier tritt Paulus an die Seite Moses. Mose empfängt auf dem Berg Sinai aus der Hand Gottes die Zehn Gebote. „Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland aus der Sklaverei geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ (2. Mose 19,2). Und die Israeliten? Sie brechen das erste Gebot schon, bevor sie es haben und tanzen um das goldene Stierbild. „Lass mich“, spricht der HERR zu Mose, „dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge.“ Und er bietet ihm den heiligen Rest an: Sie vertilge ich. Du wirst der heilige Rest sein. „Dich will ich zum großen Volk machen.“ (2. Mose 32,10). Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.
Mose lehnt ab. Er lässt Gott nicht. Gott, du kriegst uns nur im Paket. Wenn du sie töten willst, dann musst du auch mich töten. „Vergib ihnen ihre Sünde; wenn nicht, dann tilge [auch] mich aus deinem Buch [des Lebens], das du geschrieben hast.“ Und er kriegt sie. Zumindest erwirkt er ihnen eine Frist. Anders als bei Sodom und Gomorra tötet Gott die Schuldigen nicht. Doch müssen sie vierzig Jahre lang durch die Wüste ziehen, bis sie die ganze Generation eines natürlichen Todes gestorben ist, und nur ihre Kinder, aber immerhin ihre Kinder, werden in das Gelobte Land kommen.
Und Paulus? Gott, ich frage dich unter Tränen: Was ist mit der großen Mehrheit meines Volkes? Ich sage dir, du bekommst uns nur im Paket. Verwirfst du sie, werde ich aufhören an dich zu glauben. Ich möchte verflucht sein, von Christus getrennt. Anathema! Für mein Volk Israel. Ich frage dich mit dem Einsatz meines Glaubens und Lebens: „Strauchelten sie, damit sie liegen blieben?“
Die hartnäckige Bitte der kanaanäischen FrauDarf man so beten? So hartnäckig wie auch die kanaanäische Frau (Matthäus 15, 21-28)? Sie fleht Jesus an, ihre Tochter zu heilen. Jesus schweigt. Er würdigt diese Heidin keines Wortes. Sie insistiert. Darauf er: Nein! Ich helfe dir nicht. „Es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot wegnimmt und es vor die Hunde wirft.“ Jetzt ist es aber genug. Begreife das doch endlich. Doch sie unterläuft diese ehrverletzende Abfuhr. „Ja, Herr. Und doch! Und doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch der Kinder fallen.“
Darf man so beten? Darf man sich so vorbehaltlos mit den Verlorenen und Leidenden solidarisieren? Notfalls sogar gegen den schweigenden, zürnenden Gott?
Darf man Gott unter Druck setzen?
Nein, das darf man nicht. Das ist crimen laesae maiestatis, Majestätsbeleidigung, Blasphemie.
„Wie auch Gott einmal Angst bekam“Giovanni Guareschi hat seinen Geschichten von Don Camillo und Peppone drei Erzählungen vorangestellt, in denen er seinen Lesern das Po-Delta und die Mentalität seiner Bewohner in der Nachkriegszeit um 1950 nahebringen will. In der zweiten davon ist der Ich-Erzähler ein zwölfjähriger Junge. Dessen kleiner Bruder Chico wird krank, todkrank. Der Vater, ein wortkarger, stolzer Großbauer, lässt drei oder vier berühmte Ärzte mit der Kutsche holen. „Chico schlief und fieberte noch immer, und sein Gesicht war weißer als das Betttuch geworden. Meine Mutter weinte mitten unter uns und wollte nicht mehr essen; mein Vater setzte sich überhaupt nicht mehr nieder und zwirbelte weiter seinen Schnurrbart, ohne irgendetwas zu sprechen.
Am vierten Tag breiteten die letzten drei Ärzte, die zusammen gekommen waren, die Arme aus und sagten zu meinem Vater: ‚Nur noch der liebe Gott kann Ihr Kind retten.‘“
Der Vater lässt daraufhin morgens um sieben Uhr die gesamte Belegschaft im Hof antreten, Familie, Knechte, Mägde, insgesamt etwa fünfzig Personen. „Mein Vater stellt sich also breitspurig vor alle seine Angehörigen und sagte: „Nur der liebe Gott kann Chico retten. Auf die Knie: wir müssen den lieben Gott bitten, Chico zu retten.“
Die Frauen sprechen den Rosenkranz vor, und alle anderen antworten mit Amen.
„Mein Vater blieb mit verschränkten Armen stehen, unbeweglich wie ein Standbild, bis sieben Uhr abends, und alle beteten, weil sie Angst vor meinem Vater hatten und weil sie Chico lieb hatten.
Um sieben Uhr abends, als sich die Sonne zum Horizont neigte, kam eine Frau, meinen Vater zu holen. Ich folgte ihm.
Die drei Ärzte saßen blass um Chicos Bett: ‚Es wird immer schlimmer‘, sagte der älteste. ‚Er wird die Nacht nicht überleben.‘“
Der Vater lädt sein Gewehr. Er gibt seinem Zwölfjährigen ein Bündel. „Gehen wir.“
Sie gehen über die Felder zum katholischen Pfarrer.
„Mein Vater betrat das Zimmer, ohne den Hut abzunehmen. ‚Hochwürden‘, sagte mein Vater. ‚Chico ist krank, und nur der liebe Gott kann ihn retten. Heute haben sechzig Personen durch zwölf Stunden zum lieben Gott gebetet, Chico geht es aber schlechter, und er wird die heutige Nacht nicht überleben.‘
Der Priester schaute meinen Vater mit großen Augen an. ‚Hochwürden‘, fuhr mein Vater fort, ‚nur du kannst mit dem lieben Gott sprechen und ihm zu verstehen geben, wie die Dinge liegen. Gib ihm zu verstehen, dass ich, wenn Chico nicht wieder gesund wird, alles in die Luft sprenge. In diesem Bündel hier sind fünf Kilo Dynamit. Von der ganzen Kirche wird kein Stein auf dem andern bleiben. Gehen wir!“
Sie gehen zur Kirche. Der arme Priester kniet vor dem Altar nieder und faltet die Hände.
„Mein Vater stand mitten in der Kirche, das Gewehr unter dem Arm, mit gespreizten Beinen, wie ein Fels. Auf dem Altar brannte eine einzige Kerze, alles andere lag im Dunkeln. Gegen Mitternacht rief mich mein Vater: ‚Geh und schau nach, wie es mit Chico steht, und komm gleich zurück.‘
Ich flog über die Felder und kam nach Hause, das Herz klopfte mir im Halse. Dann kehrte ich um und lief noch schneller. … ‚Vater!‘ schrie ich außer Atem. ‚Chico geht es besser! Der Arzt sagt, dass er außer Gefahr ist! Ein Wunder! Alle lachen und freuen sich.‘“ (2)
Guareschi kommentiert: Es gibt heute noch in Boscaccio hie und da Verfluchte, die behaupten, dass damals auch Gott einmal Angst hatte. Und so hat er auch diese Erzählung überschrieben: „Wie auch Gott einmal Angst bekam“.
Paulus bekehrt Gott: Ganz Israel wird gerettet werdenDarf man Gott unter Druck setzen? Darf man Gott Angst machen?
Nein, das darf man nicht. Wer das tut, den trifft der Zorn Gottes.
Das darf man nicht, so wenig, wie man einen Richter ohrfeigen darf.
„Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute keinen Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: … Ich will doch dieser Witwe Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. Da sprach der Herr Jesus: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen?“ (Lukas 18, 1-8).
„Ich glaube“, schreibt Dietrich Bonhoeffer Weihnachten 1942, „ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“ (3)
Abraham bekommt von Gott Lot und dessen Familie. Mose rettet durch seine Fürbitte seinem Volk das Leben. Die kanaanäische Frau bekehrt Jesus. Durch sie begreift er, dass er auch der Heiland der Heiden ist. Und er heilt ihre Tochter. Der Vater bekommt Chico.
Und Paulus? Er bekehrt Gott. Ist dein Zorn wirklich endgültig über sie gekommen? „Strauchelten sie, damit sie liegen bleiben?“ – Nein! Keineswegs! Mitnichten! Auf gar keinen Fall!
Nicht endgültig, nur vorübergehend ist die Verschlossenheit Israels gegenüber dem Glauben. Und das ist Teil des Heilsplanes Gottes. Denn die von den Juden aus Jerusalem verjagten Apostel gehen zu den Heiden, damit auch diese gerettet werden.
„Ich will euch, Brüder und Schwestern, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, bis die volle Zahl der Heiden hinzugekommen ist.
Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): ‚Es wird kommen aus Zion der Erlöser; der wird abwenden alle Gottlosigkeit von Jakob. Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.‘“
Sie werden gerettet werden wie ich, Paulus, gerettet wurde vor Damaskus. Nicht durch die Predigt eines Petrus oder Jakobus. Nicht durch die Judenmission der Kirche, sondern durch eine unmittelbare Christusbegegnung.
„Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber nach der Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen.
Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.
Sind wir untreu, so bleibt er doch treu.
Denn wie ihr Christen aus den Heiden einst Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams, so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen.
Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.“
Aller? Paulus, willst du wirklich alle? Auch die, die dir den Rücken zerschlugen, so dass du nur noch in Bauchlage schlafen kannst? Auch die, die dich steinigten? Die Narben schmerzen noch heute. Die Aufhetzer und Rädelsführer? Und die feigen Mitläufer? – Ja, ich will sie alle. Denn auch ich war einer von ihnen, ein Verfolger der Gemeinde, und du hast dich meiner erbarmt. – Dann sollst du sie haben. Alle.
„O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn ‚wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen‘?
Oder ‚wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?‘
Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“
Anmerkungen1 Otfried Hofius, Das Evangelium und Israel. Erwägungen zu Römer 9-11. In: ders., Paulusstudien, WUNT 51, 1989, S. 175. Erstveröffentlichung in ZThK 83, 1986, S. 297.
2 Giovanni Guareschi, Don Camillo und Peppone, rororo 215, 1957 (1983), S. 7-11.
3 Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. v. Eberhard Bethge, München 1970, S. 21.
Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)