1. Weihnachtsfeiertag (25. Dezember 2023)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Konrad Maier-Mohns, Nürtingen [maier-mohns@web.de ]

2. Mose 2,1–10

IntentionAm Weihnachtsmorgen bringe ich die Mosegeschichte mit Geschichten von ausgesetzten Kindern und mit der Weihnachtsgeschichte in Verbindung. Dabei klingt die Bergung schutzbedürftigen Lebens an als ein Neuanfang aus Gottes Hand.

Weihnachten im Gedenken an MoseDie Geschichte aus 2. Mose 2 im Alten Testament ist in diesem Jahr zum ersten Mal Grundlage der Weihnachtspredigt. Sie spielt in Ägypten, vielleicht um das Jahr 1200 vor Christus. Die hebräischen Zwangsarbeiter werden unterdrückt. Trotzdem oder gerade deshalb hat der ägyptische Pharao Angst vor ihnen. Er ordnet an, dass alle hebräischen neugeborenen Jungen in den Nil geworfen werden. Fremdenangst, Macht und Ausbeutung regieren grausam – wie auch heute an diesem Weihnachtsfest an vielen Orten unserer Erde.
Aber am Rand geschieht etwas Neues.

Predigttext: 2.Mose 2,1–101 Und es ging hin ein Mann vom Hause Levi und nahm eine Tochter Levis zur Frau. 2 Und sie ward schwanger und gebar einen Sohn. Und als sie sah, dass es ein feines Kind war, verbarg sie ihn drei Monate. 3 Als sie ihn aber nicht länger verbergen konnte, nahm sie ein Kästlein von Rohr für ihn und verklebte es mit Erdharz und Pech und legte das Kind hinein und setzte das Kästlein in das Schilf am Ufer des Nils. 4 Aber seine Schwester stand von ferne, um zu erfahren, wie es ihm ergehen würde. 5 Und die Tochter des Pharao ging hinab und wollte baden im Nil, und ihre Dienerinnen gingen am Ufer hin und her. Und als sie das Kästlein im Schilf sah, sandte sie ihre Magd hin und ließ es holen. 6 Und als sie es auftat, sah sie das Kind, und siehe, das Knäblein weinte. Da jammerte es sie, und sie sprach: Es ist eins von den hebräischen Kindlein. 7 Da sprach seine Schwester zu der Tochter des Pharao: Soll ich hingehen und eine der hebräischen Frauen rufen, die da stillt, dass sie dir das Kindlein stille? 8 Die Tochter des Pharao sprach zu ihr: Geh hin. Das Mädchen ging hin und rief die Mutter des Kindes. 9 Da sprach die Tochter des Pharao zu ihr: Nimm das Kindlein mit und stille es mir; ich will es dir lohnen. Die Frau nahm das Kind und stillte es. 10 Und als das Kind groß war, brachte sie es der Tochter des Pharao, und es ward ihr Sohn, und sie nannte ihn Mose; denn sie sprach: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.

Findelkinder auch bei unsLiebe Gemeinde, im August 1969 setzen sich in Augsburg eine Mutter und ihr Sohn auf eine Bank am Lech. In dem Fluss haben sie gerade gebadet. Jetzt wollen sie ihr mitgebrachtes Picknick essen. Aus dem Ufergebüsch hören sie Geräusche. Der Sohn schaut nach und kommt mit einer Handtasche zurück. Sie öffnen den Reißverschluss und finden ein wimmerndes Baby darin: ein Mädchen, über das schon einige Käfer krabbeln. Suriza Strbac, diesen Namen wird die Kleine bekommen, hat ihre Geschichte 2020 in einer Radiosendung über Findelkinder erzählt. Ihre Mutter hatte als Gastarbeiterin Angst, dass sie als Schwangere oder als junge Mutter von den Ausländerbehörden gleich wieder nach Jugoslawien abgeschoben wird. Verzweifelt wollte sie das Baby loswerden und warf es in der Handtasche Richtung Lech. Das dichte Gebüsch und die beiden Badenden wurden zu ihrer Rettung. „Alle Schutzengel waren bei mir“, hat sie in der Sendung gesagt.
Einen anderen Teilnehmer dieser Radiosendung kennen vielleicht manche von Ihnen: Hans Jürgen Hufeisen, vor allem durch seine Blockflötenmusik bekannt, für seine innige Musik von Schutzengeln und seine Weihnachtsmelodien. Er ist 1954 von seiner Mutter zwei Tage nach seiner Geburt in einem Hotel bei Krefeld zurückgelassen worden. Der Wirt hat das Neugeborene im Bett gefunden und hat die Caritas angerufen. Der Kleine hatte noch mehr Schutzengel: Das Säuglingsheim und ab 3 Jahren das Kinderheim wurden offenbar von einfühlsamen, warmherzigen Menschen geleitet, gar nicht selbstverständlich! Hufeisen erzählt von hellen Erinnerungen an Gute-Nacht-Lieder und -Gebete, von kreativen Musikspielen in der Kindergruppe und von der Weihnachtsstimmung. All das hat seine eigene Musik als Erwachsener nachhaltig geprägt und auch seinen Glauben und seine innige Sehnsucht.
Die Findelkinder leben auch unter uns – sie leben mit ihrem so besonderen Eintritt in unsre Welt.

Das Findelkind MoseMoses Rettung im Körbchen am Nil wird im Alten Testament deshalb erzählt, weil er später so wichtig wird für seine hebräischen Brüder und Schwestern. Er wird dem mächtigen Pharao entgegentreten und ihre Freilassung fordern. Er wird sie schließlich auf höchst dramatische Weise in die Freiheit führen. Am Berg Sinai wird Gott ihnen durch Mose die Zehn Gebote geben. Gott wird sich mit ihnen verbinden. „Ich bin euer Gott, ihr seid mein Volk“, sagt Mose ihnen als Vermittler.
Diese Rettungsgeschichte nimmt am Nilufer bereits ihren Anfang. Fast aussichtslos ist die Lage für die neugeboren Jungen der Hebräer, aber die zwei hebräischen Hebammen Schifra und Pua widersetzen sich dem tödlichen Befehl des Pharao. Und dann die Mutter des eben geborenen Jungen – sie versteckt ihn, so gut sie kann. Aber schließlich geht es nicht mehr. Verzweifelt und auch mit einem Hoffnungsschimmer und mit Raffinement baut sie dieses Kästchen aus Schilfrohr. Mit Baumharz und Pech macht sie es wasserdicht. Dann kommt der Moment, wo sie das Kleine hineinlegt. Es muss ihr das Herz zerreißen, als sie ihr hilfloses Baby im Uferschilf zurücklässt. Freilich nur unter dem wachsamen Auge der großen Schwester!

Von Gott gut geschaffen und bewahrtLiebe Gemeinde, viele von uns haben diese Geschichte in der Kinderkirche, Jungschar, im Religionsunterricht oder aus der Kinderbibel mit angehaltenem Atem gehört. Wahrscheinlich haben wir aber bei aller Spannung zwei kleine versteckte Hinweise der Erzähler nicht bemerkt. Die Mutter „sah, dass es ein feines Kind war“, lesen wir in der Lutherübersetzung. Der Kleine ist süß, vielleicht ist es auch ein kräftiges, vitales Kind. Wörtlich steht da: „Als sie sah, dass es gut war.“ Wer die Bibel kennt, hat das aus der Schöpfungsgeschichte im Ohr. „Und Gott sah, dass das Licht gut war.“ Und am Ende jedes weiteren Schöpfungstages: „Und Gott sah, dass es gut war.“ Als Mose geboren wurde, war das Haus voller Licht, schreiben die alten jüdischen Bibelausleger. Das Kästchen aus Schilfrohr ist im Hebräischen das gleiche Wort wie die Arche, in der Noah samt Familie und Tieren gerettet wird. Auch diesen viel größeren Kasten hat Noah ja mit Pech abgedichtet. Gott ist von Anfang an schöpferisch, und Gott ist von Anfang ein rettender Gott. Das leuchtet uns aus der Mose-Erzählung entgegen.
Zu seiner Rettung kommt jetzt ausgerechnet die Tochter des Pharao zum Baden an den Nil. Sie ist ganz einfach gerührt und hat Mitleid mit dem kleinen weinenden Baby. Sie erkennt allerdings auch, dass es ein Kind aus der hebräischen Zwangsarbeiterkolonie ist. Sie lässt sich auf den Vorschlag der Schwester ein, und sie wird wissen, dass sie damit den Befehl des Pharao hintergeht. Die Mutter wird jetzt als bezahlte Amme engagiert. Der kleine Junge kann seine ersten Lebensjahre unter dem Schutz der Pharaotochter bei seiner Mutter und Schwester aufwachsen. Von den dreien wird er sehr Unterschiedliches mit auf den Weg bekommen. Seine Schwester Mirjam wird bei dem Zug in die Freiheit noch einmal ganz wichtig werden. Die drei Frauen, so gegensätzlich sie scheinen, werden gemeinsam zu Schutzengeln für das Kind. Gott selber wird in der Erzählung nicht einmal ausdrücklich erwähnt, aber die drei handeln – vielleicht ohne es zu wissen – nach seinem Willen und weben an Gottes Geschichte mit.

Das Christkind auf den Feldern von BetlehemAn diesem Weihnachtsfest, liebe Gemeinde, wird unser Blick von den Kerzen und Liedern immer wieder auf die unheilvollen Orte und Entwicklungen unserer Welt abgelenkt. Die Nachrichten sind voll davon.
Für manche sind es auch die persönlichen Ängste um die eigene Gesundheit, um Kinder, Trauer um verlorene Menschen, Schmerz über gescheiterte Pläne.
Wir feiern heute den Christus, der als das Licht in die Welt gekommen ist: in dunkler Zeit, unter dem Steuerdiktat von Kaiser Augustus, bedroht von König Herodes. Die Entbindung auf der Reise, draußen vor den Häusern von Bethlehem, und die Futterkrippe als sein Kinderbettchen erinnern auch ein bisschen an das Kästchen von Mose. Auf den Hirtenfeldern ist es Nacht.
Als Jesus geboren ist, hat Gott etwas Neues begonnen, der Sohn Marias und Josephs ist auch Gottes Sohn. Weil das so klein und am Rand stattfindet, schickt Gott seinen leuchtenden Engel zu den Hirten bei Nacht in ihre prekäre Lebens- und Arbeitswelt. Und gleich hinterher noch die Menge der himmlischen Heerscharen mit einem Lobgesang auf Gott in der Höhe und auf den Frieden auf Erden – dass den Schäfern davon die Ohren klingeln. Sie spüren die große Freude und raffen sich auf, um das Kind zu sehen.
Sie finden das Neugeborene sicher auch süß. Und sie verstehen es als Zeichen, dass auch ihr Leben in ein neues Licht taucht.
Maria und Joseph fliehen mit ihrem Kind vor dem blutrünstigen König Herodes ausgerechnet nach Ägypten. Wie Moses Eltern und Schwester hintergehen sie die tödliche Macht. Offenbar liegt dieses subversive Element ebenfalls im Bereich von Gottes Möglichkeiten.

In Gottes Licht lebenDas Licht der Welt sehen und selber in seinem Licht leben, dazu will uns die Weihnachtsgeschichte gewinnen: mit der Erzählung vom Licht der Geburt Jesu und mit der Erinnerung an das schon früher aufscheinende Licht bei der Geburt Moses.
Hans Jürgen Hufeisen hat sein Leben als ausgesetztes Kind begonnen. Er beschreibt an einer anderen Stelle, wie gerade die Geschichten und die Lieder von Weihnachten den Blick auf sein Leben immer wieder erwärmt und hell gemacht haben. Und wie er es durch seine Musik damit auch für andere hell machen konnte. Davon, liebe Gemeinde, können jedenfalls Findelkinder, aber auch wir alle niemals genug haben. Amen.


Wertvolle Anregungen habe ich aus: Alexander Deeg / Andreas Schüle, Die neuen alttestamentlichen Perikopentexte, Evang. Verlagsanstalt Leipzig, S. 108ff; Deutschlandfunk: Über Findelkinder. Verklappt. Verstoßen. Weggegeben
https://www.hoerspielundfeature.de/ueber-findelkinder-verklappt-verstossen-weggegeben-100.html-(Den Namen des Findelkindes „Suriza Strbac“ habe ich nach mehrfachen Anhören so aufgeschrieben. Möglicherweise wird er anders geschrieben – im obigen Feature bei 14:10 nachzuhören.) Mehr zur Geschichte des Findelkinds Hans Jürgen Hufeisen in einer Radiosendung mit ihm:https://www.youtube.com/watch?v=4dq77-lnTy0

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