1. Weihnachtsfeiertag (25. Dezember 2020)
Jesaja 52, 7-10
IntentionGottes Kommen zur Welt ist eine Freudenbotschaft, die selbst Trümmer zum Jubeln bringt. Sie bringt Menschen auf die Beine und macht sie zu weihnachtlichen Freudenboten.
52,7 Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten,
der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt,
der da sagt zu Zion: Dein Gott ist König!
8 Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und jubeln miteinander;
denn sie werden's mit ihren Augen sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt.
9 Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems;
denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.
10 Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker,
dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.
Liebe Gemeinde!
Am Schritt kann man oft schon von ferne unsere Stimmung erkennen. Mit schweren Schritten geht die Abiturientin im Schulgebäude die Treppen hinauf zum Prüfungsraum. Die mündliche Prüfung steht unmittelbar bevor. Die Füße fühlen sich schwerer an als sonst. Sämtliche Prüfungsthemen jagen ihr durch den Kopf. Nach der Prüfung wird sie ein zweites Mal hereingerufen zur Eröffnung der Note. „Eine sehr gute Leistung, Glückwunsch!“ Überglücklich und mit leichten Füßen geht’s die Treppen hinunter. Mit beschwingtem Schritt läuft sie durch die Straßen der Stadt und vermeldet atemlos zuhause die Freudenbotschaft.
Am Schritt kann man schon von ferne die Stimmung erkennen. So auch im Predigttext zum Christfest: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten.“ Was für ein schöner Klang! Schnelle Beine, beschwingt von der guten Nachricht!
Die Freudenbotschaft bringt sogar Trümmer zum JubelnIn bilderreicher Sprache sagt der Prophet die Rückkehr Gottes nach Jerusalem an. Jahrelang waren sie verschleppt gewesen im Feindesland. Jetzt sieht der Prophet vor seinem geistigen Auge, wie der Freudenbote auf Jerusalem zueilt. Er bringt die Freudenbotschaft mit: „Ihr seid nicht länger verlassen. Gott kehrt zurück in die Stadt, auf seinen Berg Zion. Ihr werdet es daran sehen, dass die verschleppten Bewohner und ihre Nachkommen zurückkehren!“ Diese Freudenbotschaft schwillt zu einer großen Bewegung an. Die Wächter der Stadt sehen den herannahenden Freudenboten. Sie brechen in Jubel aus. Die überbordende Freude der Wächter erfasst die ganze Stadt Jerusalem und ihre Einwohner. „Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems!“
Gott hat sich in Bewegung gesetzt und kehrt nach Zion zurückDiese Freudenbotschaft trifft in Jerusalem auf Menschen, deren Hoffnung auf Sparflamme niedergebrannt ist. Nicht nur viele Häuser und die Stadtmauer liegen in Trümmern. Auch der Glaube ist in Trümmerstücke auseinandergeborsten. Besonders, dass der Tempel zerstört dalag, das bedeutete für die Jerusalemer eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes, und zwar für die Zurückgebliebenen wie für die Verschleppten: Der zerstörte Tempel war für sie nur so zu verstehen, dass Gott nicht mehr in der Mitte seines Volkes wohnte. Dass er Zion verlassen hat. Und Zion, das meint die Stadt Jerusalem samt dem Tempelberg, wo er bisher wohnte oder mindestens erreichbar war.
Die Freudenbotschaft lautet: Gott setzt sich in Bewegung! Er kommt. Er kehrt zurück nach Zion, nach Jerusalem. Er wartet nicht, bis alle Trümmer aufgeräumt sind, bis alles wiederaufgebaut ist. Nein, jetzt kommt er! Gott kehrt zum Zion zurück. So fasst der Prophet in Worte, was er vor seinem inneren Auge schaut.
Die Freudenbotschaft der Heiligen Nacht: Gott kommt zur ganzen WeltIn dieses Handeln Gottes mit dem Volk Israel wird die ganze Welt mit einbezogen.(1) In der Heiligen Nacht, kommt ein Freudenbote vom Himmel. Er tritt zu den Hirten auf dem Feld vor der Stadt Bethlehem. Wie bei einem Stafettenlauf nimmt er auf, was der Freudenbote im Alten Testament angekündigt hat: „Gott kommt!“ Und der himmlische Freudenbote weitet diese Ankündigung auf: „Gott ist zum Zion gekommen. Und heute ist Gott zur Welt gekommen!“ Mit den Hirten hören auch wir den Freudenboten: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“
Gott kommt zur Welt. Und er bringt Frieden mit. Er bringt Gutes mit. Er bringt Heil und Rettung mit. Heil, das bedeutet, dass Tränen getrocknet werden, Wunden geheilt werden, Zerbrochenes zusammengesetzt, Bruchstücke zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Heil, dafür steht im Hebräischen Jeschua, Jesus. Jesus ist der, der Heil bringt, der Heiland. Heiland meint nicht eine süßlich-verkitschte, letztlich harmlose Gestalt. Nein, in Jesus begibt Gott sich herein in diese unsere Welt, wo so vieles nicht heil ist, wo vieles nicht gut und nicht friedevoll ist. Er beginnt zu heilen, was zerbrochen ist. In Jesus begibt Gott sich herein in unsere Welt, wo so viele Trümmer liegen – Trümmer in den Krisenregionen, Trümmerlandschaften in unseren Seelen. Für uns sind Trümmer das Ende unserer zerbrochenen Träume. Für Jesus Christus sind sie der Anfang dessen, was er aus unserem Leben machen will. So hat er es ja schon auf seinem irdischen Lebensweg praktiziert: Er hat die Kaputten aufgespürt und gefunden, die Verlorenen, die, die sich selbst verachtet haben. Aus solchen Menschen hat Jesus neue Menschen gemacht, die trotz aller Risse heil und ganz waren, weil er sie mit seiner Liebe heil und ganz gemacht hat. Wenn ich ihm meine Trümmer überlasse, kann er auch mit mir etwas Neues beginnen. Versteinerte Verhältnisse werden wieder lebendig und hier und dort zum Tanzen gebracht.
Hat Gott die Ankündigungen des Freudenboten eingelöst?Sind das alles nicht zu große Worte? Hat Gott denn sein Versprechen eingelöst?
Der Freudenbote auf dem Hirtenfeld verkündet die Geburt des Christus, der Heil und Frieden bringt. Frieden, Heil, Gutes, das sind zarte Pflänzchen, die Gottes Kommen zur Welt begleiten. Zwischen gewaltigen Trümmern sind sie ständig gefährdet – aber immerhin, sie wachsen auf. Da und dort sind sie zu erspähen. Überall dort, wo Menschen den Weg zur Krippe gehen und sich vom Kind berühren lassen, von dem Frieden und dem Heil, das es bringt. Von dort aus führt der Weg weiter zu anderen. Es kommt zu Begegnungen, wie sie Saša Stanišić in seinem familienbiografischen Roman „Herkunft“ erzählt, von dem ein Ausschnitt im diesjährigen Anderen-Adventskalender abgedruckt ist. Der aus Bosnien stammende Autor hat schmerzhaft erfahren, wie Herkunft zu Konflikten führen und Menschen gegeneinander aufbringen kann. Aber beglückt erzählt er, wie er in Heidelberg angekommen und angenommen worden ist – und Heimat fand. Saša Stanišić erzählt, wie der Zahnarzt Dr. Heimat nicht nur seinen bosnischen Karies behandelt, sondern ihn auch fragt, wie es denn ihm und seiner Familie jetzt nach den ersten Monaten in Deutschland gehe. Er hat ein offenes Ohr für die Ankunfts-Schwierigkeiten und für die Trümmerlandschaften in den Seelen. Dr. Heimat lädt Saša und seinen Großvater zum Angeln an den Neckar ein. Er hat nicht nur Angelscheine besorgt, sondern auch Brot geschmiert und Saft und Bier mitgebracht. Saša Stanišić erzählt glückselig: „So standen wir Stunden nebeneinander am Neckar, ein Zahnarzt aus Schlesien, ein alter Bremser aus Jugoslawien und ein fünfzehnjähriger Schüler ohne Karies, und wir hatten alle drei ein paar Stunden lang vor nichts auf der Welt Angst.“(2) Eine Spur von Heil und Frieden, mitten in dieser Welt. Der Weg zur Krippe wird zu einem Weg zum anderen. Die Freude über das Kommen Gottes führt zur Sorge um eine menschlichere Welt.
Aber die Prophetenworte sind erst teilweise erfüllt. Sie enthalten einen Überschuss an Hoffnung, einen „Extratopf Hoffnung“, wie Dorothee Sölle einmal sagte (3). Aus diesem Extratopf Hoffnung erfahren wir Stärkung, nicht aufzugeben. Stärkung, schon jetzt Zeichen des Friedens, Zeichen des Heils zu setzen, bis Gott sie endgültig durchsetzt.
Dem Freudenboten zur Krippe folgen und selbst weihnachtliche Freudenbotin werden*„Euch ist heute der geboren, der das Heil Gottes in die Welt bringt, der Heiland“, so hat es der Freudenbote auf den Hirtenfeldern verkündet. Die Hirten sind seinem Fingerzeig gefolgt. Sie haben sich aufgemacht nach Bethlehem. Sie haben das Kind in der Krippe gesehen. Mit ihm beginnt Gott heilzumachen, was in dieser Welt in Trümmer auseinandergefallen ist. Die Hirten haben sich davon berühren lassen. Sie wurden dadurch ihrerseits zu Freudenboten: „Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war… sie priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten.“
Der Dichterpfarrer Albrecht Goes hat einmal gesagt: „Gottes Weihnachtswelt ist voller Boten – und einige sind unterwegs zu dir.“(4) Wo wir von der Weihnachtsfreude angesteckt werden, werden wir unsererseits zu Freudenboten. Wir sind gerufen, uns in diese Schar einzureihen und selber eine und einer von denen zu werden, von denen der Prophet sagt, dass man an ihrem Schritt schon von ferne ihre Freuden-Stimmung erkennt: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!“ Amen.
Anmerkungen
1 Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV,1, S. 182
2 Saša Stanišić, Herkunft, München 2019, S. 171-173; auch abgedruckt in: Der 26. Andere Advent, Freitag, 18.12.2020
3 Der kleine Extratopf Hoffnung (12.02.2009) • Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW • Alle Beiträge • Kirche im SWR (kirche-im-swr.de)
4 Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die evangelische Landeskirche in Württemberg, 20072, S. 93
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