1. Sonntag nach Weihnachten (30. Dezember 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer und Studienleiter Johannes Gruner, Bad Urach [Johannes.Gruner@elkw.de]

Matthäus 2, 13-23

IntentionGott ist gerade bei denen, die in Not und Angst leben. Er gibt ihnen eine Zukunft, die ihnen Leben ermöglicht und weist diejenigen zurecht, die Angst und Schrecken verbreiten. Das Beispiel von Asia Bibi am Ende der Predigt muss auf ihre Aktualität hin angepasst werden. Z.Zt. (02.12.2018) befindet sie sich an einem unbekannten Ort in Pakistan, geschützt von der Regierung und der Justiz.

Liebe Gemeinde!
Nach Weihnachten: die raue Wirklichkeit. Diese Geschichte unterbricht unseren Weihnachtsfrieden. Wegen eines einzigen Menschen mussten alle Säuglinge in Bethlehem getötet werden? Jesus auf der Flucht? Und die Familie kehrt nicht in ihren Heimatort zurück, sondern nach Nazaret in Galiläa? Weihnachten ist vorbei. Die raue Wirklichkeit liegt vor uns. An Heiligabend wurde hier in der Kirche gesungen: „Christ, der Retter ist da!” Wir haben die Worte der Engel gerne vernommen: „Frieden auf Erden.” Wer unter uns hat in den letzten Tagen tatsächlich Frieden erlebt? In der Familie oder alleine, da sieht es oft ganz anders aus. Da herrschen Sorgen. Wie soll es mit den alten Eltern weitergehen? Und mancher Arbeitslose oder manche Hartz-IV-Empfängerin glaubt diesen Worten der Heiligen Nacht sowieso nicht. Ihr Alltag ist nicht schön. Große Not bestimmt oft ihr Leben.

FluchtgründeDiese Geschichte von Herodes’ Kindermord atmet nichts von der Lieblichkeit des Heiligabend. Hier wird ums Überleben gekämpft. Josef kämpft, damit seine Frau und ihr Kind eine Chance zum Weiterleben haben. Sie flüchten. Brechen auf ins Ungewisse. Sollen wir wirklich alles zurücklassen? werden sie sich gefragt haben. Und dann durch die Wüste gehen? Werden uns Wegelagerer überfallen? Und wie werden die Menschen am Zielort wohl reagieren? Vor allem: Wird unser Kind dies überleben? Der Traum. Für Josef wird es ein Angsttraum gewesen sein. „Mach dich auf!” Ein Engel soll das gesagt haben. Das hört sich sehr freundlich an. Aber für Josef wird es unbändigen Schrecken ausgelöst haben. Dass es ein Engelstraum war, der es gut mit ihm meint, das hat Josef erst am Ende wahrgenommen.

Steh auf und flieh nach Ägypten. Sicherlich. Ägypten. Dorthin reicht die Hand des Herodes nicht. Und was tut man nicht alles, um den Kindern Leben zu ermöglichen. Abscheu erregt, wer an Kinder Hand anlegt. Es muss ja nicht gleich Tod sein. Auch schon Misshandlungen tun weh. Verächtlich behandelt zu werden hinterlässt oft bleibende Spuren. Niemand begibt sich gern auf die Flucht. Immer ist es unsicher, ob man das Ziel erreicht. Immer ist es unsicher, wie man in dem Land aufgenommen wird, in dem man Schutz sucht. Aber wenn die Alternative ist, umgebracht zu werden, dann bricht man auf. Und wenn es um das Überleben der Kinder geht, nimmt man all die Gefahren auf sich, nur um sie zu schützen.

Herodes tobt und zeigt sich in seiner Wut als schwachIn Jerusalem aber sitzt einer, der tobt. Einer, der wütet. Ein Mächtiger. Zumindest meint er es. Einer, der alles dafür tut, dass seine Macht erhalten bleibt. Dabei geht er skrupellos über Leichen. Als solchen kennen ihn die Menschen. Ihm ist alles zuzutrauen. Er fragt nicht nach Recht und Gesetz. Gerechtigkeit ist für ihn ein Fremdwort. Wenn einer davonkommt, hat er halt Glück gehabt. Von der Grausamkeit des Herodes wird viel berichtet. Von seiner Schwäche nichts.

Doch wer tobt, wer anderen das Leben nicht ermöglicht, zeigt, dass er in Wirklichkeit schwach ist. Die Mächtigen haben Angst vor ihrer eigenen Schwäche. Ich erlebe das immer wieder. Die Mächtigen fürchten um ihre Autorität. Heißen sie nun Trump oder Assad. Menschen, die unabhängig sind von der Meinung der Vorgesetzten, sind verdächtig. Man versucht, sie auf Linie zu bringen. Wer unabhängig bleiben möchte, muss darum oft Unannehmlichkeiten ertragen. Die Untergebenen suchen danach, wie sie Freiheit erlangen können. Und sei es durch Flucht. Auch das fürchten die Mächtigen. Denn auch daran wird offensichtlich, wie wenig sie geachtet sind.

Die Willkür der MächtigenGewaltherrscher gehen über Leichen. Rücksichtslos. So sind sie, die Mächtigen, sagt die Bibel. „Da wird erfüllt, was durch den Propheten Jeremia gesagt ist.” In Bethlehem hört man ein Weinen. Es wird einfach festgestellt, dass das so ist. Nicht: „Damit erfüllt wird.” Vielmehr einfach beschreibend: „Da wird erfüllt.” So ist es. So haben wir es schon immer erlebt. Und so werden wir es auch in Zukunft erleben. Die Mächtigen tun, was sie wollen. Nur um wenigstens vor sich selbst zu zeigen, dass sie mächtig sind. Die Geschichten um die Geburt Jesu erinnern uns daran.

Gott handeltDem setzt Gott etwas anderes entgegen. Unscheinbar handelt Gott. Zunächst ist es nicht zu sehen. Doch es geschieht im Kleinen. An den Schwachen und Hilflosen. Über einen hält er seine Hand und schützt ihn. Später wird der eine sein Leben für die vielen lassen. Da ist es umgekehrt: Einer stirbt, damit viele am Leben bleiben. Jesus stirbt, damit die, die an ihn glauben, leben. Jesus zeigt mit seiner Auferstehung, dass selbst der Tod, mit dem die Mächtigen drohen, machtlos ist. Dass der Tod nicht das letzte Wort hat.

Die Furcht der Mächtigen: der eigene TodNach ein paar Jahren träumt Josef wieder. Und wieder hört er die Worte: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter. Sie sind tot, die dem Kind nach dem Leben trachteten.“ Das ist der Schrecken aller Herrschenden: dass sie selbst sterblich sind. Darum töten sie, um sich selbst zu zeigen, dass sie Macht über das Leben haben. Ja, über das Leben haben sie Macht, aber nicht über den Tod. Auch er wird sie ereilen.

Ein Engelswort„Nimm das Kind und seine Mutter”, hört Josef im Traum. Und sie ziehen zurück ins Land Israel. Aber sie kehren nicht dorthin zurück, wo ihnen vielleicht wieder Misshandlung und Tod drohen. Sie ziehen nicht nach Bethlehem zurück. Man muss nicht heldenhaft der Gefahr erneut ins Gesicht sehen, wenn man sie gerade hinter sich hat. Josef zieht nach Galiläa, nach Nazareth. Er bringt das Kind und seine Mutter – und sich selbst – in Sicherheit. Geführt von Gott. Geführt von dem Engel im Traum.

Weinachten: Gott gibt uns ZukunftAuch das ist für mich die Botschaft des Christfests: Zuerst sieht es nach Untergang aus. Und am Ende hoffen alle. Was aussieht, als ob Unrecht siegt, endet mit einem Blick in die Zukunft. Am Ende kommt doch der Frieden, der uns mit diesem Kind geschenkt wird. Doch dazwischen liegen finstere Täler, Täler der Flucht, des Hungers. Täler, in denen man nicht sieht, wie es weitergeht. Aber in dem allen geht Gott mit. Er lässt die Familie nicht allein. Sicher haben sich Josef und seine Frau oft gefragt: Wo ist Gott? Begleitet er uns? So frage ich mich auch in Zeiten der Not. In Zeiten, in denen ich nicht weiß, wie es weitergehen soll. Wenn Menschen über Menschen herrschen. Menschen, die Macht über uns haben und unser Leben einschränken. Da ist es gut, zu hören: Gott lässt uns nicht aus den Augen. Sicher, ein Happy End ist uns nicht verheißen. Aber Gott lässt uns nicht allein.

Asia BibiVielleicht haben Sie auch in den letzten Wochen die Geschichte von Asia Bibi mitverfolgt. Die pakistanische Christin wurde im Dorf beim Wasserholen am Brunnen von einer Nachbarin der Lästerung Mohammeds bezichtigt. Wie viele Christen in Pakistan wurde auch sie angeklagt und eingesperrt. Ja, sie wurde zum Tode verurteilt und saß neun Jahre in ihrer Zelle. Dann wurde sie vom obersten Gericht in Pakistan freigesprochen. Die fundamentalistischen Nationalisten protestierten heftig gegen dieses Urteil. „Das Christentum gehört nicht zu Pakistan!”, sagen sie. Wie es endgültig ausgeht ist noch ungewiss. Aber vielleicht kommt sie doch noch frei und findet mit ihrer Familie in Europa, in Deutschland eine neue Bleibe? Vielleicht sogar eine neue Heimat? Eine Hoffnungsgeschichte? Asia Bibi und ihre Familie vertrauen auf Gott und sind sich sicher: Gott begleitet uns. – Amen.

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