1. Sonntag nach Trinitatis (14. Juni 2020)
Apostelgeschichte 4, 32-37
IntentionDie Predigt lässt sich durch das anspruchsvolle Bild von der Gütergemeinschaft der ersten Christen inspirieren. In unserem Leben kennen wir Momente der Großzügigkeit und Momente ängstlicher Selbstsorge. Vertrauen auf Gottes Fürsorge macht frei zum Teilen! Dazu will die Predigt ermutigen.
Liebe Gemeinde,
haben Sie das auch schon einmal erlebt? Ein Kind sitzt neben einem Sandkasten auf einem Berg von Spielsachen. Unter ihm und um ihn herum liegen Schaufeln und Bagger und Sandförmchen und Gießkännchen und Eimer. Es sitzt dort wie ein kleiner König auf seinem Thron. Und im Sandkasten daneben sitzt ein zweites Kind. Es hat gar kein einziges Spielzeug.
Und obwohl das zweite Kind nichts zum Spielen hat und das erste Kind so viele Sachen, dass es unmöglich mit mehr als zwei oder drei gleichzeitig spielen kann, gibt es dem anderen Kind nichts ab. Das zweite Kind fängt an zu weinen. Das erste Kind gibt nichts ab. Erwachsene reden mit Engelszungen auf das Kind mit den Spielsachen ein. Doch es gibt nichts von seinem Besitz ab. Vielleicht wird es irgendwann das Interesse an seinem Spielzeugberg verlieren oder abgelenkt sein. Dann hat das zweite Kind eine Chance. Aber freiwillig teilen? Kommt nicht in Frage.
So können Kinder sein. Aber nicht nur so: Dasselbe Kind, dass am Nachmittag unnachgiebig auf seinem Spielzeugberg thront – es wird vielleicht am selben Abend mit seiner Oma beim Abendbrot sitzen, und ihr – Löffel für Löffel – von seinem heißgeliebten Lieblingsjoghurt abgeben. Obwohl nur noch dieses einzige im Kühlschrank übrig war. Nicht weil die Oma dieses Joghurt so schrecklich gerne essen würde, sondern weil das Kind es unbedingt mit seiner Oma teilen möchte. Um ihr zu sagen: So lieb habe ich dich, dass ich dir von meinem Lieblingsessen abgebe.
Mit anderen teilen: Manchmal ist das die reine Freude. Und dann wieder ist es so schwer. Nicht nur für Kinder.
Der Predigttext für diesen Sonntag erzählt auch eine Geschichte über das Teilen. Die Geschichte spielt nur wenige Wochen nach Ostern in Jerusalem. Die Jünger Jesu sind noch ganz erfüllt von der ersten Begeisterung über die Auferstehung ihres Meisters. Immer mehr Menschen kommen zum Glauben an Jesus. Eine christliche Gemeinde beginnt zu entstehen. Das gemeinsame Leben dieser Gemeinde beschreibt die Apostelgeschichte im 4. Kapitel (Verse 32 bis 37) so:
„Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.
Josef aber, der von den Aposteln Barnabas genannt wurde – das heißt übersetzt: Sohn des Trostes –, ein Levit, aus Zypern gebürtig, der hatte einen Acker und verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen.“
Gemeinde – frisch verliebtEine Gemeinde wie aus dem Bilderbuch. „Ein Herz und eine Seele!“ – „Sie hatten alles gemeinsam.“ Wer zu wenig hat, wird von anderen beschenkt. Wer viel hat, verkauft etwas und stellt es allen zur Verfügung.
Ein wenig erinnert mich diese Schilderung der Urgemeinde an ein frisch verliebtes Pärchen: In der Zeit der ersten Verliebtheit erscheint die Welt rosarot, alles dreht sich nur um die beiden Verliebten, sie machen sich Geschenke, sie schreiben sich ständig oder rufen sich an, sie sind bereit auf alles Mögliche zu verzichten – ob Hobbies oder Freunde – nur um Zeit miteinander verbringen zu können. Sie sind, kurz gesagt: ein Herz und eine Seele und haben alles gemeinsam.
Wie bei einem frischverliebten Pärchen, so geht es scheinbar auch in der ersten Gemeinde in Jerusalem zu: Die Begeisterung über die Osterbotschaft ist noch ganz neu. Jesus ist auferstanden, der Tod ist besiegt, Gott ruft alle Menschen zu sich, weil er alle Menschen liebt!
Die ersten Christen sind sozusagen verliebt ins Evangelium, verliebt in Gottes Gnade und das überträgt sich auch auf das Miteinander. Der gemeinsame Glaube ist jetzt wichtiger als alles andere, und da erscheint das Teilen plötzlich kinderleicht. Grundstücke und Häuser, das sind doch nur Gegenstände, was sind sie gegen die neuen Geschwister im Glauben! Bevor mein Bruder oder meine Schwester hungern muss, da denke ich doch nicht lange nach, da verkaufe ich doch den Acker, den ich sowieso nicht brauche!
Wenn Sie an unser Kind mit dem Sandkastenspielzeug und dem Lieblingsjoghurt denken: In der Jerusalemer Urgemeinde ist definitiv Joghurtzeit! Keiner sitzt auf seinen Besitztümern, alle teilen bereitwillig und gerne. Es wirkt fast wie ein Wettbewerb: Wer ist am selbstlosesten? Wer hilft am meisten? Paradiesische Zustände. ein Herz und eine Seele.
Doch, was würden Sie sagen: Wie lange hält die Verliebtheit an? Ein ganzes Leben? Eher nicht. Ein paar Wochen bei manchen, vielleicht auch ein Jahr oder sogar mehrere. Aber eben nicht ewig. Und auch den ersten Christen geht es da nicht anders. Das Paradies der grenzenlosen Gemeinschaft ist selbst nicht grenzenlos.
Soll das alles gewesen sein?Schon zwei Generationen später sieht das Bild ganz anders aus. Lukas, der Evangelist, von dem dieser Text über die Jerusalemer Urgemeinde stammt, schreibt seinen Bericht ca. 60 Jahre nach den Ereignissen in Jerusalem. Er gehört zu einer christlichen Gemeinschaft, vielleicht in Rom oder vielleicht in der Nähe von Korinth. Jedenfalls ist seine Gemeindewirklichkeit – wie wohl in den meisten christlichen Gemeinden der damaligen Zeit – inzwischen eine andere. Der Schwung der ersten Begeisterung hat sich gelegt. Das Miteinander ist nicht mehr so herzlich. Eine gewisse soziale Kälte hat sich breit gemacht. Es gibt nun auch in der Gemeinde Reiche und Arme. Manche haben mehr als sie ausgeben können, und manchen fehlt das Nötigste. Wie überall sonst, sind die Reichen auch in der Gemeinde die Mächtigen und Einflussreichen; sie sitzen am Tisch ganz oben, sie haben etwas geleistet, also wollen sie auch Anerkennung dafür. Unten sitzen die kleinen Leute, Sklaven sogar, jedenfalls nicht auf Augenhöhe mit den Großen und Wichtigen. Die Hierarchien, die in aller Welt gelten, haben sich auch in der Gemeinde durchgesetzt.
Die Joghurtzeit ist vorbei, es ist Sandkastenzeit. Die einen haben alles und klammern sich daran. Die anderen haben nichts oder wenig und schielen verstohlen auf die Spielzeugberge der Vermögenden.
Und Lukas, frustriert von der Entwicklung seit den frühen Tagen in Jerusalem, fragt sich: Das soll alles gewesen sein? Das ist übrig von „ein Herz und eine Seele“? Eine Gemeinde, in der Leistung und Besitz genau so stolz machen, wie überall sonst? In der sich die Armen schämen und die Reichen sich brüsten? Eine Gemeinde, die nur die Welt um sich herum verdoppelt? In der es so zugeht wie überall sonst? Das soll alles gewesen sein?
Glaube macht weit, Glaube macht großzügigLukas erzählt die Geschichte von der ersten Gemeinde, um zu zeigen: Jesus wollte mehr. Jesus hat vom Reich Gottes gepredigt, in dem die Letzten die Ersten sein werden und in dem die Armen seliggepriesen werden. Jesus hat die Besitzlosen und Ausgestoßenen zu sich gerufen, mit seiner Menschenfreundlichkeit hat er sogar die Zöllner angesteckt, sodass sie ihren Überfluss mit anderen geteilt haben.
Jesus hat zum Reich Gottes eingeladen, in dem die Reichen davon befreit werden, an ihren Reichtümern zu kleben. Befreit, ihr Leben mit anderen zu teilen und dabei selbst beschenkt zu werden.
In der ersten Gemeinde war dieser Geist Jesu lebendig. Deshalb erzählt Lukas von dieser Gemeinde, weil die Geschichte der ersten Christen zeigt:
Glaube macht weit. Glaube macht großzügig.
Zwischen Sandkasten und JoghurtUnd hier kommen wir ins Spiel. Und der Joghurt. Und der Sandkasten.
Wie geht es Ihnen mit dem Teilen? Sehen Sie sich eher mit dem Joghurt in der Hand, großzügig und freigiebig, voller Freude, dass Sie anderen etwas Gutes tun können – oder sehen Sie sich eher am Sandkasten sitzen, ängstlich und auf sich selbst bedacht? Oder geht es Ihnen wie wohl den meisten, und sie finden sich mal hier und mal dort wieder?
An manchen Tagen großzügig und bereit, von unserem Lieblingsjoghurt zu teilen, bereit die ganze Welt zu umarmen und für einen guten Zweck auch einmal wirklich tiefer in die Tasche zu greifen.
Und dann – an anderen Tagen – wie das Kind auf seinem Spielzeugberg: nur nichts abgeben! Man könnte es ja selbst noch brauchen! Wer weiß!
Es geht nicht nur Kindern so: Die Sorge, zu kurz zu kommen, macht eng und verschließt unsere Hände.
Und es geht nicht nur den ersten Christen so: Der Glaube macht großzügig. Der Glaube und das Vertrauen, dass für uns gut gesorgt ist, machen weit.
Die Enge und die Weite, die Sorge und die Freigebigkeit, beides gehört zum Leben, wenn wir ehrlich sind. Wie kann es dabei gelingen, großzügiger zu leben, befreiter zu teilen, mehr Joghurt- als Sandkastenmomente zu erleben?
Ich glaube ein Schlüssel zur Großzügigkeit liegt darin, sich selbst zu kennen: Was brauche ich, damit es mir gut geht? Was macht mir Freude? Was gönne ich mir gerne? Ein gutes Essen? Frische Blumen auf dem Tisch? Ein schönes Fest zu einem besonderen Anlass – oder auch einfach mal so? Und gönne ich mir das alles auch wirklich? Oder fängt das Knausern schon bei mir selbst an? Kann ich auch mit mir selbst großzügig sein?
Auf der anderen Seite: Wo beginnt das Häufen und Horten? Das Kaufen und Konsumieren, vielleicht um sich abzulenken? Wo beginnt das Klammern – gar nicht unbedingt, weil ich so wenig habe, sondern eher, weil ich Angst habe, dass es trotz allem nicht reichen könnte? Und hilft mir dann vielleicht der kleine Satz, den Christen seit Jahrhunderten beten: Unser tägliches Brot gib uns heute? Das heißt, versorge uns, Gott, mit dem, was wir brauchen, damit wir frei werden zu teilen, wovon du uns mehr als genug gegeben hast.
Wohin der Blick fälltÜbrigens: Die ersten Christen, die ihren Acker verkaufen, um den Bedürftigen zu helfen und das Kind, das seinen Lieblingsjoghurt mit der Oma teilt, haben beide etwas gemeinsam. Sie beide sehen auf den Menschen, dem sie etwas Gutes tun wollen, nicht auf die Sache, die sie abgeben. Das Kind, das seine Oma mit dem Lieblingsjoghurt füttert, dem fällt es nicht schwer, auf ein paar Löffel Joghurt zu verzichten, weil es seiner Oma eine Freude machen möchte. Und die Jerusalemer Christen starren nicht auf den Acker, den sie verkaufen. Sie sehen in die Augen der Geschwister, die nichts zu essen haben.
Großzügigkeit beginnt wahrscheinlich nicht mit dem Blick auf unser Bankkonto, sondern mit dem Blick auf die Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Auf welche Menschen fällt ihr Blick? Welche Not steht Ihnen vor Augen? Wofür möchten Sie sich einsetzen?
Für Kinder und Familien in Ländern, wo sich der Hunger ausbreitet, wie momentan in Ostafrika? Für geflohene Mütter, die Schreckliches durchlebt haben und sich mit ihren Kindern in unserem Land nach Sicherheit sehnen? Für Alte oder Einsame? Für junge Menschen, die wenig Chancen auf eine gute Bildung haben? Oder für Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden?
Ich bin überzeugt: Wenn wir finden, was uns bewegt und woran wir etwas ändern wollen, dann fällt uns das Teilen sehr viel leichter.
Wir beten auch heute – wie in jedem Gottesdienst – das Gebet, das schon die ersten Christen beteten: das Vaterunser. Und wir stimmen ein in ihre Bitte: Unser tägliches Brot gib uns heute. Darin steckt eine Verheißung: Gott sorgt für uns. Wir werden nicht zu kurz kommen. Wir sind frei, frei mit anderen zu teilen.
Amen.
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