1. Sonntag nach Epiphanias (12. Januar 2025)
Josua 3,5–17
IntentionEs gehört zum Leben, dass wir an Schwellen geraten, die uns unsicher machen. Das Gefühl „Das schaffe ich nicht“ kann bedrängend werden.
Wohl denen, die dann Gottvertrauen haben. Und Menschen an ihrer Seite, die auch mal vorangehen; an denen man sich orientieren kann, die zum Vertrauen ermutigen.
Durchs Wasser gehenLiebe Gemeinde, als einst das Volk Israel auszog aus dem Sklavenhaus Ägypten, da mussten sie erst durchs Wasser gehen. Am Schilfmeer war das. Sie kennen die Geschichte, nehme ich an; so ungefähr wenigstens. Ein Wunder war’s, dass sie da durchkamen und die Ägypter nicht.
Ein Wunder war’s auch, dass sie so viel Vertrauen hatten, diesen Weg zu gehen. Er wurde schließlich erst im Gehen sichtbar. Und während der ganzen Passage kamen Wasser von beiden Seiten und ägyptische Verfolger von hinten bedrohlich nahe.
Durchzug durch den JordanAls das Volk Israel nach 40 Jahren Wüstenwanderung dann einzog ins Gelobte Land, mussten sie wiederum erst durchs Wasser gehen. Am Jordan war das, und dies Mal war es Josua, nicht Mose, der das Volk führte. Die Geschichte kennen Sie nicht so gut, nehme ich an. Sie ist heute unser Predigttext.
Vielleicht das noch vorneweg: Wir treffen das Volk bei der Rast am Ufer des Flusses Jordan. Der ist zu normalen Zeiten ein eher bescheidener Fluss. Da kommt man an den Furten schon drüber. Aber manchmal wird auch er zum reißenden Fluss. Wenn zum Beispiel einmal viel Schnee schmilzt im Hermon-Gebirge, wo der Jordan seine Wasser herhat. Eine solche Situation wird jetzt vorausgesetzt, am Ende der langen Tour durch die Wüste.
Ich lese aus dem Buch Josua im 3. Kapitel (Josua 3, 5–17):
„Und Josua sprach zum Volk: heiligt euch, denn morgen wird der HERR Wunder unter euch tun. Und Josua sprach zu den Priestern: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her!
Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.
Und der HERR sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein. Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen.
Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des HERRN, eures Gottes! Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter: Sieh, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan. So nehmt nun 12 Männer aus den Stämmen Israels, aus jedem Stamm einen. Wenn dann die Fußsohlen der Priester, die die Lade des HERRN, des Herrn der ganzen Erde, tragen, in dem Wasser des Jordans stillstehen, so wird das Wasser des Jordans, das von oben herabfließt, nicht weiterlaufen, sondern stehen bleiben wie ein einziger Wall. Als nun das Volk aus seinen Zelten auszog, um durch den Jordan zu gehen, und die Priester die Bundeslade vor dem Volk hertrugen, und als die Träger der Lade an den Jordan kamen und die Füße der Priester, die die Lade trugen, ins Wasser tauchten – der Jordan aber war die ganze Zeit der Ernte über alle seine Ufer getreten –, da stand das Wasser, das von oben herniederkam, aufgerichtet wie ein einziger Wall, sehr fern, bei der Stadt Adam, die zur Seite von Zaretan liegt; aber das Wasser, das zum Meer der Araba hinunterlief, zum Salzmeer, das nahm ab und floss ganz weg. So ging das Volk hindurch gegenüber von Jericho.
Und die Priester, die die Lade des Bundes des Herrn trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.“
Trockenen Fußes durch den JordanTrockenen Fußes also gelangen sie über den Jordan hinein ins Gelobte Land.
Natürlich bleibt mir da ein Fragezeichen, Ihnen vielleicht auch. Soll ich glauben, dass das wirklich so passiert ist? Die Erzählung ist erst vor ein paar Jahren neu aufgenommen worden in die Ordnung der Predigttexte. Allerdings hat die EKD-Kommission dabei jene Verse herausgelassen, in denen das Wasserwunder berichtet wird. Fand auch sie, das sei unzumutbar für moderne Menschen?
Ich habe Ihnen die ausgelassenen Verse vorgelesen. Mir kam die Geschichte ohne sie seltsam amputiert vor. Sonst fehlt auch das starke Bild, wie die Fußsohlen der Priester erst vorsichtig das Wasser berühren – vielleicht so wie wir mit den Zehenspitzen beim Schwimmengehen die Wassertemperatur testen – und sich dann überraschenderweise das Wasser des Jordan staut: viele Kilometer oberhalb. So wird es jedenfalls erzählt: Das Wasser steht wie ein Wall, und siehe da: Ein Übergang ohne nasse Füße wird möglich.
Manche sagen: „Es gibt wahrscheinlich eine natürliche Erklärung für ein solches Phänomen.“
Es gibt Experten, die können die auch geben. Können erklären, wie es sein kann, dass sich das Wasser staut in irgendwelchen Jordanbecken und erst verzögert entleert, so dass an bestimmten Stellen eine ziemlich trockene Querung möglich sein mag.
Andere haben keine Mühe, zu sagen: „So steht es da und so hat es sich zugetragen. Man muss der Heiligen Schrift glauben.“ Ich kann das so nicht. Ich finde ehrlich gesagt auch nicht, dass das allein schon ein Zeichen von besonderem Glauben ist, dass man es für möglich halten kann, dass haarsträubende Dinge wortwörtlich so geschehen sind.
Über „meinen Jordan“ gehenAndererseits bin ich schon der Meinung, dass das starke Bild uns für unseren Glauben etwas Wichtiges zu sagen hat. Bevor das Volk einziehen kann ins Gelobte Land, muss es erst noch durchs Wasser gehen. Was für ein Bild! Auch für mich und meinen Glauben. Was für ein Bild für mein Leben, in dem es schon vorkommt, dass ich mal vor einer Grenze oder einer Schwelle stehe. Und ich weiß: Ich muss drüber über meinen Jordan. Aber ich weiß nicht wie. Weiß nicht, ob ich’s schaffe. Ich habe Angst, dass ich weggespült werde von den Wogen, die verschiedene Namen tragen: Krankheit, Vernichtung, Zerstörung, Chaos, Hass, Verleumdung, Versagen, Unfähigkeit und nicht zuletzt auch einfach nur: Angst.
Selbst manches Detail der Geschichte kommt mir bekannt vor.
Da ist z. B. der Zeitpunkt. Spät kommt es zu dieser Querung des Jordans, das Ziel der Mühen ist schon sichtbar nah. Und das Volk hat schon so viel bewältigt. Außerdem war das Schilfmeer wilder, die Wüstenwanderung kräftezehrender – eigentlich ist man schon quasi da, und dieser harmlose Jordan nur noch ein Grenzlein. Doch dann kommt man schier nicht mehr drüber.
Ich kenne das zum Beispiel als Seelsorgerin von Menschen, die in einer Krebsbehandlung stecken. Da hat man schon viel bewältigt, das Drama der Diagnose, eine große Krise nach der Operation, und dann kommt noch dieser kleine Infekt kurz vor dem Ziel, dem Ende der Chemo, eigentlich gar nicht so schlimm – aber plötzlich einfach zu viel; die Kräfte wie das Vertrauen schwinden. Der an sich harmlose Jordan erscheint unüberwindbar.
„Ihr müsst Vertrauen haben“, sagen dann die Verwandten und andere Begleiterinnen. Und die Betroffenen denken: Ja, wenn ich wüsste, dass es am Ende gut wird, dann könnte ich schon Vertrauen haben.
Aber es ist halt so eine Sache mit dem Vertrauen – das fängt diese Geschichte auch treffend in einem Bild ein: Den ersten Schritt muss man machen, wenn noch nicht klar ist, wie es am Ende ausgeht. Die Priester müssen sich die Füße nass machen. Dieses Risiko des Vertrauens müssen sie wagen.
Sie sind schließlich die Ersten, die vorangehen – auch das ist ein interessantes Detail: Für das Volk ist es gut, dass sie jemanden haben, an den sie sich hängen können mit ihrem wackligen Vertrauen; Leute, die sie führen und die selbst bereit sind, das volle Risiko zu tragen. Dazu ist der Klerus idealerweise auch da. Oder andere öffentlich wahrnehmbare Menschen, z. B. Politiker.
Sich orientieren am HeiligenUnd sie sind ebenso dazu da, unbeirrbar das hochzuhalten und voranzutragen, was man einmal als das Heiligste erkannt und empfangen hat. In der Geschichte tragen die Priester die Lade mit den Tafeln der Gebote. Und sie tragen sie in die Mitte des Flusses, dorthin, wo die Gefahr am größten ist und die Angst wahrscheinlich am heftigsten nach allen greifen will.
Da stehen nun die Zwölf und hüten unbeirrt das, was die Gemeinschaft gründet. Sie hüten den heiligen Willen des Gottes, der aus der Knechtschaft in die Freiheit führt und der vor allem eines von seinen Menschenkindern will: dass sie sich halten an das, was Recht ist und was die guten Regeln der Gemeinschaft sind. Tut das, so werdet ihr leben!
Das gilt doch sicherlich noch immer und für uns in all den Unsicherheiten der Zukunft, auf die wir als Kirche oder auch als Volk zugehen. Dass wir das fest im Blick haben und hüten, was unserer Gemeinschaft heilig war und ist. Daran orientiert euch, so werdet ihr leben! Amen.
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