1. Sonntag nach Epiphanias (07. Januar 2024)
1. Korinther 1,26–31
IntentionIm ersten Kapitel des 1. Korintherbriefs wird deutlich, dass der Weg Gottes, der auf das Kreuz Jesu hinzielt, menschlichem Denken und Planen zuwiderläuft. Das illustriert Paulus mit dem Beispiel der Berufung der Christen von Korinth. Sie haben nichts vorzuweisen, was sie würdig machen würde, von Gott erwählt zu sein.
Das Predigtziel lautet: Gott wählt überraschend anders. Er wählt gerade diejenigen, die wir nach unseren Begriffen nicht wählen würden. Ihre Würde ist nicht die Voraussetzung, sondern die Folge dieser Erwählung.
Wer die Wahl hat, wählt die BestenLiebe Gemeinde, es geschieht oft im Sportunterricht: Da werden für ein Fußballspiel Mannschaften gebildet. Der Anführer einer Gruppe sucht sich weitere Mitspieler aus. Zuerst fällt die Wahl auf die Schnellsten und Kräftigsten. Die Mannschaft soll schließlich schlagkräftig sein. Die Schwerfälligen und Korpulenten kommen dann meistens als Letzte zum Zug. Sie werden eher als Belastung und nicht als Hilfe empfunden. Die Kriterien einer solchen Auswahl sind klar. Und knallhart.
Oder stellen Sie sich vor: In Ihrem Kirchenbezirk ist eine neue Dekanin oder ein neuer Dekan zu wählen. Wem würden Sie da Ihre Stimme geben, wenn Sie wählen könnten?
Es müsste sicherlich eine Person sein, die die Kirche gut nach außen vertreten kann. Also eine repräsentative Persönlichkeit. Und eine Person, die etwas zu sagen hat, also theologisch und darüber hinaus gebildet ist. Und schließlich jemand, die oder der nach innen – zu den Menschen hin – ein feines, seelsorgliches Gespür hat. Nicht zuletzt müsste eine solche Kandidatin oder ein solcher Kandidat auch wirtschaftlich und strategisch denken können, also Führungsqualität haben. In jedem Fall geht es um viele Qualitäten. Und die meisten Stimmen bekommt, wen man für am besten geeignet hält. Manchmal braucht es da eine eierlegende Wollmilchsau.
Gott wählt andersAuch im Predigtwort zum heutigen Sonntag geht es um eine Wahl. Oder anders gesagt: um eine Berufung. Aber es geht da nicht um unsere Stimme und unsere Entscheidung. Es geht darum, wen Gott erwählt.
Der Apostel Paulus hat dabei die Menschen in der christlichen Gemeinde von Korinth im Blick. Hören Sie einen Abschnitt aus dem 1. Brief des Paulus an Christinnen und Christen in Korinth, im 1. Kapitel, die Verse 26 bis 31:
„Seht doch, Brüder und Schwestern, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der für uns zur Weisheit wurde durch Gott und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, auf dass gilt, wie geschrieben steht: ‚Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!‘“
Liebe Gemeinde, Gott wählt überraschend anders. Gerade diejenigen, die wir nach unseren Begriffen nicht wählen würden.
Die christliche Gemeinde in KorinthSchauen wir uns einmal diese christliche Gemeinde in Korinth genauer an. Wie hat sie ausgesehen zur Zeit des Apostels Paulus?
Korinth liegt am Isthmus, einer Landenge zwischen dem Ägäischen und Adriatischen Meer. Die Hafenstadt verdankte ihren Reichtum vor allem ihrer Lage an zwei Meeren. Und wie meistens bei Hafenstädten war die Bevölkerung bunt gemischt: Da gab es Römer, Griechen, Orientalen und auch Juden. Religionen und Kulte waren ineinander vermengt.
Paulus hat dort eine christliche Gemeinde gegründet und auch mehrere Monate lang in Korinth gewirkt. Die Mehrheit in dieser Gemeinde stammte aus den unteren sozialen Schichten. Es waren kleine Leute, darunter Handwerker, Sklaven und Hafenarbeiter. Da waren viele Arme, die zum gemeinsamen Mahl nichts mitbringen konnten. Aber es gab auch Wohlhabende, die aus dem Vollen schöpfen konnten und Häuser besaßen. Zudem gab es konkurrierende Gruppierungen in der Gemeinde. Und manche glaubten, sich alles erlauben zu können. Sie wähnten sich erfüllt vom Heiligen Geist.
Die meisten Christen in Korinth aber hatten nicht viel zu bieten. Ihre finanziellen Möglichkeiten waren spärlich. Stellung und Ansehen waren bescheiden. Verdienste und Vorzüge hatten sie kaum vorzuweisen. Und erst recht nicht Einigkeit.
»Seht doch! – schreibt Paulus – gerade Menschen wie euch hat Gott erwählt.« Nicht die Siegertypen, sondern Menschen auf der Verliererseite. Nicht die Mächtigen, Vornehmen, Weisen und Starken, sondern die Schwachen, Verachteten, Törichten und Geringen.
Warum macht Gott so etwas? Ich denke, zuerst einmal, weil gerade diese Menschen brauchen, dass jemand sie wahrnimmt, achtet und überhaupt ansieht. Und dann auch, damit sich niemand auf sein Christsein etwas einbildet. Damit niemand sich damit brüsten kann, er habe diese Berufung durch Gott verdient. Einer hat es einmal so ausgedrückt: Christen sind nicht besser als andere. Gott kann mit jedem und jeder etwas anfangen. Auch wenn sie schwach, verachtet, töricht und gering sind.
Was nichts ist, hat Gott erwähltSo also wählt und beruft Gott seine Menschen. Schauen wir uns das genauer an: Hinter uns liegen jetzt die Weihnachtsfeiertage. An Weihnachten feierten wir, dass Gott Mensch geworden ist. Als kleines Kind in einer Krippe ist er zur Welt gekommen, wehrlos und arm in einem Stall. An Weihnachten feierten wir, dass Gott in den Tiefen dieser Welt abgestiegen ist, um bei uns zu sein. Um uns in unserer Armut reich zu machen. An Weihnachten ahnten wir bereits, dass dieser Weg in die Tiefe seine letzte Konsequenz und sein Ziel im Kreuz auf Golgatha hat.
Das also ist der Weg, den Gott selbst für sich erwählt hat: Er ist heruntergekommen. Er hat menschliche Gestalt angenommen im Kind Jesus. Er hat alles auf sich genommen bis hin zum Kreuz auf Golgatha.
Dieser Weg ist dem von Menschen Gewählten völlig entgegengesetzt. Darum kann Paulus schreiben: »Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft« (1 Kor 1,18). Aber: »Die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind« (1 Kor 1,25).
Weil der Weg, den Gott für sich selbst gewählt hat, ganz und gar anders ist, darum ist auch die Art und Weise, wie er Menschen wählt und beruft, ganz und gar anders als unsere Art und Weise. Gott wählt und beruft die, von denen wir es am wenigsten erwarten würden. Er hat ein Herz für die Verlorenen. An Jesus ist es erkennbar: Er hat ein Herz für die Verlorenen, weil nicht die Gesunden den Arzt brauchen, sondern die Kranken. Den Ausgestoßenen hat er neue Gemeinschaft geschenkt. Mit Sündern, Zöllnern und Prostituierten hat er sich an einen Tisch gesetzt. Es ist immer die gleiche Bewegung: hinab zu denen, die nichts sind.
Paulus verdeutlicht dies auch daran, wie er selbst zum Glauben an Christus gekommen ist. Nach vielen Erscheinungen des Auferstandenen sei Christus auch ihm, dem Paulus, erschienen – »als einer unzeitigen Geburt«. Er schreibt: »Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin« (1 Kor 15,9–10).
Es ist immer der gleiche Weg in die Tiefe: abzulesen an Gott selbst, abzulesen an Jesus, abzulesen an der Berufung des Paulus und abzulesen an der Berufung der Christen in Korinth.
Eigenlob ist passéDarum könnte man das weihnachtliche Lob auch ganz anders anstimmen: Statt »Ehre sei Gott in der Höhe!« könnten wir auch singen: »Ehre sei Gott in der Tiefe!«
Gott ist nicht jenseits von mir in unerreichbaren Höhen. Er ist mir näher, als ich mir selbst nahe sein kann. Er sieht mich gütig an, auch dann wenn es dunkel wird um mich und in mir. Er nimmt Anteil an meiner Not und führt mich heraus.
Wer den gnädigen Gott so lobt, braucht kein Eigenlob mehr, um etwas zu gelten. Kein Mensch braucht sich mehr selbst zu rühmen. Stattdessen wollen wir uns dankbar und in Demut vor dem Geheimnis Gottes beugen.
An Weihnachten pilgern zahlreiche Christen nach Bethlehem und besuchen dort die Geburtskirche. Auffallend an dieser Kirche ist die niedrige Eingangstür. Sie war ursprünglich größer und wurde später teilweise zugemauert, um berittene Eindringlinge am Betreten des Gotteshauses zu hindern. Dem wurde nachträglich folgender Symbolgehalt zugeschrieben: Wer eintritt und sich dem Geheimnis der Geburt Jesu nähern will, steigt ab von seinem Pferd und übt sich in Demut. Darum nennt man diese Tür auch die »Demutspforte«.
Größer als eine Haltung der Demut sind Freude und Dank: weil Gott in seiner Gnade uns anerkennt, achtet und liebt. Die Würde, die uns Gott verleiht, macht uns dankbar, froh und stark.
Sieh nicht an, was du selber bistMartin Luther hat dieses Geschenk an sich selbst erfahren. In einer Predigt bekennt er: »Ich bin würdig gewesen, dass mich Gott, mein Schöpfer, aus Nichts geschaffen hat und in meiner Mutter Leib gebildet. Ich bin würdig gewesen, dass mich Gott durch seines eingeborenen Sohnes Tod erlöst hat. Ich bin für würdig erachtet, dass der Heilige Geist mich über Christus, Gottes Sohn, belehrt hat und Lust und Liebe zum Evangelium in mein Herz gegeben hat« (EG S. 665).
Luther sagt hier nicht: Seht einmal, was ich für ein toller Kerl bin! Sondern: Schau, was Gott aus mir und aus dir gemacht hat – obwohl wir beide das überhaupt nicht verdient haben. Ja, schau überhaupt nicht auf dich selber. Sondern auf den, der für dich eintritt. Und dann staune darüber, was Gott mit dir anfangen wird. Amen.
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