1. Sonntag nach Epiphanias (12. Januar 2020)

Autorin / Autor:
Pfarrer Thomas Oesterle, Schorndorf [thomas.oesterle@elkw.de]

Matthäus 3, 13-17

3,13 Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe.
14 Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?
15 Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gehört es sich; so sollen wir alles tun, was die Gerechtigkeit verlangt. Da ließ Johannes sich darauf ein und taufte Jesus.
16 Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen.
17 Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Liebe Gemeinde,
am vergangenen Montag, beim Erscheinungsfest, ging es thematisch auch um die Weltmission. Es ist auch am heutigen Sonntag noch reizvoll, in die Weltchristenheit zu sehen, um unseren jetzigen Predigttext zu deuten. Man kann bei diesem Blick in die weltweite Christenheit entdecken, was bestimmte Bibeltexte bei Christen in anderen Ländern und Kulturen auslösen.

EinleitungIch denke, es ist in diesen Tagen ganz gut, gerade nach Jahren, in denen wir Russlands Politik zunehmend als aggressive Bedrohung empfanden und auch die Rolle der russisch-orthodoxen Kirche in ihrer Unterstützung des russischen Nationalismus als problematisch beurteilten, einen Blick auf eine Besonderheit der russischen Volksfrömmigkeit zu werfen. Vielleicht kann das helfen, Fremdheit und Angst abzubauen.
Immer wenn in diesen Januartagen die orthodoxe Kirche die Taufe Jesu im Jordan feiert, geschieht Erstaunliches in Russland. Mit geistlichem Gesang weiht ein Priester in prunkvollem Ornat bei deutlichen Minusgraden das Wasser der Flüsse und Seen. Am Platz der Revolution in Moskau tut der Priester dies stilecht in einem Becken aus Eisblöcken, das von einem Kreuz aus Eisblöcken gekrönt wird. Dann läuten die Glocken – und schon springen die Morschi – übersetzt „die Walrösser“ – unter lautem Geschrei ins eiskalte Wasser der Moskwa, tauchen dreimal unter, bekreuzigen sich und beten für ihre Nächsten. „Molodez, Molodez“ – „du Prachtkerl“, das rufen die Zuschauer – in warme Mäntel gehüllt – diesen Eisschwimmern zu. Es gibt dazu 54 Stellen alleine in Moskau, die zum Eisbaden freigegeben sind. 120 000 eisbadende Moskauer stürzen sich in der russischen Hauptstadt in den kalten Fluss und das Zivilschutzministerium hat eine extra Stabsstelle mit Hunderten von Sicherheitskräften und Sanitätern für diesen Zweck eingerichtet. In ganz Russland bewachen ca. 30 000 Sicherheitskräfte rund 3000 Eislöcher, die am Tag der Taufe Jesu ins Eis geschlagen werden, oft in der Form von Kreuzen. Die Eisbadenden sind sich sicher: Dieses Ritual stärkt die Gesundheit und reinigt die Seele. Ljubov aus Moskau formuliert es so: „Es ziept auf der Haut, aber das Gefühl ist gut, es ist im Wasser wärmer als an der Luft, einfach herrlich, wie eine zweite Geburt!“ Russische Ärzte warnen zwar Herz-Kreislauf-Patienten davor, am Eisbaden teilzunehmen. Auch die russisch-orthodoxe Kirche unterstützt nicht übertriebenen Mutproben und empfiehlt besonders den Älteren, doch geweihtes Eiswasser in Flaschen zu füllen und zuhause zu trinken. Aber es bleibt dabei: Am Tag der Taufe Jesu stürzen sich Tausende von hartgesottenen Russen bei Frosttemperaturen in Badehose und Bikini in vereiste Seen und Flüsse.

Teil 1Was hat nun diese – uns vielleicht befremdende – Form der Tauferinnerung mit unserem Predigttext zu tun? Nun zunächst einmal ist es ja so, dass auch Johannes der Täufer, als einsamer Rufer in der Wüste, auch nicht so recht zu unserer nachweihnachtlichen Stimmung passt. Die Geschichten um die Geburt des Johannes sind für uns eher mit Weihnachten verbunden: vom Vater Zacharias, dem Priester, dem es buchstäblich die Sprache verschlug, bis er seinem einzigen Sohn den von Gott gebotenen Namen gab; und von der alten Mutter Elisabeth, die Besuch von ihrer Verwandten Maria bekam. Doch der erwachsene Täufer, der fernab von allem Feiern in der Wüste lebt, sich nur von Heuschrecken und wildem Honig ernährt und das Leben der Menschen infrage stellt, er stört unsere Weihnachtsstimmung. Und doch ist es vielleicht gerade er, der uns zeigt, was Weihnachten heißt. Johannes ist ja ein Zeigender. Sein Finger zeigt auf das Jesus. Er weist uns darauf hin: Das Licht der Liebe Gottes scheint in unsere Finsternis. Es durchbricht die Wüstenschichten unseres Lebens und unserer Welt.
Ich will dieses Phänomen des Zeigenden anhand von Bildern deutlich machen und will Ihnen zwei Kunstwerke zeigen, die diese Figur des zeigenden Johannes aufgreifen. (Bild 1 Johannes auf dem Isenheimer Altar) Wer kunstgeschichtlich ein wenig bewandert ist, kennt diesen Ausschnitt aus dem Isenheimer Altar. Johannes der Täufer ist hier von Matthias Grünewald ganz auf diesen ausgestreckten Arm und diesen zeigenden Finger hingemalt. „Dieser muss wachsen, ich aber muss abnehmen“ (Joh. 3,30). Dieses Zitat aus dem Johannesevangelium ist über diesem Arm des Johannes geschrieben. So wird Bibelwort und Bild ganz eng verflochten und das Kunstwerk macht ganz deutlich sichtbar: Johannes bereitet nur den Weg, aber er will nicht selbst verehrt werden. Er weist von sich weg, auf den Eigentlichen, um den es geht. Die Dichterin Eva Zeller schreibt dazu: „Die Winke des Schicksals / habe ich nie verstanden / die mit dem Zaunpfahl / nur den Hinweis der Hand / die mit dem verlängerten Zeigerfinger / auf ein Phantombild zeigt.“ Doch ganz so phantomhaft ist das auf dem Klappaltar in Colmar nicht. Worauf Johannes hinzeigt, liebe Gemeinde, das ist der leidende Gekreuzigte von Golgatha, auf dem Isenheimer Altar (Bild 2 Der Kruzifixus des Isenheimer Altars, siehe auch Anmerkung 1). Der katholische Priester Sieger Köder hat dasselbe Kunstmotiv auf ganz eigene Weise so aufgegriffen, dass deutlich wird: Jesus, der Sohn Gottes kommt, um uns einen Weg heraus aus der Wüste zu bahnen. Seine Taufe ist ein Hinweis darauf, dass er uns den Weg zu Gott ebnet. Der ausgereckte Arm des Johannes macht deutlich: Jesus, den er tauft, er räumt den Weg frei, er führt uns aus den Wüsten unserer Schuld und Selbstgefangenheit heraus (Bild 3: Sieger Köder, Johannes der Täufer, siehe dazu Anmerkung 2). Der Getaufte wird alle Hindernisse aus dem Weg schaffen. Darum ruft Johannes auch den Menschen zu: Kehrt um! Macht euch auf und folgt diesem Jesus nach. Johannes ist wieder der Zeigende. Sein Name – zusammengesetzt aus den zwei hebräischen Worten „jachwe und chanan“ heißt übersetzt: „Gott ist gnädig.“ Er will uns sagen, dass an Weihnachten eine neue Zeit beginnt: Gott ist gnädig. Seine Gnade reicht. Aus seiner Fülle können wir leben. Keine Not, keine Schuld, auch nicht der Tod kann uns aufhalten auf diesem Weg, den Jesus der Getaufte uns zum Vater im Himmel bahnen wird. Das Vertrauen darauf feiern wir mit diesem Predigttext und den Hinweis auf diesen Weg zum Licht, der mit Jesus von Nazareth begründet wird, diesen Hinweis hat Sieger Köder in seinem Bild gemalt.

Teil 2Am Ende des Predigttextes sehen wir, wie der Himmel sich öffnet und die Barrieren verschwinden. Gott selbst bekennt sich zu diesem Getauften und erklärt: „Dieser ist mein geliebter Sohn.“ Gottes Geist ergreift Besitz von diesem Jesus aus Nazareth. Damit wird durch den Text akzentuiert: Nicht in Angst, in Bußverkrampfung, im Schrecken wird Gott sichtbar. Johannes hatte bisher in der Wüste gerufen: „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Der nach mir kommt wird seine Tenne fegen und seinen Weizen in der Scheune sammeln, aber die Spreu wird er verbrennen im Feuer! Seht zu, bringt die rechtschaffene Frucht der Buße!“ (aus V. 9-12). Aber – bei all‘ diesen Aufrufen hat sich der Himmel nicht geöffnet. Angst und Schrecken vor Gott zu haben, das sind Erfahrungen, die Menschen machen, wenn Gott sich verbirgt. Sichtbar, hörbar und fühlbar wird Gott aber erst im Vertrauen. Deshalb taucht bei der Taufe Jesu im Jordan, also in dem Moment in dem Jesus sein ganzes Leben Gott hingibt, das Bild von der Taube auf, die vom Himmel herabkommt als eine Verkörperung des Geistes Gottes. Die Taube ist der Inbegriff der Art, wie Gott wirklich von der Welt denkt und dem Menschen gesonnen ist. Diese Taube ist ein Symbol des Friedens, sie ist eine Verwandte jener dritten Taube, die Noah aussandte am Ende der großen Flut, um zu prüfen, wann wohl die Erde ihm wieder zum Grund unter seinen Füßen werde. Als sie mit dem Ölzweig zurückkehrt, ahnt Noah schon: Gott will einen Bund mit mir schließen und das Leben kann neu beginnen. Das ist ein wunderbares Bild der Gnade und ein wunderbares Bild für die Art, in der Gott in der Gestalt Christi sich uns Menschen zu erkennen gibt. Gott zeigt sich nicht in einer Strafaktion, sondern in der Versöhnung des Menschen mit seinem Schöpfer. Indem Gott zu diesem Einen sagt: „Dies ist mein geliebter Sohn“ ist die Voraussetzung geschaffen, dass am Ende des Weges Jesu wir alle sagen können: Gott ist unser liebender Vater und wir sind seine geliebten Kinder.

SchlussNun bleibt am Ende zu fragen: Was hat die orthodoxe Tradition des Eisschwimmens in Russland mit dem allem zu tun?
Nun einerseits wagen sich Menschen hier in das absolut Fremde. Keiner von uns würde bei schneidender Kälte auch nur den Mantel öffnen, und dort gehen fromme, orthodoxe Christen mitten im Winter ins Eiswasser. Dass Jesus aus Nazareth ganz eintritt in seinen Auftrag als Gottessohn, ist auch so ein Sprung ins kalte Wasser. Wir Menschen sind normalerweise gebunden und konzentriert auf das Menschliche, das uns umgibt. Sich ganz auf eine Beauftragung durch Gott einzulassen, das ängstigt uns, das ist fremd. Jesus von Nazareth aber tut das mit einer Radikalität, mit einer Konsequenz, die etwas Übermenschliches hat. Deshalb war es schon richtig als die Kirchenväter sagten, in ihm sein Göttliches und Menschliches „ungetrennt und ungesondert“ vereint.(3) Christus wagt sich in das ganz andere, als Gott ihm zuspricht: „Du bist mein geliebter Sohn!“ Und wir müssen als getaufte Christus uns immer wieder klar machen, dass es ein Aufbruch ins Fremde ist, wenn wir Gott nachfolgen wollen. Gottes Gebote entsprechen nicht immer unseren spontanen menschlichen Regungen.
Andererseits ist das, was die Eisschwimmer in Russland tun, eine interessante Form der Tauferinnerung. Es ist eine sehr leibliche Erinnerung daran, dass man in der Taufe neu geboren wird. Was tun die Eisschwimmer noch, wenn sie im kalten Wasser sind? Sie tauchen dreimal unter, sie bekreuzigen sich und sprechen ein kurzes Gebet für ihre Nächsten. Untertauchen hat immer etwas mit dem Abwaschen der Schuld zu tun, das ist ein Akt der Reinigung. Der gehört zur Taufe dazu, mit Recht ruft Johannes: „Tut Buße.“ Dann bekreuzigen sie sich und das bedeutet: Sie erinnern sich an die tiefste Tat der Liebe, mit der Gott uns seine Liebe gezeigt hat. Sie erinnern sich an einen Gott, der lieber selbst leidet, statt seine Menschen leiden zu lassen. Wir können Gottes geliebte Kinder sein und dass wir diese werden können, das hat in der Taufe Jesu begonnen. Und am Ende beten die Eisbadenden für ihre Nächsten. Ja – wer geliebt wird, kann dann auch Liebe weitergeben, so wie Jesus Gottes Liebe empfing und dann selbst Liebe weitergab.
Christus selbst tat dies:
indem er Aussätzige heilte (wir erinnern uns an die Epidemien auf unserer Erde)
indem er die Kinder segnete (wir erinnern uns an die Flüchtlingskinder unserer Tage) indem er mit Leib und Leben am Kreuz für uns eintrat (wir erinnern uns – gerade nach dem Überfall der Türkei in die Rojava – an den Einsatz von kurdischen Kämpferinnen und Kämpfern für den Schutz der Jesidinnen und Jesiden).
Also: Unsere orthodoxen Geschwister haben eine ganze Menge verstanden von der Taufe Jesu. Deshalb müssen wir nicht auch in kalte Flüsse springen, aber die theologischen Hintergründe eines solchen Rituals zu sehen und zu verstehen, das ist gewiss ganz lehrreich. Amen.

Anmerkungen
1 Vgl. Eschbachheft zum Isenheimer Altar von Gerhard Boos, Eschbach 1985.
2 Vgl. Sieger Köder, Gemälde: „Johannes der Täufer, bereitet dem Herrn den Weg“ – Bild und Meditation dazu unter: www.großaspach-evangelisch.de (Buß- und Bettag 2013).
3 Vgl. Adolf Martin Ritter, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd.1, Alte Kirche, Neukirchen, 19853, S. 221 und die Zitation des Gedankens in der Konkordienformel, BSLK, S. 1020.

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