1. Sonntag nach Epiphanias (13. Januar 2019)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Anja Wessel, Stuttgart [Anja.Wessel@ELK-WUE.DE]

Josua 3, 5-11; 3, 17

IntentionWie kann Gott zu uns durch einen Text sprechen, dem es nicht darum geht, historische Abläufe nachzuzeichnen, sondern der die Ausrichtung der Menschen auf Gott zum Thema hat, und zwar in einer Phase des Übergangs, in der es keinerlei Sicherheiten gibt? Bleiben ist keine Option. Das Wohin gewinnt seine Konturen vom Woher. Sich führen lassen ist eine echte Alternative zum Diktum des „Alles-im-Griff-Habens“.

Gutes Wetter. Ein wunderschöner Blick vom Gipfel aus. Tief unten Nebel. Wie Watte. Oben blauer Himmel. Sonne. Glitzernder Schnee. Wir fahren ab. Pulverschnee. Herrlich. Plötzlich Nebelschwaden. Erst nur einzelne. Der Nebel wird immer dichter. Keine Sicht mehr. Ich kenne mich nicht aus. Wie gut, dass es den Bergführer gibt. Ich vertraue ihm. Keine Hektik. Orientierung braucht Zeit. Er findet einen Weg. Etwas anders als geplant.
Wir laufen jetzt, die Skier am Rucksack, über einen Hang mit Gestrüpp und Steinen. Da kann man sich orientieren. Kleine Kletterei. Immer dem Bergführer hinterher. Langsam. Immer wieder stehenbleiben und orientieren. Kein unnötiges Wort. Ich höre den eigenen Atem. Unsere Schritte. Wie gut, dass jemand vorangeht, dem ich vertraue. Skier anschnallen. Abfahren. Immer in der Spur des Bergführers. Dann sind die Umrisse der Hütte zu sehen.

Liebe Gemeinde,
sich führen lassen muss gelernt sein. Gilt doch als Zeichen der Stärke der Satz: „Nur wer sich selbst führen kann, kann andere führen.“
Heute lernen wir eine starke Persönlichkeit, eine Führungskraft, genauer kennen: Josua. Er hat Mose beerbt und die Israeliten in das verheißene Land geführt. Wir hören Worte aus Josua 3, 5-11.17:

„Und Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der Herr Wunder unter euch tun.
Und Josua sprach zu den Priestern: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.
Und der Herr sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein.
Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen.
Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des Herrn, eures Gottes!
Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter:
Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan.(…)
Und die Priester, die die Lade des Bundes des Herrn trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.“

Josua hat das große Ziel erreicht: Die Israeliten ziehen unter seiner Führung in das verheißene Land. Auch wenn das Josuabuch nicht als historischer Bericht, sondern als viel spätere theologische Reflexion zu lesen ist, so lässt sich die Schilderung von gewaltsamer Eroberung, Vertreibung und Völkermord nicht wegdiskutieren. Gleichzeitig wissen wir, dass die Kämpfe so nicht stattgefunden haben. Trotzdem haben sich spätere Generationen, gerade im Christentum, auf solche Bibelstellen berufen, um Kriege im Namen Gottes zu führen. Der Wunsch nach Vernichtung des Gegners, der die eigene Identität bedroht, ist allzu oft Ausdruck unserer menschlichen Schwäche. Dass Gott selbst Kriege geführt oder angeordnet haben soll – als Mittel zum Schalom/Frieden – ist eine nachträgliche Interpretation, die wir heute so nicht teilen.
Die Ankunft im verheißenen Land steht für erfüllte Sehnsucht, für verwirklichten Schalom, inneren und äußeren Frieden – nach einer langen Wüstenzeit.
Wüstenzeiten gehören zum menschlichen Leben. Vielleicht fällt es uns heute besonders schwer, Wüstenzeiten auszuhalten, weil wir unzählige Möglichkeiten haben, diesen zu entfliehen. Eine permanente Geräuschkulisse übertönt die Wüstenstille. Anbieter aller Art säumen die Wege.
Josua („Der HERR ist Hilfe/Rettung“) hat die Wüstenzeit durchlitten. Er ist bereit für Gott.

GrundausrichtungBevor Josua am Jordan steht, spricht Gott zu ihm (Jos 1,7-9):
„Sei nur getrost und ganz unverzagt, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem Gesetz, das dir Mose, mein Knecht, geboten hat. […] Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken […], sondern betrachte es Tag und Nacht […]. Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen, und du wirst es recht ausrichten. […] Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht, denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.“
Wer solch große Aufgabe zu bewältigen hat, muss sich vorbereiten. Nicht durch einen Crashkurs. Vielmehr ist hier die ganze Person gefragt. Wie und wonach richte ich eigentlich mein Leben aus? Bin ich mein eigener Herr? Führe ich mich selbst? Oder erkenne und anerkenne ich, dass ich gar nicht Herr meines Lebens bin und sein kann. „Ich bin der HERR, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, lautet das 1. Gebot.
Lasse ich zu, dass ich geführt werde, weil ich Weg und Ziel nicht kenne?

Vorbereitung und AufbruchGeh! Geh einen Weg, der eigentlich nicht gangbar ist. Durch den Fluss. Überschreite die Grenze, deine Grenze. Es gibt keine Brücke. Du sollst auch keine bauen. Geh, weil ich es dir sage!
Was für eine Zumutung!
Josua nimmt diese Zumutung Gottes an und ist bereit, die Israeliten durch und in unbekanntes Terrain zu führen. So spricht er zum Volk: „Heiligt euch, denn morgen wird der Herr Wunder unter euch tun.“ Und zu den Priestern: „Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.“
Das Wagnis beginnt. Voran geht die Bundeslade, Zeichen des mitgehenden Gottes. Ein Kasten, in dem sich die Tafeln mit den Zehn Geboten befinden. Sie geben Orientierung für das Leben mit Gott – diesseits wie jenseits des Jordan. Auf der Lade die Deckplatte mit den goldenen Keruben als Ort, an dem Gott sich zeigt. Mit den Augen nicht zu sehen. Unverfügbar, so wie es ihm gefällt. Der Herr der Welt geht mit als tragbarer Kasten. Gott zum Mitnehmen. Er macht sich klein. Als Kind in der Krippe. Auch da ist der allmächtige Gott ganz klein.
Gott geht voran. „Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan“. Ausgerechnet in den Jordan. Gäbe es da nicht auch andere Möglichkeiten?
Gott geht voran: Bei der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle. Wenn der Gesundheitszustand alle Planungen zunichtemacht. Wenn wichtige Lebensentscheidungen anstehen. Wenn Sicherheiten zerbrechen. Wenn Zweifel die Oberhand gewinnen.
Wenn wir als Kirchengemeinde neue Wege beschreiten, weil sich die Umstände in vielerlei Hinsicht verändert haben. Manchmal wäre solch eine Bundeslade hilfreich. Eine Bundeslade, die uns an Gottes Gegenwart erinnert. Ein „Gott to go“.
Das heißt nicht, dass alle Schwierigkeiten beseitigt sind oder wir am Ende da ankommen, wo wir es uns wünschen.
Gott geht voran – die Zukunft ist sein. Er hat eine Zukunft für uns.
Ist das tatsächlich so?

Notwendiger StillstandStop! Unterbrechung des gewohnten Laufs der Welt, der Zeit und der Dinge. Jetzt ist es notwendig innezuhalten. Hier gilt nicht „Stillstand bedeutet Rückschritt.“ Stillstand ermöglicht, sich neu ausrichten zu können.
Die religiösen Führer, die Priester, bleiben stehen. Mitten im Fluss. Als Werkzeug Gottes. Abhängig von Gott und seinem Wirken. Da verändert der Hochwasser führende Jordan seine Gestalt.
Mitunter ist es so, dass nicht wir die Macher sind, die die Welt verändern. Mitunter ist es so, dass wir warten müssen, bis sich die Welt verändert.
Warten ist anstrengend. Warten schärft die Sinne. Warten birgt die Möglichkeit der grundlegenden Orientierung. Was ist denn von mir gefordert?
Stillstand eröffnet einen Raum, in dem Vertrauen entstehen und wachsen kann.
Kennen wir heilsame Unterbrechungen?
Oder weichen wir ihnen lieber aus? Bleiben im gewohnten Modus des Rennens und Hetzens?
Stillstand ist die Voraussetzung für eine neue Etappe.

Stillstand ermöglicht Bewegung„Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.“
Die Priester mit der Lade ermöglichen den Durchgang. Eigene Strategien sind nicht gefragt. Nur gehen. Im Vertrauen. Einer wacht. Die Zukunft wird empfangen. Aber nicht ohne die Vergangenheit. Die Orientierung an Gott veraltet nicht, denn seine Gebote ermöglichen Leben. Sich an Gott auszurichten eröffnet Zukunft.
Dabei sind trockene Füße nicht garantiert.
Im Konfi wurde ich von einem Mädchen gefragt: „Wie erfahren Sie denn Gott in Ihrem Leben?“ Ganz schön schwer, da spontan zu antworten. Ich habe Gott noch nie durch einen Blitz oder eine Stimme vom Himmel erfahren. Es gab Situationen, oft auch schwierige Lebensentscheidungen, in denen ich Gott erfahren habe. Manches Mal habe ich einen Weg eingeschlagen, ohne eine Antwort von Gott erhalten zu haben. So bin ich gegangen – unsicher, tastend, fragend. Da gab es einige Sackgassen. Und plötzlich doch neue Wege, die mir Gott eröffnet hat. Auf einmal eine innere Gewissheit. Und wunderbare Fügungen, die für mich nicht ohne Gott erklärbar sind. Oft habe ich das erst im Nachhinein bemerkt. Staunend und dankbar. Manches Wirken Gottes habe ich mangels Aufmerksamkeit wohl nicht bemerkt.
Wie sieht unsere Lebensführung aus?
Als Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu Christi sind wir von Gott beauftragte Führungskräfte: Menschen, die sich von ihm führen lassen, auf ihn hören, und anderen Menschen den Weg zu ihm weisen. Denn er ist unser Schalom – Friede.
„Herzu! Hört die Worte des Herrn, eures Gottes!“ Amen.

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