1. Advent (01. Dezember 2024)
Matthäus 21,1–11
IntentionDie Zukunft ist ein unbekanntes Land. Einerseits verheißungsvoll, aber eben doch auch voller Unwägbarkeiten, die Sorgen bereiten oder in Schrecken versetzen. Advent ist Hoffnungszeit – voller Erwartung auf den, der kommt. Hineinverwoben in diese große Zeitansage sind die vielen Vorbereitungen auf das kommende Fest. Damit das nicht nur gemütlich oder allzu behaglich wird, gilt es die Adventszeit in ihrem Widerspruch zu dem, was ist, zu konturieren. Der Einzug Jesu in Jerusalem zeigt, auf wen wir hoffen. Beispiele aus der Arbeit des Gustav Adolf Werks können zeigen, dass aus Kleinem und Unscheinbaren eine große Hoffnung wächst.
Was kommt auf uns zu?Was kommt auf unsere Kinder, was kommt auf unsere Enkel zu? So denken Eltern und Großeltern. Besorgt und ängstlich zugleich.
Was werden sie aus dem machen können, was wir angerichtet haben? Werden sie mit dem, was wir hinterlassen, etwas anfangen wollen oder scheint ihnen alles so aussichtslos und festgezurrt, dass es ihnen die Lust und die Freude am Leben nimmt? No future! Der Slogan der Punkbewegung Ende der 1970er-Jahre ist immer noch aktuell. Manche wähnen, sie seien die letzte Generation.
Kommt da noch was?Da muss doch noch was kommen. Das kann doch nicht alles gewesen sein. Das denken die, die es eigentlich geschafft haben. Die was hingekriegt haben mit Familie und Beruf. Aber auch die werden zuweilen von einer seltsamen Traurigkeit erfasst und fragen sich: Kommt da noch was? Oder war’s das jetzt?
Beispiele aus DiasporakirchenDoch. Da kommt was, so hat es mir vor einigen Jahren der evangelische Pfarrer aus Homs gesagt. Das Gustav Adolf Werk unterstützt die Arbeit seiner Gemeinde seit einigen Jahren. Er sagte mir: In unserem Alltag vertrauen wir darauf, dass Jesus gesagt hat, seine Kirche könne von den Pforten der Hölle nicht überwunden werden. Deshalb bleiben wir hier, bauen unsere Kirchen wieder auf und öffnen unsere Schule. Trotz der Erdbeben, trotz des Krieges. Und bald werden wieder über 1000 Kinder und Jugendliche – Christen und Muslime – zusammen lernen und zusammenleben.
Pfarrer Péter Szeghljánik aus der Westukraine erzählt, wie sie nicht mehr nach der Zukunft fragen, sondern jeden Tag von neuem darauf vertrauen, dass Gott sie am Leben erhält und ihnen die nötige Kraft gibt, um für die unzähligen Geflüchteten da zu sein. „Dank Gottes Hilfe geht es uns besser, als wir es verdient haben.“
Oft erlebe ich in der Begegnung mit Menschen aus Diasporakirchen, dass sie sich den „Luxus der Hoffnungslosigkeit“ (Fulbert Steffensky) nicht leisten können.
Trotzdem, liebe Gemeinde, die Frage nach dem, was kommt, was kommen soll, was kommen muss, treibt uns um. Sie konfrontiert uns mit unseren Sorgen genauso wie mit unseren Hoffnungen. Und je nachdem, wird diese Frage ängstlich oder zuversichtlich, verzweifelt oder neugierig gestellt.
Advent: Jesus kommtDie Frage nach dem, der kommt, gehört in den Advent. Die Antwort ist klar: Jesus kommt.
Das Fest steht vor der Tür. Die Kerzen auf dem Adventskranz sind nichts anderes als eine einzige leuchtende Zeitansage. Bald ist Weihnachten.
Aber wer ist der, der da kommt? Der Predigttext für den heutigen 1. Advent gibt Antwort. Ich lese aus dem 21. Kapitel des Matthäusevangeliums die Verse 1 bis 11:
„Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. Das geschah aber, auf dass erfüllt wurde, was gesagt ist: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“
Die Jünger gingen hin und taten, wie Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzt sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf dem Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna, dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.“
„Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ Psalm 118 fasst das Geschehen in Worte und deutet es zugleich. Jesus reitet auf einem Esel und auf dem Füllen einer Eselin – das ist die Erfüllung prophetischer Verheißung: Gott kommt zu helfen und zu retten. Der sanftmütige König ist die Hoffnung für Israel.
Gott selbst kommt in JesusAdvent, liebe Gemeinde, ist nur ein anderes Wort für Ankunft. Advent sagt uns: Es muss nicht bleiben, wie es ist. Es kommt noch was. Es steht noch was aus. Erwartet noch etwas! Gott selbst kommt ja und bringt Frieden. Aus der Höhe auf die Erde. Vom Himmel hoch kommt die gute Botschaft.
Im Advent fragen wir nicht, was kommt. Im Advent schauen wir auf den, der kommt.
Die Zukunft erscheint uns nicht als die unbarmherzige Richterin, die unsere falschen Entscheidungen, unser Zögern und Zaudern offenbar machen wird. Die Zukunft ist nicht Bedrohung und vor allem nicht die öde Wiederkehr des Immergleichen.
Zukunft im Advent ist die Ankunft Jesu. In unserer Welt. In unseren Herzen.
Und Jesu Einzug in Jerusalem ist der Moment, in dem das offenbar wird. Der Augenblick, wo er sich zeigt als der, der er ist: Sohn Gottes, wahrhaftiger Mensch.
Und offensichtlich verstehen das in diesem Moment alle. Ja, der ist’s, der Israel erlösen wird. Der Jubel des Volkes ist groß. Die Begeisterung greift um sich.
Und wir lassen uns davon anstecken und singen „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.“
Macht die Tore weitIm Advent sind wir unbescheiden.
Wir begnügen uns nicht mit dem, was ist. Unsere Hoffnung reicht weiter als ein paar gemütliche Stunden am Nachmittag bei Kerzenschein. Unsere Hoffnung reicht weiter – über die Widerwärtigkeiten des Lebens hinaus – und macht uns stark, eben diesen Widerwärtigkeiten zu begegnen.
So wie Péter Szeghljánik, der jeden neuen Tag aus Gottes Hand nimmt und tut, was er kann, um die Hungrigen zu speisen und die, die ohne Obdach sind, aufzunehmen. Oder wie die evangelische Gemeinde in Rumänien, die sich für Roma-Kinder einsetzt – und dafür, dass sie erleben, geachtet und anerkannt zu sein. Wenigstens für ein paar Stunden am Tag.
Im Advent sind wir unbescheiden. Wir lassen uns nicht vom Vordergründigen blenden. Wir hören auf die Stimme des demütigen Königs, der uns zu sich ruft. Der Mühseligen und Beladenen Erquickung verspricht.
Wir sehen die Eselin und ihr Füllen.
Wir schauen auf das Licht, das kommt, und erkennen: „Die Nacht ist vorgedrungen. Der Tag ist nicht mehr fern.“
Deshalb: Macht die Tore weit und die Türen in der Welt hoch.
Amen.
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