1. Advent (03. Dezember 2023)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Harry Waßmann, Rottenburg [Harry.Wassmann@t-online.de]

Psalm 24

IntentionIch will mein Hoffen am 1. Advent 2023 biblisch stärken ¬– „in allen Stürmen – in aller Not“ (s. EG 623). Psalm 24 hilft mir dabei, bewahrt Hoffnung gegen allen äußeren Anschein.
Die Buber-Übersetzung schärft das Hören auf die Wortbedeutungen. Sie kann aber auch gut in der Schriftlesung zu Gehör kommen und der Luthertext dann in der Predigt.

Psalm 24 in der Lutherübersetzung1 Ein Psalm Davids.
Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist,
der Erdkreis und die darauf wohnen.
2 Denn er hat ihn über den Meeren gegründet
und über den Wassern bereitet.
3 Wer darf auf des HERRN Berg gehen,
und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?
4 Wer unschuldige Hände hat
und reinen Herzens ist,
wer nicht bedacht ist auf Lüge
und nicht schwört zum Trug:
5 der wird den Segen vom HERRN empfangen
und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils.
6 Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt,
das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs. SELA.
7 Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
8 Wer ist der König der Ehre?
Es ist der HERR, stark und mächtig,
der HERR, mächtig im Streit.
9 Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
10 Wer ist der König der Ehre?
Es ist der HERR Zebaoth; er ist der König der Ehre. SELA.


Liebe Gemeinde,
Advent, Advent – ein Lichtlein brennt...
Brennt heute am 1. Advent noch ein Licht der Hoffnung? Wenigstens „ein Lichtlein“?
Ist noch Hoffnung in uns lebendig?
Die Hoffnung auf ein heilvolles Leben auf Erden?
Auf den Heiland Jesus Christus?
Gewinnt diese Hoffnung Raum in uns und unter uns?

Dafür wird es eng bei all den Hoffnungsvertreibereien in unseren Zeiten.
Zerstörungen, Verwüstungen, Kriege sind uns vor Augen.
Ängste ziehen in unsere Herzen ein.
Kein Wunder: Schwarzmaler und Weltuntergangsbeschwörer haben Konjunktur.
Der Sänger Wolf Biermann hat einmal (1982) gedichtet:
„Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein.“

Liebe Gemeinde,ich bin ver-rückt vor Hoffnung.
Ich rücke ab – weg von dem Grausamen. Ganz bewusst.
Ich suche Abstand zu Schreckensmeldungen und Schreckensbildern.
Das ist für Christen, denke ich, eine lebenswichtige Übung – immer wieder.
Sonst schrumpfen Hoffnungsräume.
Der in Charkiw in der Ukraine lebende Schriftsteller Sergei Gerasimow hat vor kurzem in seinem Tagebuch notiert: „Trotz all dem Massensterben glaube ich nach wie vor fest daran, dass das Leben eines jeden Menschen eine von Gott geschenkte Gabe von unendlichem Wert darstellt“ (nzz – 10.11.2023).
Trotz all dem.. Trotzdem!:
Sich nicht lähmen und runterziehen lassen von dem, was quält und wütet.
Vielmehr aufblicken und aufschauen zu dem, der Hoffnung und Heil und Frieden mit sich bringt. Darauf kommt es jetzt an.

Ich ver-rücke darum heute meinen Standpunkt. Ganz bewusst.
Ich versetze mich zurück in einen Moment voller Hoffnung.
Es war an einem Sommertag in diesem Jahr auf der Schwäbischen Alb.
Ich sehe die wunderbare Landschaft noch vor mir – die Dörfer und kleinen Städte.
Und denke: Wie kann diese Erde doch ein Garten Eden für alle sein!
Mit Medizin und Schulen, mit Handwerk und Künsten.
Die geöffneten Türen kleiner Kirchen und Kapellen laden zum Gebet ein.
Wunderbare Orte, um sich in Dankbarkeit in Gottes Liebe zu seinen Geschöpfen zu vertiefen. Stille erleben, um einzukehren in die Geschichte Jesu.
Sein sanftmütiges Kommen auf einem Esel, sein solidarisches Lieben, seine Hingabe – bis in den Tod. Heil und Leben, Hoffnung und Trost zuhauf, Freude und Wonne, ein barmherziger Retter. Ja, „all unsre Not zum End er bringt...“ (EG 1) Könnte er, will er.

Ich spüre und sehe freilich zugleich, wie die Wege Jesu immer wieder verdeckt werden von Wahn und Betrug, von Ausbeutung und Konsumzwängen, von kriegswütigen Diktatoren und Terroristen.
Wieso Autoschlangen ohne Ende? Wieso immer wieder überfüllte Flughafenterminals?
Wieso einfach weiterfahren und weiterheizen und weitermachen...?

Von solchen Lebensmustern frei zu werden, ist so not-wendig und doch so schwer.
Wie sehr braucht unser Leben und unser Miteinander aber genau jetzt dieses Andere:
Dass sich unsere Herzen öffnen für den, mit dem Heil und Frieden in unsere Welt kommen kann. Was für eine Verwandlung winkt da!

Psalm 24 ist dafür so etwas wie ein Wegbereiter und Türöffner.
Ich lese Psalm 24 in der Übersetzung von Martin Buber:

1 Von Dawid, ein Harfenlied.
SEIN ist die Erde und was sie füllt, der Boden und seine Siedler.
2 Denn selber er gründete ihn über Meeren, festigte über Strömungen ihn.
3 – Wer darf SEINEN Berg ersteigen?
wer darf stehn an seinem Heiligtumsort?
4 – Der an Händen Unsträfliche, der am Herzen Lautere,
der zum Wahnhaften nicht hob seine Seele und zum Truge nicht schwur.
5 – Segen erhebt er von IHM, Bewahrheitung vom Gott seiner Freiheit.
6 Dieses ist das Geschlecht derer, die nach ihm fragen.
– Die dein Antlitz suchen, Jaakob ists. / Empor! /
7 – Hebet, Tore, eure Häupter, erhebt euch, Pforten der Weltzeit,
dass der König der Ehre komme!
8 – Wer ists, der König der Ehre?
ER, sieghaft und heldisch, ER, heldisch im Kampf.
9 – Hebet, Tore, eure Häupter, hebt sie, Pforten der Weltzeit,
dass der König der Ehre komme!
10– Wer ist das, der König der Ehre?
ER, der Umscharte, das ist der König der Ehre. / Empor! /

Vergesst nicht: Gott hat die Erde fest gegründetLiebe Gemeinde, genau da liegt in allen Stürmen und Nöten der Ausgangspunkt für ein Gegenan-Hoffen: »SEIN ist die Erde und was sie füllt.«
Gott, dem Schöpfer, gehört die Welt.
Er hat sie gegründet. Was Menschen auch immer an Schrecken ins Werk setzen – und die Erde schier unbewohnbar machen:
Gott bleibt seiner Schöpfung treu. Unverrückbar wie ein Fels, wie eine Burg.

Darum zieht es mich hin zu IHM.
Bei IHM – dem treuen Gott der Liebe – will ich sein.
Da haben Gottsucher, wie auch ich einer bin, ein Ziel vor Augen.
Gerade so wie die, die sich mit dem Psalm 24 auf den Weg gemacht haben nach Jerusalem zum Zion, zum Berg Gottes.
Doch als sie Jerusalem erreicht haben, stehen sie vor verschlossenen Toren.
Sie wollen, dass sie sich öffnen.
Das ist nicht so einfach.
Es braucht ein Rufen und Klopfen – ein Fragen und Warten.
Und geht dann gleich das Tor auf?
Wird sofort der Weg frei zum Berg Zion?
Dahin, wo die Heidenvölker dereinst ihre Schwerter zu Flugscharen schmieden und verlernen werden, Krieg zu führen?
Dahin, von wo aus die Weisungen Gottes leuchten – seine Gebote allen einleuchten sollen? Und wo ein neues Miteinander zwischen Einzelnen, Gruppen und Völkern Frieden und Freiheit bringen kann?
Das wäre es doch.

Ein Hoffnungsgebet gegen allen äußeren AnscheinAber, liebe Gemeinde, unser Psalm 24 kennt nicht den barrierefreien Schnellweg zum Berg Gottes – als könnten wir den so einfach erklimmen, wie mit dem Schwäbischen Albverein.

Es ist gut und auch sehr trostreich zu wissen:
Psalm 24 ist entstanden, als der Tempel in Trümmern lag und viele aus Israel vertrieben waren – entführt nach Babylon.
Psalm 24 ist also ein ver-rücktes Hoffnungsgebet.
Gegen allen äußeren Anschein lebt die Hoffnung weiter: Es gibt einen Weg ins Zentrum zu Gott, selbst wenn der Tempel in Schutt und Asche liegt.
Nur wie? Und wer gelangt da hin? Ich lese noch einmal die Verse 3-6:

„Wer darf SEINEN Berg ersteigen?
wer darf stehn an seinem Heiligtumsort?
– Der an Händen Unsträfliche, der am Herzen Lautere,
der zum Wahnhaften nicht hob seine Seele und zum Truge nicht schwur.Segen erhebt er von IHM, Bewahrheitung vom Gott seiner Freiheit.
Dieses ist das Geschlecht derer, die nach ihm fragen.
Die dein Antlitz suchen, Jaakob ists. / Empor!“

Alle, die Jakobs Nähe suchen, die Nähe des Gottes Israels, die können dahin gelangen.
Alle – wirklich alle, aus allen Völkern und Nationen –, die ihre Herzen und ihre Hände nicht dem Wahn preisgeben, dem leeren Nichts.
Für heute gesagt könnte das heißen:
Alle, die ihr Leben nicht komplett dem Konsum verschreiben und nichts als tote Waren anhäufen. Die nicht unablässig sich und Andere und die Natur auspressen.

Liebe Gemeinde, sich von diesen Lebensmustern lossagen, das ist wahrlich nicht leicht.
Der Weg da heraus beginnt so:
Wer nach dem Tröster Israels sucht,
wer sich auf den Weg macht zum Geber der Tora,
der ist auf dem Weg zum Heil, so unser Psalm.

Kein leichter Weg ist das.
Es braucht ein Lossagen von so vielen tief verwurzelten Gewohnheiten.
Und dann?
Gehen dann die Tore auf zum Berg Gottes – zum Zion – zum Trost Israels ?

Tore gehen auf – und Gott kommtLiebe Gemeinde, hier steckt im Psalm noch eine besondere Botschaft für uns und unsere Zeit. Es heißt nämlich wörtlich gleich dreimal. „– Hebet, Tore, eure Häupter!“
Ein geheimnisvolles Bild ist das.
Die Tore öffnen sich nicht von Menschenhand, sondern selbsttätig, wie von geheimer Hand, wie von Gott gewirkt. „– Hebet, Tore, eure Häupter!“
Sie sollen sich öffnen, damit ER, der König der Ehre, dort einzieht.

Gott uns voraus. Wir die Nachfolgenden.
Gerade so wie Jesus auf dem Esel nach Jerusalem einst eingezogen ist und die mit ihm gezogen sind, ihm hinterher.

Wenn ich manchmal denke, es ist alles so verfahren, so vernagelt, so aussichtslos im großen Weltmaßstab wie auch im Kleinen – im Privaten, in der Familie, im Beruf – wer soll das versöhnen ? – dann ist das meine Hoffnung:
Wo Gott Türen öffnet, da wird unser Weg zum Leben frei.
Wo Gottes Geist zur Welt kommt, wächst Hoffnung in uns und für uns – und für die ganze Welt.
Sein Geist ist es, der Trost und Kraft schenkt – sein Geist der Liebe, des Friedens und der Ruhe. Der kann Angst und Schrecken vertreiben – in der Ukraine, in Israel, in allen leidenden und seufzenden Geschöpfen.

Gottes Geist in unseren Herzen – so wohnt Gott unter uns und mit ihm Frieden und Heil.
Das ist die Hoffnung auf Gottes Advent.
Öffnen wir darum unsere Herzen für den Geist Gottes und bitten darum:

„Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist!“
Dein Geist erfülle die ganze Welt – all überall in den Herzen aller Menschen! Amen.

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