Okuli / 3. Sonntag der Passionszeit (23. März 2025)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Ulrich Wildermuth, Balingen [ulrich@wildermuth.de]

Jeremia 20,7-11a

IntentionWer eine Aufgabe übernimmt, sich vielleicht sogar berufen fühlt, kann frustriert und enttäuscht werden. Eben weil es überall menschelt und schwächelt. Da kommt es darauf an, den ursprünglichen Ruf und die erste Liebe wieder aufleben zu lassen. Daran will die Predigt erinnern.

Ein Amt kann zur Last werden„Ich habe nicht mehr genug Kraft“ – so sagte im Januar 2023 Jacinda Ardern, die Ministerpräsidentin Neuseelands, und gab ihren Rücktritt bekannt.
„Ich schaffe es nicht mehr“ – so sagte im Oktober 2024 Kevin Kühnert, der junge Generalsekretär der SPD, und legte seine Ämter nieder.
„Ich bin zu alt“ – das sagte im Februar 2013 Papst Benedikt XVI im Blick auf sein Amt und trat zurück.
„Ich bin zu jung“ – so sagte Jeremia, als Gott ihn in das Amt eines Propheten berufen hat.
So oder so – aus einem Amt kann eine Last werden; besonders und gerade auch dann, wenn es mit der Verkündigung des Wortes Gottes verbunden ist.
„Nicht die Person trägt das Amt, sondern das Amt trägt die Person“ – so konnte man es früher in unserer Kirche noch sagen und darauf vertrauen.
Heute ist das schwerer geworden. Ob eine Amtsperson anerkannt wird, darüber entscheidet nicht mehr das Amt, sondern die Glaubwürdigkeit und Authentizität der Person.
Aus einem Amt kann eine Last werden; auch da noch, wo es sich um das sogenannte Ehrenamt handelt. Dieses ist zwar freiwillig und gratis – und doch dabei auch mit Ansprüchen und Anforderungen behaftet.

Andererseits haben wir gerade gesungen: „Wir wolln nach Arbeit fragen, wo welche ist; nicht an dem Amt verzagen, uns fröhlich plagen uns unsre Steine tragen aufs Baugerüst.“
Das soll es also auch geben: dass jemand sein Amt bejaht und fröhlich bleibt dabei.

Wahrscheinlich geht das aber nicht ohne Kämpfe. Dazu muss manch eine oder manch einer sich erst einmal durchringen. – So wie der Prophet Jeremia. Dessen leidenschaftliche Zwiesprache mit Gott ist heute unser Predigtwort. Es handelt von der Last des Prophetenamts und steht im 20. Kapitel des Jeremiabuches (V 7-11a):

„HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.
Denn sooft ich rede, muss ich schreien; ‚Frevel und Gewalt!‘ muss ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.
Denn ich höre, wie viele heimlich reden: ‚Schrecken ist um und um!‘ ‚Verklagt ihn!‘ ‚Wir wollen ihn verklagen!‘ Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: ‚Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.‘
Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen.“

Der Prophet und sein SchicksalWer war dieser Jeremia?
Er wirkte in Jerusalem in den letzten Jahrzehnten, bevor diese Stadt im Jahr 587 v.Chr. von den Babyloniern erobert und zerstört worden ist. Er sah dieses schlimme Geschehen voraus und musste den Menschen in Jerusalem das Gericht Gottes predigen. Diese Aufgabe führte ihn in tiefes Leiden hinein. In seinen Bekenntnissen, den Konfessionen des Jeremia, schreit er sein Leid heraus und bringt es vor Gott.
Martin Luther schrieb über ihn, er sei ein „elender, betrübter Prophet gewesen“ und habe zu „jämmerlichen, bösen Zeiten gelebt“.
Denn sein Predigtamt ist ihm schwer geworden. Unheil verkünden müssen stößt in den allerseltensten Fällen auf Gegenliebe. Über vierzig Jahre lang, bis zur Babylonischen Gefangenschaft hatte er es mit dem Widerstand und der Halsstarrigkeit seiner Hörer zu tun. Er konnte nur wenig bewirken. Immer wieder drohten ihm Verfolgung und sogar der Tod. Schließlich musste er miterleben, wie die Babylonier sein Land eroberten und das Volk ins Exil führten.
Eine Gruppe nahm ihn auf ihrer Flucht mit und verschleppte ihn nach Ägypten. Dort verliert sich seine Spur.

Nicht an dem Amt verzagen – uns fröhlich plagen?
Prophet zu sein, war für Jeremia eine Last.
Was für ihn in besonderem Maße gilt, trifft in etwas abgemilderter Form auch heute für viele zu.
Alles, wozu wir berufen sind, kann uns auch müde machen.
Die Frage ist nur: Bleibt es bei dieser Klage? Bleibt es bei der Resignation?

Die Erinnerung an die BerufungWenn wir die Worte des Jeremia genau lesen, dann spüren wir, dass es in ihm „gärt“.
Etwas arbeitet in ihm: wie in einem Fass mit Traubensaft, aus dem nach und nach kostbarer Wein wird.
Und das, was in ihm arbeitet, ist sein Berufungserlebnis. Also das, was am Anfang stand und den Ausschlag gegeben hat. Was in ihm arbeitet, ist der Ruf Gottes, den er einst gehört hat.

Es ist gut, an dieser Stelle die Berufungsgeschichte des Jeremia zu hören – denn genau damit setzt sich seine Klage auseinander:

„Und des HERRN Wort geschah zu mir:
Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete,
und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.
Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.
Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: ‚Ich bin zu jung‘, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.
Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.
Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.“ (Jer 1,4-9)

In aller Anfechtung, mitten in seinen Klagen erinnert sich Jeremia an den Anfang, an den einst an ihn ergangenen Ruf.

Einst hat sich Jeremia gegen seine Berufung gewehrt. Jetzt sagt er, Gott habe ihn verführt und er habe sich verführen lassen. Hier wie dort Widerstand, der überwunden werden musste.
Einst sagte Gott: "Fürchte dich nicht vor ihnen!" Das nimmt vorweg, was Jeremia später an Verfolgung und Anfeindung erleben muss.
Wenn Jeremia jetzt sagt: "Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen", so ist das eine Aufkündigung des von Gott gegebenen Auftrags.
Und schließlich gab es die Zusage: "Denn ich bin bei dir und will dich erretten.“
Das erklärt, warum es in unserem Bibelabschnitt Worte des Vertrauens und der Zuversicht gibt. „Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held.“

Jedenfalls arbeitet das ursprüngliche Berufungserlebnis noch im Propheten. Es gärt.
"Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer."
Ein Feuer, welches Jeremia nicht losgelassen hat.
So dass er seinen Weg mit Gott gegangen ist bis zuletzt.
Bis sich seine Spur verloren hat in Ägypten.

Berufung heuteUnd wir heute? Jeder Glaubensweg ist einzigartig. Und das, was Jeremia widerfuhr, lässt sich nicht so leicht verallgemeinern.
Aber wir befinden uns jetzt in der Passionszeit und bedenken den Weg Jesu ans Kreuz. Die Erlebnisse des Jeremia können uns sensibel machen, wenn wir uns auf die Nachfolge einlassen.

Vielleicht haben auch wir einmal den Ruf Jesu vernommen.
Es gibt ein Jesuswort, das außerhalb der biblischen Evangelien überliefert wurde, welches lautet: „Wer mir nah ist, ist dem Feuer nah.“
Vielleicht hat sich der Ruf Jesu einmal bei uns eingebrannt, dass wir spürten: Ja, ich will zu ihm gehören. Ja, ich will aktiv teilhaben an seiner Kirche.
Und vielleicht wurden wir da enttäuscht, ernüchtert, frustriert.
Eben weil es überall menschelt und schwächelt.
Da kommt es darauf an, den ursprünglichen Ruf und die erste Liebe wieder aufleben zu lassen. Uns an den Anfang zu erinnern. Den Anfang der Liebesgeschichte Jesu mit dir und mit mir.

Beispiele dafür gibt es viele. Ich will heute lediglich an Albert Schweitzer erinnern. Dieser hat Immer wieder in seinen theologischen und musikalischen Forschungen den Ruf Jesu vernommen.
Und dann hat es in ihm so gegoren und der Ruf wurde so konkret, dass er im Alter von 30 Jahren begonnen hat, Medizin zu studieren und als Arzt nach Lambarene zu gehen.
Die letzten Zeilen seines Buches über die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung sind eine wunderbare Beschreibung Jesu, der uns durch die Zeiten hindurch ruft, seine Jünger zu sein:

„Als ein Unbekannter und Namenloser kommt er zu uns, wie er am Gestade des Sees, an jene Männer, die nicht wussten, wer er war, herantrat.
Er sagt dasselbe Wort: Du aber folge mir nach!
Und stellt uns vor die Aufgaben, die er in unserer Zeit lösen muss.
Er gebietet.
Und denjenigen, welche ihm gehorchen, Weisen und Unweisen,
wird er sich offenbaren in dem, was sie in seiner Gemeinschaft
an Frieden, Wirken, Kämpfen und Leiden erleben dürfen
und als ein unaussprechliches Geheimnis, werden sie erfahren, wer er ist.“ (EG Wü S.1232, Anmerkung 1)

So den Ruf Jesu, so den Ruf Gottes zu hören -,
und so sich einzulassen auf die alles verwandelnde Macht Gottes -,
und immer wieder zurückzukehren zu diesem ersten Anfang –
darauf kommt es an. Den Gehorsam beständig neu lernen.
Das gibt uns einen langen Atem geben und hilft zur Treue gegenüber dem erfahrenen Auftrag.
Im Letzten aber ist es nicht unsere eigene Treue, die trägt.
Es ist Gottes Treue zu uns, der er uns nicht loslässt.
Denn Gott steht zu seinem Ruf:
„Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.“ (Röm 11,29) Amen.

Anmerkung
1 ©Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen

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