1. Weihnachtsfeiertag (25. Dezember 2024)
Johannes 1,1-5.9-14(16-18)
IntentionDer Hymnus über das Wort stellt die Predigerin, den Prediger vor die Aufgabe, Worte zu finden, die den Weg des Wortes zu uns bezeugen: zum Christfest hohe Christologie. Kritische Einwände werden nicht verschwiegen. Ihnen wird das Zeugnis von Menschen gegenübergestellt, denen Jesus Christus eindrücklich geworden ist.
Predigttext: Johannes 1,1-5.9-14(16-18)1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
2 Dasselbe war im Anfang bei Gott.
3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.
9 Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.
10 Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; und die Welt erkannte es nicht.
11 Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.
12 Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden: denen, die an seinen Namen glauben,
13 die nicht aus menschlichem Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind.
14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
16 Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.
17 Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.
18 Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat es verkündigt.
Am Weihnachtsfest, liebe Gemeinde, feiern wir nicht nur die Geburt Jesu. Das Fest ist umrankt von vielen Bräuchen und Gewohnheiten. Und die scheinen uns nicht selten nachhaltiger zu prägen als der eigentliche Anlass. Schön ist, wenn an Weihnachten die ganze Familie zusammenkommt. Das gemeinsame Feiern tut gut. Die festliche Stimmung hat etwas Verbindendes.
Wir streben nach oben, der Weg Jesu hingegen führt hinabIn meiner Familie freuen wir uns, dass einer der Söhne den Abschluss seiner Lehre hinter sich hat; nun ist er Restaurantfachmann. Und die Tochter kann mit Recht darauf stolz sein, dass sie jüngst den LKW-Führerschein geschafft hat. Der Vater schließlich tut kund, dass man ihn auf seine alten Tage noch zum Universitätsprofessor ernannt hat.
Meist erzählen wir ja einander, wie wir unser Leben vorangebracht haben, wo wir die nächsthöhere Stufe erreicht haben. Wir sind stolz darauf, wenn uns ein Aufstieg gelungen ist, wenn wir eine höhere Weihe oder eine größere Würde erlangt haben. Wir streben nach oben, nach Erfolg, nach Bewunderung.
So ganz anders klingt das Lied am Beginn des Johannesevangeliums, wenn es das Kommen Jesu Christi in unsere Welt besingt. Die höchste und größte Würde kommt Jesus von Anfang an zu: Schon vor aller Zeit war er bei Gott. Als das ewige Wort Gottes hatte er Anteil an Gottes Gottheit. Von da aus geht es nicht weiter hinauf. Der Weg Jesu führt hinab: aus Gottes Welt in die Niederungen unseres Daseins.
Zweifel an der Aussage und Korrekturen am TextSchon die Aussage über das vorzeitliche Sein Jesu bei Gott klingt unglaublich. Und darum können auch viele nichts damit anfangen. Wie sollte einer, der zugegebenermaßen beachtliche Spuren in dieser Welt hinterlassen hat, ein Vorleben, eine Präexistenz bei Gott gehabt haben? Das ist kaum vorstellbar.
Neben solchen Zweifeln ist strittig, ob der Begriff „Wort“ zutreffend ist für den, der da vor allem Anfang war. Johann Wolfgang von Goethe lässt Doktor Faustus die ersten Wörter unseres Predigttextes aus dem griechischen Grundtext übersetzen:
„Geschrieben steht: ‚im Anfang war das Wort!‘
Hier stock‘ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?“
Faust hält die Übersetzung mit „Wort“ nicht für angemessen, probiert es erst mit „Sinn“, dann mit „Kraft“ und kommt schließlich zu dem Ergebnis:
„Mir hilft der Geist! Auf einmal seh‘ ich Rat
Und schreibe getrost: im Anfang war die Tat!“
Aufgrund seiner klassischen Bildung wusste Goethe, dass die Übersetzung des Begriffs logos mit „Wort“ nicht alle Facetten dieses griechischen Begriffs abbildet. Freilich bringt die Übersetzung von logos mit „Tat“ noch viel weniger zur Sprache, wer oder was Jesus Christus von Anfang an ist.
Schöpfungsmittlerschaft und Inkarnation des WortesSchon in seiner Eingangsformulierung „Im Anfang war das Wort“ erinnert der Hymnus an den Schöpfungsbericht aus 1. Mose 1. Zwar ist die Situation eine andere: Johannes 1,1 spricht von einem Anfang vor aller Zeit, 1. Mose 1,1 hingegen blickt auf den durch die Schöpfung gesetzten Anfang der Zeit. Aber dass Gott die Welt durch sein Wort erschuf, daran knüpft der Hymnus an: Er betont, dass es kein Schöpfungswerk gibt, das ohne das Wort erschaffen wurde.
Thema der Predigt zum Christfest ist also der, der vor aller Zeit bei Gott war, ja der sogar an der Entstehung der Welt mitwirkte. Eben dessen Ankunft in der Welt feiern wir heute. Im Hymnus wird das mit dem Satz zur Sprache gebracht: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ Das klingt nicht so beschaulich-ergreifend wie die Erzählung von der Geburt Jesu bei Lukas. Aber dieser Satz spricht von der Wahrheit, dass Gott durch sein Wort Verbindung mit uns Menschen aufnimmt. Und dieses Wort ist Jesus Christus.
Er ist der Sohn Gottes, der von Ewigkeit her bei Gott ist. Der wird nun einer von uns. Dass es im Hymnus nicht heißt: Und das Wort ward Mensch, hat einen tiefen Sinn. Die Verwendung des Begriffs Fleisch hebt die Vergänglichkeit, Endlichkeit und Sterblichkeit des Lebens hervor. Der ewige Sohn Gottes nimmt das Wesen eines durch den Tod begrenzten Menschen an. In ihm kommt Gott in seine verlorene Welt: „Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget!“
Den Schöpfer zieht es zu seiner SchöpfungWarum verlässt das ewige Wort den himmlischen Glanz bei Gott und steigt hinab in die Niederungen unseres Daseins? Warum tut der Sohn Gottes sich das an? Es ist wohl so, dass es den Schöpfer zu seiner Schöpfung zieht, den Offenbarer zu seinen Menschen. Gott gibt seine Schöpfung nicht dem Verfall preis. Er findet sich nicht damit ab, dass sie fernab von ihm dahingeht. Daher sendet er seinen Sohn.
Der nun kommt in die Schöpfung, die Eigentum des Schöpfers geblieben ist. Alles Geschaffene gehört Gott. Dieser Gedanke ist mir in meiner frühen Jugendzeit besonders eindrücklich geworden. Zusammen mit meinen Eltern las ich die ersten Verse des Johannesevangeliums. Aus der Aussage, dass das göttliche Wort in sein Eigentum kam, zog ich die Konsequenz: Wenn Gott als Schöpfer ein Anrecht auf mein Leben hat, dann gehört mein Leben eigentlich ihm. Von da an verortete ich meinen Standpunkt im christlichen Glauben. Seitdem versuche ich, als Christ zu leben.
Den Offenbarer zieht es zu seinen MenschenEs zieht nicht nur den Schöpfer zu seiner Schöpfung, sondern auch den Offenbarer zu seinen Menschen. Jesus Christus ist das Wort Gottes in Person. Besonders treffend hat dies die Barmer Theologische Erklärung zur Sprache gebracht: „Jesus Christus … ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“
Wenn wir etwas über Gott wissen wollen, so sind wir an seinen Sohn gewiesen. Als eingeborener Sohn entstammt er der größtmöglichen Nähe zu Gott selbst. Niemand kann die Wahrheit über Gott authentischer verkündigen als er. Denn aus Gottes Welt kommt er in unsere Welt. Daher hat sein Reden von Gott die höchste Autorität. Er ist der einzigartige Offenbarer.
Die Aufnahme des Hymnus im Nizänischen GlaubensbekenntnisDas ist nicht die einzige Exklusivität, die sich mit Jesus Christus verbindet. Die Aussagen aus Johannes 1 wurden im Nizänischen Glaubensbekenntnis aufgenommen. Im kommenden Jahr feiern wir das 1.700-jährige Jubiläum dieses Bekenntnisses. Heftig und intensiv hatten die Christen damals darum gerungen, recht zu verstehen, wer Jesus Christus ist. In kurzen Bestimmungen gibt das Bekenntnis Auskunft über ihn.
Dort heißt es: „Wir glauben … an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserm Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist und ist Mensch geworden.“
Kritik am Jesusbild und Zeugnis von Jesus ChristusAus welchem Grund und mit welchem Recht kann man so tiefgreifende Aussagen über einen treffen, der als Mensch auf dieser Erde gelebt hat? Zwar ist Jesus während seines öffentlichen Auftretens aufgefallen als einer, der vollmächtig gelehrt, der wundersam geheilt und der böse Geister ausgetrieben hat. Aber gibt das seinen Anhängern das Recht, ihn so zu überhöhen, wie das hier zu Beginn des Johannesevangeliums geschieht? Müssen wir das glauben?
Was uns das Evangelium zum Christfest verkündigt, ist nicht reine Spekulation, sind nicht nur hochfliegende Gedanken, ist nicht bloße Theorie. Menschen, die Jesus begegnet sind, haben in ihm mehr gesehen als einen besonders begabten Menschen. Im Hymnus bezeugen sie: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.“
Das bedeutet doch: Diesen Menschen ist eindrücklich geworden, dass sie es in der Person Jesu mit dem zu tun haben, der aus der unmittelbaren Nähe zu Gott kommt. Sie haben in ihm den einzigen Sohn Gottes erkannt. Und sie bezeugen, dass er der Spender unerschöpflicher Gnaden ist. Möge Gott auch uns die Augen für seinen Sohn und die Ohren für sein ewiges Wort öffnen!
Gelobt sei Jesus Christus!Das Weihnachtsfest, liebe Gemeinde, bietet einen schönen Anlass zum Austausch in den Familien, zum Ausdruck der Verbundenheit durch Karten, Briefe und Geschenke sowie zum fröhlichen Singen und Musizieren – alle Jahre wieder. Gemeinschaft und Festfreude gründen darin, dass Gott sein Wort gesandt hat: seinen Sohn, der zu uns herabgekommen ist. Er ist es, der uns den wahren Gott verkündigt. Er ist es auch, der uns mit der Fülle göttlicher Gnaden beschenkt. Gelobt sei Jesus Christus – in Ewigkeit. Amen.
Zum theologischen Hintergrund dieser Predigt und zu den Zitaten vgl. https://www.fachstelle-gottesdienst.de/fileadmin/mediapool/gemeinden/E_fachstellegottesdienstneu/Predigt/PmWü/PmWü_Reihe_I__2024__Christfest_I_Johannes_1-5.9-14_16-18__Knöppler_Thomas.pdf
Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)