Vorletzter Sonntag des Kirchenjahrs / Volkstrauertag (17. November 2024)

Autorin / Autor:
Pfarrer Maximilian Eberhard Schmid-Lorch, Ammerbuch [maximilian.schmid-lorch@elkw.de]

Römer 14,7-13

IntentionDie Predigt soll Jesus Christus als gemeinsame Mitte der Glaubenden herausstellen. Wir alle glauben und leben auf verschiedene Weise. Da sind Meinungsverschiedenheiten unvermeidbar. Das Bewusstsein um Jesus als gemeinsames Zentrum lässt Trennendes an den Rand treten.

PredigttextDenn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.
1Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Denn es steht geschrieben Jes 45,23: »So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.« So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.
Römer 14,7-13
(Der Predigttext wird vor der Predigt verlesen.)

StreitfragenEs gibt Themen, mit denen lässt sich garantiert für Streit sorgen. Denken wir etwa an die Frage nach der richtigen Ernährung. Da wird am Esstisch hitzig diskutiert, weil der Vater nicht mit der veganen Ernährungsweise der Tochter einverstanden ist. Der Vater meint: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch streckst, wird Fleisch gegessen!“ Die Tochter weist ihn zur Antwort auf die Klimafolgen von zu hohem Fleischkonsum hin. Was am Esstisch für Streit sorgt, das lässt uns auch als Gesellschaft nicht kalt: Die einen verzichten auf Fleisch aus Tierliebe oder fürs Klima. Die anderen schwenken ihr Schweineschnitzel als Fahne der Freiheit und wittern Bevormundung. Auch in Kirche und Gemeinde gibt es solche Aufreger-Themen. Denken wir etwa an das Gebot: „Du sollst den Feiertag heiligen!“ Ist die Kirchengemeinderätin ein schlechtes Vorbild, die ihren Sonntagmorgen auf dem Fußballplatz verbringt, weil die Kinder ein wichtiges Spiel haben? Darf man am Sonntag den Garten pflegen? Mit diesen Beispielen – übrigens alle aus dem wahren Leben – sind wir schon mitten im Predigttext. Über genau diese Themen haben die Christinnen und Christen in Rom sich auch schon gestritten. Sie haben sich gefragt sich: Was darf ein Mensch essen, der an Jesus glaubt? Muss er sich an die Speisegebote der Torah halten? Muss er auf Fleisch verzichten, das in heidnischen Tempeln geschlachtet wurde? Welche Feiertage sollen wir halten? Müssen wir den Sabbat heiligen als den letzten Tag der Woche? Sollen wir uns am ersten Tag der Woche treffen, an dem Jesus auferstanden ist? So vielfältig wie ihre Fragen, so vielfältig waren auch ihre Meinungen. Die einen haben gesagt: „Ich kann essen, was ich will. Darauf kommt’s doch dem lieben Gott nicht an.“ Die anderen haben gesagt: „Ich bin konsequent und verzichte ganz auf Fleisch. Dann kann ich nichts falsch machen.“ Die einen haben gesagt: „Gott hat alle Wochentage gemacht. Für mich sind alle Tage gleich.“ Die anderen haben gesagt: „Ich will den Feiertag halten und die Feste feiern, so wie die Heilige Schrift es vorschreibt.“ – Natürlich hatten die in Rom damals ganz andere Gründe als wir, aber das Ergebnis war dasselbe: Streit.

Eine gemeinsame Mitte – trotz allemIhr könnt nun überlegen und euch fragen: Welche neuen Streitfragen sind dazugekommen? Kennen wir solche kontroversen Themen, die in unserer Gemeinde für Unruhe sorgen? Die Vielfalt unserer Gesellschaft, die macht ja auch vor der Kirchentüre nicht Halt. Zurück nach Rom: Auf welche Seite nun schlägt sich der Apostel Paulus? Die Antwort lautet: auf keine. Keine! Er rückt den Streitenden zunächst einmal den Kopf zurecht, indem er sie an ihre gemeinsame Mitte erinnert: „Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn“ (Röm 14,7-8). Er erinnert die Glaubenden daran, was sie verbindet. Sie alle gehören zu Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Jede und jeder einzelne unter ihnen gehört mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben nicht sich selbst (und auch sonst niemandem), sondern alleine dem getreuen Heiland Jesus Christus. Mit den Worten des Apostels: „Denn dazu ist Christus auch gestorben und auferstanden und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebendige Herr sei.“ Das ist die gemeinsame Mitte, die die Glaubenden bei all ihrer Verschiedenheit vereint. Die Konsequenz, die Paulus daraus zieht, ist radikal: „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.“ Es ist vor Gott nicht entscheidend, welche Diät wir pflegen und welche Feiertage wir einhalten. Vor Gott zählt allein, dass Jesus aus Liebe zu uns sein Leben gegeben hat.

Ein Herr für alle – das ermöglicht ein weites HerzNun fragt ihr euch vielleicht: Was trägt das für den Streit aus, den sie in Rom hatten? Weil die Glaubenden zu dem Herrn Jesus gehören, darum sind sie sonst niemandem hörig. Allein Jesus als der Herr kann einen Anspruch gelten machen, der alle anderen Ansprüche in Frage stellt. Die Herrschaft Jesu über alle stellt die Selbstherrlichkeit derer in Frage, die sich zum Richter über andere erheben. Mit den Worten des Apostels: „Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem Herrn“ (Röm 14,4a). Was trägt es für uns heute aus? Jesus Christus als gemeinsame Mitte ermöglicht uns ein weites Herz. Christinnen und Christen können Unterschiede und Verschiedenheit zulassen (und manchmal auch ertragen). Denn das letzte Urteil über die Schwester oder über den Bruder, das steht nicht uns zu. Gott allein ist Richter und die Messlatte seines Gerichtes ist das Kreuz Jesu Christi. Wir sollen nicht urteilen.

Nicht streiten – zuhören und auf Argumente achten!Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass wir auf unser Urteilsvermögen verzichten. Es ist ja nicht egal, wie wir unser Leben als Christinnen und Christen führen. Es ist nicht gleichgültig, wie wir uns ernähren oder wie wir uns unsere Zeit einteilen. Unsere Lebensgestaltung hat spürbare Auswirkungen auf uns, auf unsere Mitmenschen und auf unsere Umwelt. Und wir dürfen uns wohl fragen, ob etwa ungehemmter Fleischkonsum und pausenloses Arbeiten für den Menschen gesund sind. Wir haben ja schon gesehen, wie da die Meinungen auseinander gehen – und gewiss gibt es besser begründete und schlechter begründete Meinungen. Unsere Beziehung zu Gott und unser Miteinander als Schwestern und Brüder, die entscheiden sich daran allerdings nicht! Viel wichtiger als die Rechthaberei ist darum die Rücksicht. Dazu rät uns auch der Apostel: „Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite“ (Röm 14,13). Rechthaberisches Streiten lässt uns einander fremd werden, rücksichtsvolles Zuhören lehrt uns einander verstehen. Denn allein im Hören lerne ich, was mein Gegenüber dazu bewegt, seinen Glauben gerade auf diese Weise auszuüben. Alleine im Hinhören lerne ich, warum der Bruder oder die Schwester sein Leben gerade so führt und nicht anders. Zuletzt will ich sagen: Es gibt auch Meinungen, die sich mit Jesus Christus nicht vertragen. Denken wir etwa an das unheilvolle völkische Denken, das mitunter auch in Kirche und Gemeinden sein Unwesen treibt. Da müssen wir – gerade weil wir uns in Christus einig sind – ganz entschieden widersprechen. Das letzte Urteil aber, das überlassen wir dem Weltenrichter, der allein das letzte Wort über einen jeden Menschen spricht. Ein Zitat, das dem Heiligen Augustinus zugeschrieben wird, fasst diese Haltung ganz wunderbar zusammen: „In notwendigen Dingen Einheit, in umstrittenen Dingen Freiheit, in allem aber Liebe.“ Oder um es kurz und knapp mit einem Englischen Sprichwort zu sagen: „Love them all and let God sort them out.“ Hab alle lieb und lass Gott sortieren!

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