16. Sonntag nach Trinitatis (15. September 2024)
Psalm 16, (1-4)5-11
IntentionDie Predigt macht den Protest gegen den Tod zu ihrem Thema. Um die Hörerinnen zu diesem Protest zu motivieren, versucht die Predigt zu plausibilisieren, weshalb dieser Protest trotz der Realität des Todes in der Welt nicht sinnlos sein muss. Danach zeigt sie auf, welche vielfältigen Formen dieser Protest haben kann. Auf diese Weise soll den Hörerinnen die Möglichkeit gegeben werden, eine für sie passende Protestform gegen den Tod zu finden.
EinstiegDer Sommer geht zu Ende. Unaufhaltsam kommt der Winter. Kann man dagegen protestieren, weil es nicht schön ist im Winter?
Vielleicht erscheint es Ihnen sinnlos, gegen den Winter zu protestieren. Sinnlos, weil er doch sowieso kommt. Auch wenn wir uns mit dem Klimawandel anstrengen – keiner von uns wird den Winter ‚abschaffen‘. Protest gegen den Winter scheint vielleicht auch deshalb sinnlos, weil er doch zum Leben dazugehört. Ohne die Ruhe im Winter kein Neuanfang im Frühling. Ohne Kälte und Absterben, keine neuen Triebe – bei den Pflanzen, aber vielleicht auch bei uns. Circle of Life. Sinnlos ist das Protestieren dagegen vielleicht auch, weil der Winter eine wichtige Perspektive ermöglicht. Er reduziert. Zeigt, was wirklich wichtig ist. Vielleicht genießen sie auch einfach die Melancholie und die kuscheligen Momente des Winters.
Wahrscheinlich fragen Sie auch: wie soll das überhaupt aussehen? Protest gegen den Winter?
Christen sollten gegen den Tod protestieren, den Winter des Lebens. Der Sonntag heute legt sein Augenmerk darauf, dass es zum Christsein dazugehört, gegen den Tod zu protestieren. Das Wochenlied fragt trotzig, „Tod wo sind nun deine Schrecken?“ Unser Predigttext ist nicht weniger überzeugt: Gott habe den Tod überwunden. Er „wird nicht zugeben, dass sein Heiliger die Grube sehe“. Der Winter des Lebens soll weder Leib noch Seele berühren.
PredigttextIch lese aus Psalm 16:
Der HERR ist mein Gut und mein Teil;
du hältst mein Los in deinen Händen!
Das Los ist mir gefallen auf liebliches Land;
mir ist ein schönes Erbteil geworden.
Ich lobe den HERRN, der mich beraten hat;
auch mahnt mich mein Herz des Nachts.
Ich habe den HERRN allezeit vor Augen;
er steht mir zur Rechten, so wanke ich nicht.
Darum freut sich mein Herz, und meine Seele ist fröhlich;
auch mein Leib wird sicher wohnen.
Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen
und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe.
Du tust mir kund den Weg zum Leben:
Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.
Hauptteil I: Sicher ist die Realität des TodesUnser Leib wird sicher wohnen und unsere Seele wird Gott nicht dem Tode überlassen. Nicht in die Grube, sondern den Weg zum Leben gehen wir. Unser Los ist in Gottes Hand.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit dieser Hoffnung geht. Mit dem Gedanken, dass Gott den Tod überwunden haben soll. Sehen Sie sich auf dem Weg ins ewige Leben? Schauen Sie hin – sind Leib und Seele unberührt vom Tod?
Der Blick auf mein Leben und die Gegenwart allgemein, scheint mir den Glauben an ein Ende des Todes nicht unbedingt einleuchtend zu machen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Meine Augen zeigen mir eher: Der Tod gehört zum Leben dazu wie der Winter zum Jahreskreis. Ein Leben im Zyklus. Das Aufblühen des Lebens in Kindheit und Jugend am Anfang. Ein Sommer des Lebens danach. Und wenn man Glück hat, ein goldener Herbst, bevor es karg wird und der Tod kommt. Aber am Ende kommt er. Ja manchmal – gar nicht so selten – hält sich der Tod auch nicht an diese Reihenfolge. Er ist unberechenbar wie der Winter. Triebe, die im Frühling gerade erst das Licht der Welt erblickt haben, erfrieren. Hagel zerstört die Felder, die voller Ähren sind. Und statt mildem Spätherbst gibt es auch den plötzlichen Wintereinbruch. Blicke ich auf das Leben wie es ist, kann ich die Realität des Todes nicht leugnen.
Aber die Bibel hält daran fest: Gott hat den Tod überwunden. Mein Leib wird sicher wohnen und meine Seele wird nicht dem Tode überlassen. Wie aber sollen wir damit umgehen, wenn doch der Tod so überdeutlich dem Leben seinen Stempel aufdrückt?
Hauptteil II: Protest und Engagement gegen TodIch glaube, wer auf Gott vertraut, soll sich auch gegen den Tod auflehnen. Gegen den Tod protestieren. Wie das gehen kann?
Zuerst will ich dazu auf meine Eingangsfrage zurückkommen, ob Sie mit mir gegen den Winter protestieren. Mir hilft der Vergleich zwischen Winter und Tod, weil er mir zeigt, ob Protest gegen den Tod sinnvoll ist. Geht es um den Winter, erwartet glaube ich niemand, dass er nicht kommt. Es wird ihnen auch keiner vorwerfen, dass Sie die Existenz des Winters leugnen, weil Sie sich gegen seine Auswirkungen einsetzen. Der Winter ist ein Gegner, den wir nicht aufhalten können.
Das gilt auch für den Tod – zumindest, wenn wir unsere Fähigkeiten und Ressourcen in dieser Welt ansehen. Aber dennoch glaube ich, dass es keineswegs sinnlos ist, sich gegen seine Lebensfeindlichkeit zu engagieren. Ihm ein Schnippchen zu schlagen, wo wir es können. Gegen den Winter verteilen wir Decken und feiern die Vesperkirchen. Kekse, Punsch, Geschenke und Gemeinschaft nehmen der dunklen Jahreszeit ihren düsteren Charakter. So funktioniert auch der Protest gegen den Tod. Er hat viele Formen und Gesichter. Es ist ein Protest, der auf die kleinen Erfolge zielt – wohl wissend, dass wir den Tod nicht abschaffen können. Es gibt viele Protestformen. Kleine und große. Alltägliche und außergewöhnliche. Ich will ein paar benennen. Vielleicht werden Sie inspiriert, wie auch Sie gegen den Tod protestieren können.
Die wohl bekannteste christliche Protestform gegen den Tod sind Bestattungen und Trauerfeiern. Sie sind ruhig in der Form. Bestattungen leugnen nicht die Realität des Todes in der Welt – wie sollten sie das auch im Angesicht eines verstorbenen Menschen. Dennoch machen sie deutlich, dass wir nicht einverstanden sind, wenn ein Leben einfach so abbricht. Im Evangelium des Sonntags – der Erweckung des Lazarus – weint Jesus, als er vom Tod des Lazarus erfährt. Auch bei Bestattungen bekommen Trauer und Wut einen Raum. Protestierende Gefühle. Ich finde es gut und richtig, dass wir als Christinnen und Christen diese Gefühle teilen. Beistand und Empathie schlagen dem Tod ein Schnippchen. Am Ende des Kirchenjahres verlesen wir die Namen der Toten am Ewigkeitssonntag. Gedenken am Volkstrauertag. Was uns der Tod im Jahr geraubt hat, stellen wir noch einmal in die Mitte unserer Gemeinschaft. Kollektiver Protest gegen den Tod. Liturgische Orte, um gegen den Tod zu protestieren.
Gesellschaftlich verankert ist der Protest gegen den Tod auch im Gesundheitssystem. Ich denke mit großem Dank an die Pflegerinnen und Pfleger, die Ärztinnen und Ärzte und all die Forschenden, die gegen den Tod in seinen vielen Formen Widerstand leisten. Professioneller Protest. Diakonische Pflegestationen leisten Ähnliches. So auch die Ehrenamtlichen im Hospizdienst. Überhaupt die Diakonie. Begleitung von Menschen in (Lebens)Not. Vielleicht arbeiten Sie dort. Vielleicht hilft es aber auch, die kleinen Pflege- und Hilfeleistungen, die viele von Ihnen im Alltag vollbringen, als Protest gegen den Tod zu verstehen. Wenn Ihre Partnerin oder Ihr Kind krank ist. Wenn Mutter oder Oma Hilfe brauchen. Tätige Nächstenliebe will sich nicht abfinden mit der Zerstörung des Lebens. Das ist eine Protestform gegen den Tod, wo Hand und Herz zusammengehen.
Und dann gibt es noch ganz unscheinbare Alltagsgesten. Gewohnheiten, die das Leben stark machen – gegen den Tod. Um Ihnen die Vielfalt zu zeigen, will ich noch zwei Dinge nennen:
1) Feste feiern. Stoßen wir an, sagt man: „Zum Wohl!“ Im Hebräischen sagt man: „Auf das Leben!“ Aber nicht nur der Gruß, sondern Feiern überhaupt, setzen das Leben in Szene gegen den Tod. Kurz das volle Leben genießen – zumindest auf dem Fest, bevor es wieder in den Alltag geht.
2) Zweitens der Sport. Ich weiß nicht, ob Sie Sport machen. Ich denke, man kann Sport als Protest sehen. Er ringt dem Tod etwas ab. Hilft, dass der Körper gesund bleibt .Man fühlt sich lebendig. Auch der Seele hilft er. Wenn Sie das nächste Mal Sport treiben, denken Sie daran: Sie strengen sich an gegen den Tod. Auflehnen für das Leben. Vielleicht fällt es ihnen dann leichter, die nächste Bahn zu schwimmen.
Es gibt viele Weisen, sich gegen den Tod aufzulehnen. Ich leugne als Christ nicht die Realität des Todes in dieser Welt. Aber ich höre die christliche Hoffnung und will den Auftrag annehmen, den Tod nicht unwidersprochen zu lassen. Heute gebe ich Ihnen diesen Auftrag weiter. Und ich hoffe und wünsche Ihnen, dass Sie eine Protestform finden, die zu ihnen passt. Mit der auch sie gegen den Tod protestieren können.
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