18. Sonntag nach Trinitatis (29. September 2024)

Autorin / Autor:
Professor Dr. Bernhard Mutschler, Reutlingen [Theologie@MutschlerMetzingen.de ]

1. Petrus 4,7–11

IntentionWir Christen in Europa haben heute keine Sorge wegen Verfolgung. Das war im Altertum anders. Aber viele Ängste sind in unserer Gesellschaft, und es braucht Mittel, Werte und Haltungen, um darauf zu reagieren. Aus dem ersten Petrusbrief erhalten wir Hinweise auf bewährte Mittel: Gebet, Liebe, Gemeinschaft und Dienst. Das sind Ressourcen, um das Leben angesichts „des Endes aller Dinge“ zu bestehen. Auf diese Mittel weist die Predigt hin.

Leben angesichts des EndesWas tut man, wenn ein Lebensabschnitt zu Ende geht? Vielleicht trifft man sich nochmal im engen Kreis zu einem gemeinsamen Essen. Angesichts der Begrenztheit der Zeit wird einem bewusst: Man kann das Leben nur gemeinsam bestehen. Gemeinsam geht es besser.

Was tun angesichts des Endes?In eine ähnliche Situation spricht der Erste Petrusbrief. Aus Kapitel vier: „Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet. Vor allen Dingen habt untereinander beharrliche Liebe; denn ‚Liebe deckt der Sünden Menge zu‘ (Buch der Sprüche 10,12). Seid gastfrei untereinander ohne Murren. Und dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: Wenn jemand redet, rede er’s als Gottes Wort; wenn jemand dient, tue er’s aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Ihm sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“

Erwartung des WeltendesDieser Abschnitt war an Christinnen und Christen mehrerer Gemeinden in der heutigen Türkei gerichtet. Wenige Jahrzehnte nach dem Tod des Paulus standen sie im Alltag und politisch unter Druck. An manchen Orten gab es Bedrängnis und Angst vor Verfolgung. Es wurde eng, und die Zeit wurde knapp.

Verfolgte schützenFreilich, hier und heute befürchten Christinnen und Christen keine vergleichbare Verfolgung um des Glaubens willen. Anders ist die Situation in anderen Ländern und bei unseren jüdischen Geschwistern im Glauben, leider auch hier bei uns. Menschen, die wegen ihres Glaubens angefeindet werden – ganz gleich von wem – verdienen Schutz. Deshalb ist Freiheit von Glaube und Gewissen ein Grundrecht, ein Menschenrecht.

Gesellschaftliche ÄngsteÄngste machen sich bei vielen Menschen quer durch die Gesellschaft breit, auch eine „Angst vor dem Ende“. Genau genommen ist es ein ganzes Bündel verschiedener Ängste. Da gibt es eine Angst vor dem Ende der Demokratie angesichts von erstarkenden extremistischen Parteien. Können Christen eine Weltanschauung oder Partei unterstützen, die Menschen gestuft beurteilt und ihnen als Mensch einen größeren oder geringeren Wert zuspricht? Es gibt eine diffuse Angst vor Überfremdung, bei manchen auch vor dem Ende der Dialektsprache oder sogar vor dem Ende des christlichen Abendlandes. Sicher ist: Jede Gesellschaft wird in einer Zeit erhöhter Mobilität vielfältiger als sie in früheren Jahrhunderten war.

Existenzielle und ökologische ÄngsteEs gibt eine verbreitete Angst vor gesellschaftlichem Abstieg und vor dem Ende des gewohnten Wohlstands. Oder vor dem Ende des Verbrennermotors, des Stroms aus fossilen Quellen oder der freien Sicht in die Landschaft: ohne Windräder. Und es gibt das genaue Gegenteil: Menschen haben Angst davor, dass das Weltklima schon in Kürze kippt und die Erderwärmung alle Lebensbedingungen bedrohen und verändern wird. Manche rechnen sich deshalb vielsagend zur „letzten Generation“. Dass zu Ende gehen könnte, was wir gewohnt sind, macht uns Angst.

Konsequenzen für das LebenIm ersten Jahrhundert (n. Chr.) lebten viele Christen in der Erwartung, dass das „Ende aller Dinge“ nahe ist. Sie erwarteten das Ende zwar von Gott her, aber anscheinend hat ihnen auch das Angst gemacht. Das gewohnte Leben würde zu Ende gehen. Sie haben überlegt, was nun zu tun sei Sie kommen auf Gebet, Liebe und Gemeinschaft.

Starke Beziehung zu Gott im GebetDas erste Stichwort lautet Gebet: „So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet.“ Eine starke Beziehung zu Gott ist die erste Konsequenz, wenn das Ende des Gewohnten nahe ist. „Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott in Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung“, aber auch in Klage vor Gott und im Lob Gottes (so erstmals im württembergischen Konfirmationsbüchlein 1908).

Hoffnung schöpfen, Kraft empfangenWer sich vor Gott ausspricht im Gebet, sagt in aller Ehrlichkeit, was er empfindet, fühlt, hofft – und was ihn bedrückt. Mit Gott zu reden, sich auf das Gegenüber zu ihm zu besinnen und es zu formulieren, fasst die eigene Situation in Worte. So wird mir bewusst, wo ich stehe. Ich erhalte Orientierung durch den Bezug auf Gott, der uns Menschen geschaffen hat und es gut mit uns meint. Dabei spreche ich mit dem lebendigen Gott wie mit einem Freund, weil „in der Bibel (...) Gott selbst mit uns wie ein Mensch mit seinem Freunde“ redet (M. Luther). Diese Perspektive hebt mich aus Angst und Verzweiflung heraus und lässt mich Hoffnung, Zuversicht und Kraft schöpfen für den Alltag.

Liebe zum MenschenDie zweite Konsequenz für das Leben ist die Liebe, wenn ich das „Ende aller Dinge“ vor mir sehe. „Vor allen Dingen habt untereinander beharrliche Liebe; denn ‚Liebe deckt der Sünden Menge zu‘.“ Liebe sucht den Zugang zu einem Menschen nicht bei seinen Sünden. Die Liebe zählt nicht Schuld oder Fehler auf. Die Liebe sieht den Menschen, der Gottes Ebenbild ist, sein geliebtes Geschöpf, genau wie ich. Gott liebt jeden Menschen. Er liebt nicht alles Denken, Wollen und Tun des Menschen, aber den Menschen an sich. Denn Gott hat jeden Menschen geschaffen mit einer unzerstörbaren Würde. Deshalb gilt: „Liebe deckt der Sünden Menge zu.“ So steht es bereits im alttestamentlichen Buch der Sprüche.

Liebe leitet lebensdienlichIn Liebe handeln leitet auf einem richtigen Weg. Liebe ist der Grundton, der allem Tun im Leben eine lebensdienliche Färbung gibt. Denn „die Liebe hat das scharfe Auge“ (J.H. Wichern). Sie sieht, was dem Nächsten gut tut, was er braucht. Sie sieht auch, wenn ein Mensch besonderen Unterstützungsbedarf hat. Die Liebe führt zu einem Umgang auf Augenhöhe miteinander. Sie nutzt Schwächen eines Menschen nicht aus. Sie lässt erkennen, was einem anderen Menschen dient, und sie regt zu großzügigem, fairem Ausgleich an. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“

Einander beistehenGemeinschaft ist schließlich die dritte Konsequenz für das Leben wenn die Zeit knapp wird, weil das „Ende aller Dinge“ nahe ist. Dazu gehört eine Kultur der Gastfreundschaft, der gegenseitigen Hilfe und der Weitergabe von Gottes Gnade. „Seid gastfrei untereinander ohne Murren. Und dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.“

Gastfreundschaft und Gottes bunte GnadeMenschen auf Reisen brauchen Obdach und Nahrung. Jeder Mensch hat etwas, mit dem er anderen Menschen nützen und helfen kann. Gottes Gnade, wörtlich: Gottes „bunte Gnade“ ist vielfältig und großzügig. Gute Haushalter behalten nicht alles davon für sich, sondern geben gerne weiter. Gottes Gnade wird durch Weitergeben nicht knapp, sondern wirksam. Wie bei einer Flamme, die weitergegeben wird, wird Gottes Gnade durch Weitergeben wirksam.

Gemeinschaft und DienstWo Menschen in Gemeinschaft zusammenhalten, geht es ihnen besser, als wenn jeder nur für sich alleine sorgt und lebt. Gemeinschaft macht bekanntlich stark. Dienst an anderen macht alle Menschen stark. Ein Vorbild dafür ist Jesus von Nazareth. Für den Theologen Dietrich Bonhoeffer war Jesus der „Mensch für andere“. Daher ist Jesus das zentrale diakonische Leitbild für soziale Verantwortung und Dienst am Menschen. Er prägt diakonisches Denken und Fühlen, Reden und Handeln. Es gibt aber auch weitere Vorbilder. Oft sind es Menschen in der eigenen Umgebung, die ebenfalls auch für andere da sind.

Gottes Geist leitet MenschenGeleitet vom Gebet handeln, in Liebe und gemeinsam mit anderen, das ist kein „Spezialwissen“, das nur wenige kennen, im Gegenteil: In einer freien Gesellschaft wissen viele Menschen um die Kraft des Gebetes, der Liebe und der Gemeinschaft. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Verzagtheit, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“

Gebet, Liebe, Gemeinschaft, DienstAuch wir können in diesem menschenfreundlichen Geist leben in der Familie, in der Nachbarschaft und im Freundeskreis, in unserer Peergroup und in unserem Verein, gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern sowie Arbeitskolleginnen oder Arbeitskollegen. So handeln wir mit Zuversicht, Liebe und Hoffnung und leben gut zusammen. Wir wollen gemeinsam das Leben bestehen, gerade auch wenn anscheinend vieles zu Ende geht: im Gebet, mit Liebe, in Gemeinschaft und im Dienst.

Aus Gottes Wort, Gottes Kraft und zur Ehre GottesInspiration und Kraft für so ein Leben erhalten wir nicht aus uns selbst, sondern von unserem Schöpfer. Er ist der Grund unseres Lebens und unserer Freude: „Wenn jemand redet, rede er’s als Gottes Wort; wenn jemand dient, tue er’s aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Ihm sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“


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