7. Sonntag nach Trinitatis (14. Juli 2024)

Autorin / Autor:
Pfarrer Julian Scharpf, Fellbach [Julian.Scharpf@elkw.de ]

2. Mose 16,2–3.11–18

IntentionGott ist gerecht, sorgt sich um uns und versorgt uns. Er lässt sich von unseren Klagen immer wieder aufs Neue berühren. Auch deshalb ist die Verklärung der Vergangenheit keine Bewältigungsstrategie für unsere Probleme der Gegenwart.
(Insbesondere das Aufbegehren der Israeliten in den Versen 2 und 3 wird in der Übersetzung der BasisBibel sprachlich für unsere Zeit verständlicher ausgedrückt. Deshalb wird in dieser Predigt die BasisBibel als Vorlage genutzt.)

Die VorgeschichteLiebe Gemeinde, früher war doch mehr Lametta, in den Kirchen, in den Vereinen, in unseren Städten und Dörfern, in unserem Land. Am Sonntag waren die Kirchen voller, in den Vereinen hielt man zusammen, in den Städten war es sauberer, die Dörfer waren voller Leben, das Land geprägt von Wohlstand und Wachstum …So einfach diese Erzählung ist, so wenig zutreffend ist sie bei näherer Betrachtung in jedem Detail. Die Verklärung der Vergangenheit ist keine Bewältigungsstrategie für die Probleme der Gegenwart. Früher war nicht alles besser. Noch nicht einmal ganz früher, also in der Geschichte, die uns heute erzählt wird.
Das 2. Buch Mose nimmt uns mit in die Geschichte der Israeliten nach der Befreiung aus Ägypten. Gerade wurden sie von Mose durch das geteilte Schilfmeer geführt; haben die feindliche Armee und die Unterdrückung hinter sich gelassen; Mirjam hat ihr Siegeslied mit der Pauke angestimmt und Frauen folgen ihr tanzend. Was für ein unglaubliches Wunder! Jetzt sind sie endlich frei. Aber eben auch plötzlich mitten in der Wüste. Über die Situation der Israeliten mit ihren Anführern Mose und Aaron wird uns Folgendes berichtet:

Predigttext Teil 1 (2. Mose 16,2-3)In der Wüste rebellierte die ganze Gemeinde gegen Mose und Aaron.
Die Israeliten sagten zu ihnen: »Hätte der Herr uns doch in Ägypten sterben lassen!
Dort saßen wir an den Fleischtöpfen und konnten uns satt essen.
Jetzt habt ihr uns in diese Wüste geführt, wo wir alle vor Hunger umkommen werden.«

Die Unzufriedenheit der Israeliten und unsere Unzufriedenheit heute
Liebe Gemeinde, da war es nur wenige Tage her, dass die Israeliten aus der Knechtschaft befreit wurden und trotzdem macht sich Unzufriedenheit breit. Gerade erfahren sie noch, wie Gott sich von ihrem Schicksal berühren lässt und in die menschliche Geschichte eingreift, um sie zu retten. Und nur kurze Zeit später scheint das alles wie vergessen zu sein. Der Hunger treibt die Gruppe um. In ihrer Wut und verklären die Israeliten die Vergangenheit in Ägypten. Das war doch eine glücklichere Zeit. Zwar waren sie Sklaven – aber sie hatten wenigstens zu essen! War nicht die Versklavung eine glücklichere Zeit als ihre Gegenwart. Sie greifen Mose und Aaron, ihre Anführer, für die Befreiung aus Ägypten an.
Wie haben sich wohl Mose und Aaron in dieser Situation gefühlt? Ich stelle mir vor, wie sie sich mit ungläubigen Blicken anschauen und nicht glauben können, was ihnen widerfährt. Sie haben unter größter Anstrengung alles für ihr Volk getan und das ist der Dank. Anstatt die gegenwärtige Freiheit zu schätzen, wird vergangene Unfreiheit gerühmt. Der Verlust des Vertrauten scheint stärker zu wiegen als der Gewinn der Eigenverantwortlichkeit.
Ich befürchte, dass sich viele Politiker:innen, insbesondere auf der kommunalen Ebene, sehr gut in Mose und Aaron wiederfinden können. Der Wind weht rauer, Mitglieder der Gemeinderäte und Bürgermeister:innen erleben insbesondere auch in sozialen Medien, dass sie persönlich beleidigt und unwürdig behandelt werden. Jetzt ist es leicht zu sagen, dass die Verantwortung für diese Entwicklung bei denen liegt, die politisch anders als ich denken. Es ist leicht, zu Menschen in anderen Regionen und Ländern zu sagen: „Seid doch mal dankbar und beschwert euch nicht immer!“ Diesen Reflex kenne ich. Die Geschichte legt aber den Finger in die Wunde meiner eigenen Weltanschauung: Neige nicht auch ich dazu, die Vergangenheit zu verklären und zu meinen, früher sei irgendwie doch alles besser gewesen? Erkenne ich mich wieder in den rebellierenden Israeliten, die ihre Anführer unverhältnismäßig angehen?
Was da geschieht, ist Geschichtsklitterung. Man macht sich die Geschichte so zurecht, wie sie einem gerade in den Kram passt. Mose und Aaron gehen aber in ihrer Antwort gegenüber den rebellierenden Israeliten gar nicht darauf ein. Sie zeigen, was da eigentlich geschieht. Sie demaskieren den Protest der Israeliten: Diese rebellieren ja gar nicht gegen ihre menschlichen Anführer, sondern gegen Gott selbst. Und wie reagiert Gott selbst auf diese Rebellion?

Predigttext Teil 2 (2. Mose 16,11-18)Der Herr sagte zu Mose: »Ich habe gehört, wie die Israeliten rebellierten. Sag zu ihnen: In der Abenddämmerung werdet ihr Fleisch essen und am Morgen von Brot satt werden. Daran werdet ihr erkennen, dass ich der Herr, euer Gott, bin.«
Am Abend kamen Wachteln und bedeckten das Lager. Am Morgen lag Tau rings um das Lager.
Als der Tau weg war, lag auf dem Boden der Wüste etwas Feines. Es war körnig und fein wie der Reif auf der Erde. Die Israeliten sahen es und sagten zueinander:
»Was ist das?« Denn sie wussten nicht, was es war. Mose sagte zu ihnen: »Das ist das Brot, das der Herr euch zu essen gibt. Der Herr hat geboten: Sammelt davon so viel, wie jeder zu essen braucht. Einen Krug pro Kopf sollt ihr holen, jeder so viel wie Personen zu seinem Zelt gehören.«
Das taten die Israeliten. Der eine sammelte viel, der andere wenig. Dann maßen sie nach, was jeder gesammelt hatte. Wer viel gesammelt hatte, hatte nicht zu viel, und wer wenig gesammelt hatte, nicht zu wenig. Jeder hatte so viel gesammelt, wie er zu essen brauchte.

Unsere Klage und Gottes SorgeWas mich am meisten in der Geschichte vom Auszug der Israeliten aus Ägypten berührt, ist, wie Gott sein Volk leid tut und er es erhört. Für mich sind weniger die großen Wunder wie die Teilung des Schilfmeers von Bedeutung, sondern beispielsweise, wie Gott die Not sieht und die Klage hört, wenn er mit Mose am brennenden Dornbusch spricht und die Freiheit verspricht.
Auch jetzt, in der neu gewonnenen Freiheit, beim Gang durch die Wüste, lässt Gott sein Volk nicht im Stich. Auch wenn sie rebellieren, bleiben sie seine geliebten Menschen. Gott will von ihnen darin erkannt werden, dass er sich um sie sorgt. Er wird von den Israeliten dadurch erkannt, dass er sie mit allem Lebenswichtigem versorgt. Die Israeliten können Wachteln und Manna essen. Gott erscheint in dieser Geschichte als großzügiger und liebevoller Vater für seine Kinder. Selbst wenn die Rebellion der Israeliten unverhältnismäßig ist und die Verklärung der Vergangenheit Nonsens ist, bleibt er verständnisvoll und geduldig. Mir hilft das, meine eigenen Sorgen loszulassen. Ich selbst war noch nie in einer Wüste und musste noch nie in meinem Leben hungern. Aber ich kenne wüste Zeiten, in denen ich mich nach Gott besonders sehne und auf Zeichen von ihm warte.
Mir sagt diese Geschichte: „Ich bin euer Gott und lasse auch euch nicht im Stich. Ich höre euch und erhöre euch. Ich versorge euch mit dem, was ihr benötigt.“ Das erfahren wir in vielfacher Weise, mit leiblicher und geistlicher Sättigung. Vielleicht liegt die Kunst darin, in unseren Wüstenzeiten das Manna, welches „körnig und fein wie der Reif auf der Erde“ ist, inmitten der vielen Sandkörner zu entdecken. Manchmal sieht man die Lösung nicht, die schon da ist, weil man nur unverwandt auf das Problem schaut. In dem, wie Gott die Israeliten versorgt, liegt neben der Verheißung für uns auch eine Mahnung. Gott gibt, was möglich ist und was die Menschen brauchen, aber manchmal nicht in der Weise, wie die Israeliten damals und wir heute es vielleicht erwarten.

Unser Hunger und Gottes GerechtigkeitEine Besonderheit der Versorgung durch Gott finde ich auffallend und wichtig. Auf geheimnisvolle Weise sorgt Gott dafür, dass am Ende alle gleich viel bekommen. Egal wie viel die Menschen zuvor sammeln, am Ende bekommt jeder das, was er zum Essen benötigt. Niemand kann mehr anhäufen, als er braucht. Was für eine Vision von Gerechtigkeit! Mich erinnert es daran, dass dies auch heute möglich wäre. Laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen gäbe es auch bei uns heute auf der Welt genug Lebensmittel für alle Menschen. Man müsste sie nur gerecht verteilen. Ich meine, in dieser Geschichte steckt nicht nur eine Verheißung, sondern auch eine raffinierte Aufforderung. Gottes Gerechtigkeit ist es, dass alle genug bekommen. Was hält uns davon ab, in dieser Welt dabei zu helfen?
Amen.

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