Christi Himmelfahrt (09. Mai 2024)

Autorin / Autor:
Pfarrer Jakob Späth, Stuttgart-Uhlbach [Jakob.Spaeth@elkw.de]

Apostelgeschichte 1,3-11

IntentionDie Predigt ermutigt, Verantwortung zu übernehmen: in der Familie, im Beruf, in der Gesellschaft. Gegen das Gefühl, dass es sich nicht lohnt, Verantwortung zu übernehmen, steht die Erfahrung: Wenn jemand Verantwortung übernimmt, dann tut das gut. An Himmelfahrt verheißt Jesus den Aposteln die Kraft des Heiligen Geistes, damit sie Verantwortung übernehmen können.


Verantwortung übernehmen – PatentanteFest entschlossen steht sie vor mir. „Ich bin die Patentante“, sagt sie. Sie ist ungefähr 70 Jahre alt. Hinter ihr sehe ich den Mann, den ich besuche zum Trauergespräch. Seine Frau ist plötzlich verstorben – mit 40. Und der Mann ist wie gelähmt durch den plötzlichen Verlust, das ist auf den ersten Blick erkennbar. Aber es muss sich jemand kümmern um alles, was durch den plötzlichen Tod jetzt zu machen ist. Und auf den ersten Blick ist klar: Die Patentante ist gekommen, um die Familie durch diese Tage zu führen. Die Patentante hat entschieden, Verantwortung zu übernehmen. „Ich bin die Patentante. Kommen Sie rein, Herr Pfarrer. Wir gehen ins Wohnzimmer.“ Und dann gehen wir drei ins Wohnzimmer. Der Witwer, ich – und die Patentante, die die Verantwortung übernimmt.

Verantwortung übernehmen – KonfisVorige Woche wurden in unserer Gemeinde zwanzig Jugendliche konfirmiert. Junge Menschen auf dem Sprung ins Erwachsensein. In manchem sind sie noch unsicher, in anderem schon richtig selbstbewusst. In manchem sind diese Jugendlichen schon bereit, Verantwortung zu übernehmen, wenn sie zum Beispiel die kleineren Geschwister versorgen, weil die Eltern lange arbeiten. In anderem schieben sie die Verantwortung gern von sich weg, zocken lieber als bei der Kehrwoche zu helfen oder fordern von den Eltern lautstark, dass endlich die Lieblingshose wieder aus der Wäsche zu kommen habe. Da lassen sie die Verantwortung lieber bei den Eltern.
Erwachsen war ihre Entscheidung, sich konfirmieren zu lassen. Für etwas zu stehen. Und ich bin als Pfarrer gespannt, was jetzt folgt: Darf ich erleben, wie sie Verantwortung übernehmen für Glaube, Liebe und Hoffnung?

Predigttext: HimmelfahrtHin- und hergerissen zwischen Verantwortung übernehmen und sich doch lieber hinter den Großen verstecken, so erlebe ich die Jünger im Predigttext für Himmelfahrt dieses Jahr.
Was trauen sich die Jünger zu? Was lieber nicht?

Ich lese aus Apostelgeschichte 1,3–11 (Lutherbibel 2017), von der letzten Begegnung Jesu mit den Aposteln nach seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt:
3 Ihnen [Den Aposteln] zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes.
4 Und als er mit ihnen beim Mahl war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr – so sprach er – von mir gehört habt;
5 denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.
6 Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?
7 Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat;
8 aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.
9 Und als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg vor ihren Augen.
10 Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern.
11 Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.

Verantwortung übernehmen – ApostelVierzig gute Tage zwischen Ostern und Himmelfahrt haben Jesus und die Apostel miteinander. Jesus redet mit ihnen vom Reich Gottes. Und er verheißt ihnen den Heiligen Geist.
Den Heiligen Geist empfangen – das ist aber gar nicht das, was die Jünger eigentlich wollen. Sie wollen eigentlich, dass Jesus bei ihnen bleibt. Sie fragen nach: Wirst du, Jesus, dann das Reich Gottes aufrichten?
Ich stelle mir vor, dass sie eigentlich die Verantwortung ganz gern in Jesu Hände legen würden. Jesus soll das Reich Gottes aufrichten. Das wäre ihnen das Liebste. Jesus wehrt ab. Die Jünger sollen den Zeitpunkt nicht erfahren, an dem das Reich Gottes von Jesus aufgerichtet wird. Aber sie sollen sich auf den Geist einstellen. Denn Jesus hat mit ihnen etwas vor: Sie sollen mit der Kraft des Heiligen Geistes von Jesus erzählen, von ihm zeugen, und zwar auf dem ganzen Erdball.
Dann, so erzählt es die Apostelgeschichte plastisch, wird Jesus von einer Wolke aufgenommen und gen Himmel emporgehoben.
Die Jünger schauen zu, wie der vor ihren Augen verschwindet, dem sie doch gern weiterhin die Verantwortung überlassen hätten.
Verantwortung für die Gespräche über das Wesentliche im Leben, Verantwortung für die Gemeinschaft, das hat Jesus die letzten vierzig Tage übernommen. Wie vor Ostern auch schon.
Aber jetzt sind sie an der Reihe. Das spüren sie. Sie können einem leidtun, die Jünger.
Sie schauen Jesus nach.
Und sind in der Verantwortung. Verantwortlich für das, was auf der Erde passiert.
Auf mich wirken die Jünger ein bisschen wie die Konfirmierten. Einerseits bereit – andererseits würden sie lieber hinter einem starken wiederkehrenden Jesus stehen.
Und wie Konfirmierte und Jünger sich ähnlich sind, so bin ich ihnen auch ähnlich.
Irgendwie bin ich in der Verantwortung, andererseits habe ich keine rechte Ahnung, wie ich sie ausfüllen soll.

Politische VerantwortungEin Beispiel?
Ich schaue auf unser freies Land, in dem wir leben! Schon allein, dass wir hier unsere Religion so leben dürfen, wie wir wollen, ist global und geschichtlich eine großartige Ausnahme. Dafür bin ich dankbar.
Und viele von denen, die heute hier sind, dürfen in unserem Land mitreden durch ihre Stimme bei der Wahl, die bald ansteht. Was für ein Stück Freiheit!
Auch ich darf dieses Jahr wählen. Ich habe als Bürger die Wahl – und ein bisschen fühle ich auch die Verantwortung, meine Stimme zu nutzen. Auch wenn die Kirche normalerweise nichts zu den Parteien sagt: Unser Bischof Ernst-Wilhelm Gohl hat dieses Jahr dazu aufgerufen, nicht die AfD zu wählen: „Wir haben eine Entwicklung in der AfD von der rechtspopulistischen Partei zur rechtsextremen Partei“ und „die Haltung des Rechtsextremismus [ist] mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar“ (vgl. https://www.elk-wue.de/news/2024/11032024-kirche-und-politik-landesbischof-gohl-im-interview). Aber auch wenn diese Partei aus christlichen Gründen ausscheidet, bleiben genügend andere Parteien mit großen inhaltlichen Unterschieden – und da kann ich frei wählen. Schön eigentlich, wie viel Verantwortung ich hier bei uns schon mit der Wahl übernehmen kann – nur…
Nur wo ist da meine Verantwortung?
Meine Stimme ist in der EU nur eine von 447 Millionen Stimmen. Und irgendwie habe ich das Gefühl: Die Entscheidungen über die Welt fällen sowieso ganz andere Menschen. Am Angriff von Russland auf die Ukraine hat man gesehen: Was Putin entschieden hat, das hatte riesige und schreckliche Auswirkungen.
Wo ist da meine Verantwortung?
Mir geht es übrigens nicht nur bei der Wahl so, es ist genauso beim Klimawandel, bei der Integration von Geflüchteten, bei der Bildungsmisere, bei der Kriminalität.
Kurz durchfährt mich der Gedanke: Die anderen, die müssten was tun! Scholz, Biden, von der Leyen, die Wirtschaftsbosse, die Lehrerinnen, die Wissenschaftlerinnen – ach, so viele sollten, müssten! Täten die nur…
Und dann wird mir klar: Die sind auch wie die Konfis. Auch wie die Jünger. Auch wie ich.

Persönliche VerantwortungIch denke an die Patentante. Sie hat sich entschieden, Verantwortung zu übernehmen.
Und ich denke an die Verheißung Jesu: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes bekommen.
Und ich denke an all die Situationen in meinem Umfeld, bei denen ich Verantwortung übernehme. Und an die, bei denen ich mehr Verantwortung übernehmen sollte. Was für ein weites Land tut sich da auf: voller Möglichkeiten – in der Nachfolge Jesu.

Und ganz am Schluss bin ich Lukas, dem Evangelisten doch dankbar, dass die Geschichte von der Himmelfahrt nicht damit aufhört, dass die Verantwortung bei uns liegt.
Lukas lässt die beiden Engel (oder Männer) in weißen Gewändern noch ankündigen, dass Jesus am Ende wiederkommt.
Das gute Ende ist angekündigt. Das beruhigt mich.
Bis dahin aber: Bis dahin liegt es an uns. Amen.

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