Rogate (05. Mai 2024)

Autorin / Autor:
Pfarrer Julian Scharpf, Fellbach [Julian.Scharpf@elkw.de ]

2. Mose 32,7–14

Intention„Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott.“
Mit dieser Predigt sollen Menschen ermutigt werden, beherzt mit Gott zu reden, weil Gottes Herz für uns Menschen schlägt.

Mit dem Beten fremdelnLiebe Gemeinde, eine meiner ältesten Erinnerungen an das Beten ist etwas ernüchternd. Ich erinnere mich, wie mich als Konfirmand im Sonntagsgottesdienst das Stille Gebet befremdet hat. Ich stand in der Bankreihe. Alle um mich herum wussten anscheinend, was sie zu tun hatten. Den Kopf leicht geneigt und ins Gebet versunken standen die anderen Menschen da. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Nur ich war mit meinen Gedanken schon beim Sonntagnachmittag anstatt im Gespräch mit Gott. Scheinbar war ich der Allereinzige, der nicht wusste, was zu tun ist. Es war so befreiend, als mir mein bester Freund erzählte, dass es ihm genauso ging. Diese Erfahrung war der Ausgangspunkt für ein lebenslanges Ringen um das Gebet. Immer wieder frage ich mich aufs Neue, wie ich beten kann. Ich suche Gebete, die mich inspirieren. In der Bibel, im Alten wie im Neuen Testament, finde ich Beispiele für Gebete, die nicht nur meine Augen für die Vielfalt des Gebets öffnen, sondern auch mein eigenes Herz und meinen Mund aufgehen lassen. Eines dieser inspirierenden Gebete finde ich im 2. Buch Mose. Hier wird erzählt, wie Mose gerade von Gott die Gesetzestafeln empfangen hat, und das Volk weiß leider nichts Besseres zu tun, als in dieser Zeit der Abwesenheit des Mose ein Goldenes Kalb zu gießen und diesem Opfer zu bringen.

Moses Fürbitte (2. Mose 32,7–14, Luther 2017)Der Herr sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben’s angebetet und ihm geopfert und gesagt: Dies sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben. Und der Herr sprach zu Mose: Ich habe dies Volk gesehen. Und siehe, es ist ein halsstarriges Volk. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie verzehre; dafür will ich dich zum großen Volk machen. Mose wollte den Herrn, seinen Gott, besänftigen und sprach: Ach, Herr, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem glühenden Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig. Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk angedroht hatte.

Mose redet TachelesGott ist zornig. Einmal ist der Anführer Mose nicht da, und schon ist das ganze Volk auf Abwegen. Er droht dem Volk an, es zu vernichten und bietet Mose an, dass er aus seiner Familie allein ein großes Volk schaffe. Da erhebt Mose die Stimme zu einem Gebet, das etwas von einem leidenschaftlichen Plädoyer eines Anwalts vor Gericht hat. Mich erinnert dieses Gebet an Szenen aus Hollywood-Filmen, in denen die Verteidigung in einem scheinbar aussichtslosen Fall die Jury überzeugt, Gnade walten zu lassen. Mose ist der Anwalt seines Volkes. Ausgerechnet er, der Stotterer, geht in die Bütt. Er springt für das Volk in die Bresche, das ihn gerade noch zusammen mit seinem Bruder Aaron so bitter enttäuscht hat. Und trotzdem bittet er für dieses Volk. Aber dieses Gebet ist nicht einfach nur eine Fürbitte, sondern eine beherzte Rede.
Mose bettelt nicht devot, sondern redet mit unserem Gott Tacheles. Er erinnert ihn daran, dass er Gott ist. Es wäre seiner unwürdig, das Volk aus der Knechtschaft in Ägypten zu führen, sich als starker Gott gegenüber allen Feinden zu erweisen, nur um das Volk dann selbst zu vernichten. Mose weist Gott sogar darauf hin, dass er in Ägypten einen Imageschaden erleiden könnte, wenn dies bekannt würde. Mose ruft Gott ins Bewusstsein, dass es schließlich nicht irgendein Volk, sondern sein Volk ist. Während Gott unbestimmt von „diesem Volk“ oder gegenüber Mose von „deinem Volk“ spricht, bringt Mose Gott in Erinnerung, dass es doch Gottes Volk ist.
In seinem beherzten Plädoyer appelliert Mose an die Beziehung zwischen Israel und Gott, wenn er an die Erzväter erinnert. Mose geht in seiner klugen Begründung weiter und macht darauf aufmerksam, dass Gott seine Verheißungen und damit seine Autorität auf Spiel setzt, wenn er seinem Zorn freien Lauf lässt. Mose argumentiert in seinem Gebet mit einem kühlen Kopf und appelliert emotional an das Herz Gottes. Letztendlich sagt Mose zu Gott im Grunde: „Du bist doch unser Gott. Zeige es uns auch jetzt.“
Und Gott? „Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk angedroht hatte.“ Gott lässt sich erreichen, sich vielleicht auch erweichen. Gott lässt sein Herz bewegen und hebt sein Urteil auf.

Gottes HerzDas Alte wie das Neue Testament erzählen uns von einem Gott mit Herz. Sie erzählen uns von einem Gott, der wie ein glühender Backofen voller Liebe ist, so Martin Luther. Nicht nur heute, auch in früheren Zeiten wirkte das auf Menschen befremdlich, die sich Gott als einen unbewegten Beweger oder ein abstraktes Prinzip vorstellten. Unser christlicher Gott ist ein echtes Gegenüber; ein dreieiniger Gott in Beziehung mit uns Menschen; ein Gott, der Liebe und Reue empfindet.
Eine Seite dieses Gottesbildes ist auch der Zorn, der uns irritieren kann. Ich stelle mir das so vor: Diejenigen, die ich am meisten liebe, sind auch diejenigen, die mich am meisten aufregen. So sehr Gottes Herz für uns brennt, so wütend mag er auch sein bei unseren Abwegen. Die Geschichte des Volkes Israel in der Wüste mit dem Goldenen Kalb erinnert uns daran, wie schnell wir uns auch heute wieder von Gottes Willen und seinen Geboten abwenden. Ich hoffe sehr, dass es auch in unserer Zeit Menschen wie Mose gibt, die für uns in die Bresche springen und leidenschaftliche Plädoyers halten.
Und ich frage mich, an welchen Stellen und für wen ich vielleicht wie Mose beten könnte. Ich möchte klug wie Mose argumentieren und Gottes Herz erreichen. Ich möchte auch für andere in die Bresche springen wie Mose. Es gibt nicht wenige Momente im Blick auf die Weltlage, in denen ich Gott sage: „Du bist doch unser Gott. Zeige es uns auch jetzt.“ Und ich bete und hoffe mit meinem ganzen Herzen, dass über diesen Momenten auch der Satz stehen könnte: „Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk angedroht hatte.“

Unser HerzIch verstehe die Bibelstelle, die wir gehört haben, als eine Ermutigung für unsere Gebete. Es ist ermutigend, wie selbstbewusst, klug und beherzt Mose mit Gott Tacheles redet. Es ist ermutigend, dass Gott das Gebet des Mose erhört und sein Herz bewegen lässt. Diese Fürbitte des Mose zeigt mir auch auf, wie vielseitig das Gebet sein kann.
„Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott, in Bitte und Fürbitte, in Dank und Anbetung.“ Dieser Satz wird Martin Luther und Johannes Brenz zugeschrieben und ich stelle ihn heute auch noch meinen Konfirmationsgruppen vor, weil er das Herz in den Mittelpunkt stellt. Gottes Herz schlägt für uns, damit auch unser Herz für unsere Mitmenschen schlägt. Die Bitte für andere Menschen und Völker bewahrt uns davor, beim Beten nur um uns selbst zu kreisen. Wenn ich daran denke, wie viele Menschen und Völker auch heute so ein beherztes Plädoyer wie das des Mose brauchen könnten, dann beginnt mein Herz von allein zu Gott zu reden.
Wenn ich dann an meine Unsicherheit beim Stillen Gebet als Konfirmand denke, muss ich schmunzeln. Denn heute empfinde ich gerade das Stille Gebet als einen der intensivsten Momente eines Gottesdienstes und freue mich, dass meine Konfirmandengruppen immer wieder dieses Gebet als eines ihrer Highlights im Gottesdienst benennen. Es ist eine von vielen Möglichkeiten für uns, vor Gott zu bringen, was uns auf dem Herzen liegt. So unterschiedlich unsere Gebete auch sein mögen, ob still oder laut, frei oder vorformuliert, einsam oder gemeinschaftlich: Lassen sie uns dabei auf einen Gott vertrauen, mit dem wir beherzt reden können, weil sein Herz für uns schlägt. In diesem Sinne: Rogate! Betet! Amen.

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