Palmarum / Palmsonntag (24. März 2024)

Autorin / Autor:
Stadtdekan Sören Schwesig, Stuttgart [Soeren.Schwesig@elkw.de]

Philipper 2, 5-11

IntentionDem Gedanken des Gehorsams will ich in der Predigt nachspüren. Im Gehorsam gegenüber Gott durchlebt Christus die gesamte menschliche Existenz von der Geburt unter menschlichen Bedingungen bis zum gewaltsamen Tod am Kreuz. So dass nun gesagt werden kann: Nichts Menschliches war ihm fremd. Mir ist dieser Gedanke wichtig in meiner Beziehung zu Christus. Die Predigt soll diesen Gedanken deutlich machen.

Liebe Gemeinde,
vor Jahren wurden Schüler im Religionsunterricht gefragt, was ihrer Meinung nach das wichtigste christliche Fest sei. Ihre Antwort: „Weihnachten!“ Als der Lehrer erklärte, das Osterfest wäre um einiges wichtiger als das Weihnachtsfest, war allgemeines Erstaunen. Dann überlegte die Klasse, warum für sie Weihnachten vor Ostern rangiert. „Wahrscheinlich wegen der Geschenke an Weihnachten!“, war eine der Antworten.

Es mag noch einen anderen Grund geben, dass für viele Weihnachten über dem Osterfest steht. Beiden Festen geht eine Vorbereitungszeit, eine Fastenzeit voraus. Vor Weihnachten die Adventszeit, jetzt vor Ostern die Passionszeit. Die Adventszeit ist eine frohe, heitere, leichte Zeit - ist sie doch Vorbereitungszeit auf die Geburt eines Kindes. Und wer würde sich nicht auf die Geburt eines Kindes freuen? Die Passionszeit dagegen bereitet auf den Tod Jesu vor. Leid, Angst, Sterben stehen als Themen im Mittelpunkt - und wer setzt sich schon gern auseinander mit Leid und Angst? Wer sieht sich schon gern konfrontiert mit dem Sterben?

Außerdem sind wir die Konfrontation mit dem Sterben nicht mehr gewöhnt. Zum einen verdrängt die Mehrzahl der Menschen lieber die Gedanken an das eigene Sterben. Zum anderen geschieht das Sterben in unserer Gesellschaft fernab der Öffentlichkeit - in Altersheimen, Pflegeheimen, Krankenhäusern. Dort wird in unserer Gesellschaft meist gestorben - und das im engsten Familienkreis. Wie oft sagen wir als Außenstehende überrascht, wenn wir von einem Tod erfahren: „Ich wusste gar nicht, dass es so schlimm um ihn stand!“ Weil die meisten Menschen so wenig mit dem Sterben zu tun haben, fällt ihnen eine Auseinandersetzung damit umso schwerer.

Aber nun sind eben Leid, Angst und Sterben die Themen der Passionszeit. Kein Wunder, dass Menschen sich leichter tun mit der Adventszeit als mit der Passionszeit.

Zur Situation des Tags des Einzugs Jesu in JerusalemHeute am Beginn der Karwoche versuchen wir aufs Neue zu begreifen, was damals mit Jesus geschehen ist. Erneut versuchen wir, seinem Leiden und Sterben einen Sinn abzugewinnen. So haben das damals auch die Jünger gemacht. Schließlich konnten sie nicht begreifen, was da geschehen war. So lange waren sie Jesus nachgefolgt in der festen Überzeugung, er sei der Gesandte Gottes. Wie konnte der, den sie Sohn Gottes nannten, und auf den sie ihre Hoffnung gesetzt hatten – wie konnte der einfach so von Menschen zu Tode gebracht werden, auch noch zum Tod durch das Kreuz? So haben die Jünger damals gefragt. Generationen von Christen nach ihnen haben es ihnen gleichgetan. Blättert man durch die Passionslieder in unserem Gesangbuch, stößt man immer wieder auf diese Frage: „Wie konnte das geschehen?“

„Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen,
dass man ein solch scharf Urteil hat gesprochen?
Was ist die Schuld, in was für Missetaten bist du geraten?“

Heute ist also Palmsonntag. Der Tag des triumphalen Einzugs Jesu in Jerusalem. Wie müssen sich die Jünger an diesem Tag vorgekommen sein? Lange waren sie mit Jesus durchs Land gereist, hatten alles mit ihm geteilt, ihm zugehört. Waren mal erstaunt, mal verärgert über das, was er ihnen vom kommenden Reich Gottes erzählte. Mal waren sie von den Menschen freundlich aufgenommen, oft aber verlacht und verspottet worden. Als Jesus auf Jerusalem zusteuert, ist allen klar: Hier, in der Stadt Davids, wird es zu einer Entscheidung kommen.

Und dann dieser triumphale Empfang! Die Straßen voll von Menschen, die ihnen zujubeln. Sie haben Palmwedel abgerissen, um die Straße zu schmücken. Viele haben ihre Kleider auf die Straße gelegt, damit der kommende König über sie hinwegreite. Und sie jubeln ihm zu:
„Hosianna, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“
Was für ein Empfang! Ist diese Begeisterung der Menschen nicht ein Zeichen dafür, dass die Sache Jesu zu ihrem Ziel kommt?
Zu ihrem Ziel schon. Aber fragt sich nur, zu welchem Ziel?

Ob unter den Jüngern Jesu auch manche geahnt haben, was diese Woche ihnen bringen würde? Ob sie wohl unter den Hosianna-Rufen schon die Andeutung eines „Kreuzigt, kreuzigt ihn!“ vernommen haben?

Paulus erinnert die Christen in Philippi an die Heilsgeschichte Jesu. Daran, dass Christus das ganze Leben mit uns Menschen geteilt hat.Gehen wir in der Geschichte des Christentums weiter. Eine Generation nach diesen Ereignissen in Jerusalem. Viel Zeit ist inzwischen gegangen. In der von Paulus gegründeten Gemeinde in der kleinen, griechischen Stadt Philippi gibt es Streit. Worum es geht, ist nebensächlich. Aber der Streit bedroht das Zusammenleben der Christen. Da greift Paulus ein – mit einem Brief. Darin malt er den Streitenden Jesu Lebensweg vor Augen. Aber er erzählt nichts von Jesu Begegnungen mit den Menschen, von seinen Heilungen, Wundern oder Reden. Vielmehr beschreibt er Jesu Lebensweg als eine Bewegung des Abstiegs von oben nach unten, dem ein Aufstieg zurück zum Ursprung folgt. Nochmals einige Verse aus unserem Predigtwort:

„Von göttlicher Gestalt war er.
Aber er hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein – so wie ein Dieb an seiner Beute
Sondern er legte die göttliche Gestalt ab und nahm die eines Knechtes an.
Er wurde in allem den Menschen gleich.
In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch.
Er erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis in den Tod – ja, bis in den Tod am Kreuz“ (Verse 6-8).

Mit diesen knappen Worten fasst Paulus all das zusammen, was in der Nacht von Bethlehem begonnen hatte: Der von Gott gesandte Mensch wurde geboren, dass er unter den Menschen wohne und mit ihnen ihr Leben teile.
Und wirklich: Jesus teilte das Leben mit ihnen. Ihre Freude und ihre Lebenslust. Auch ihre Alltagssorge teilte er mit ihnen, das Leiden, den Schmerz. Und er teilte mit ihnen sogar das Letzte und Schwerste, was uns Menschen bevorsteht - den Tod.
Dieser Tod steht uns noch bevor. Doch jetzt schon reicht er immer wieder in unser Leben hinein. Er hinterlässt seine Spuren: „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“ (1)
Auch dieses Letzte und Schwerste teilte Jesus mit uns.

Die Deutung von Jesu Tod als einem Akt des Gehorsams gegen Gottes WegWarum aber ging Jesus diesen Weg bis zuletzt? Er hätte doch vor seiner Verhaftung Jerusalem verlassen können. Er hätte zurück nach Nazareth gehen können, um dort ein ganz normales Leben zu leben und irgendwann dann einen normalen Tod zu sterben? Was veranlasste Jesus, seinen Weg zu gehen?

Paulus antwortet darauf so: Es war sein Gehorsam, den Jesus seinen Weg gehen ließ. Sein Gehorsam gegen Gott. Aber der Gehorsam Jesu ist nicht zu vergleichen mit dem Gehorsam eines Soldaten, der dem Kommando seines Vorgesetzten folgt. Auch nicht vergleichbar dem Gehorsam eines Kindes, das tut, was ihm die Eltern sagen. Wenn es heißt, „Jesus gehorchte Gott“, heißt das: Jesus war der Liebe Gottes treu – und gehorchte ihr.

Diese Liebe Gottes haben die Jünger bei Jesus erlebt:
Gott nimmt Anteil am Leben eines Menschen.
Gott weiß um das Elend, das uns heimsuchen kann.
Gott sieht die Tränen, die wir weinen – im Verborgenen oder offen.
All das haben Menschen bei Jesus erfahren. Und deshalb, sagt Paulus, „deshalb sandte Gott Jesus in die Welt, dass wir durch ihn Gottes Liebe erfahren.“

Da Jesus seinen Weg bis zum Ende geht, erleidet er auch den Tod am eigenen Leib. So er- und durchlebt er auch das Schwerste, was auf einen Menschen wartet.Bleibt noch diese andere Frage: Warum ließ Gott Jesus diesen Weg gehen? Warum hat Gott ihn nicht bewahrt vor Folter, Kreuzigung und Tod?
Wir fragen so, weil wir als Menschen immer wieder auf ein Happyend hoffen.

Aber was wäre gewesen, wenn Jesus ein Happyend erlebt hätte und Gott ihn vor dem Tod gerettet hätte? Was würde das für uns verändern?

Wäre das geschehen, hätte Jesus zwar vieles in unserem Leben mit uns geteilt: unsere Freude, Lebenslust, Alltagssorgen, Schmerzen, Leiden. In all dem wäre er uns ein Bruder gewesen. Aber das Letzte und Schwerste, was auf uns wartet - der Tod, den hätte er nicht mit uns geteilt. Dann könnte ich als Christ meinem Tod nicht entgegensehen mit der Hoffnung, dass auch hier Christus mir zur Seite stehen wird. Dann könnte ich als Christ nicht die Hoffnung haben, dass Christus im Tod auf mich wartet, um mich aufzunehmen.

Aber nun blieb Jesus der Liebe gehorsam und nahm den Tod auf sich. Deshalb kann ich auch in der letzten Hoffnungslosigkeit meines Lebens meine Hoffnung auf ihn setzen und sagen: „Egal, was kommt, ich vertraue drauf, du bist bei mir!“

Paulus sagt: Lasst diesen Gehorsam Jesu gegenüber der Liebe der Maßstab für euer Leben sein. Seid der Liebe Gottes treu und gehorcht ihr. Wenn ihr so lebt, wird ein Segen auf eurem Leben liegen. Wenn ihr so lebt, wird euch Christus in euerm Leben immer wieder begegnen und zur Seite stehen.
Amen.


Anmerkung
1 Nach einer frühen lateinischen Antiphon: „Media vita in morte sumus“. Martin Luther hat darauf sein Lied „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ gedichtet (EG 518).

Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)