Letzter Sonntag nach Epiphanias (28. Januar 2024)
2. Korinther 4,6–10
IntentionBeim ersten Lesen spricht mich das Bildwort des tönernen, zerbrechlichen Gefäßes an. Die Gedanken kommen rasch zu Henning Luthers „Leben als Fragment“. Dagegen empfiehlt die „Exegese für die Predigt“ der Deutschen Bibelgesellschaft (https://www.bibelwissenschaft.de/ressourcen/efp/reihe6/4-nach-epiphanias-2-korinther-4), sich nicht auf eine individualistische Engführung zu begrenzen, sondern auch das Ringen des Paulus um die Beziehung zu seiner Gemeinde zu berücksichtigen. Der 2. Korintherbrief bietet besondere Einblicke und zeigt, mit welchen Spannungen und Auseinandersetzungen die ersten Gemeinden konfrontiert waren.
In der Predigt möchte ich beide Aspekte miteinander verweben: Paulus kämpft gegen erfolgreiche religiöse Heros, die ihn in Glanz und Pracht wohl überstrahlen. Menschen heute haben oft zu kämpfen mit dem vermeintlichen gesellschaftlichen Auftrag, das Beste aus dem eigenen Leben herausholen zu müssen. Denn: Jeder ist seines Glückes Schmied. (Thematisch hierzu passend: „Leben ist kostbar: Wider die Tyrannei gelingenden Lebens“ von Gunda Schneider-Flume. Und auch: „Ich möchte lieber nicht. Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven“ von Juliane Marie Schreiber).
Jeder ist seines Glückes Schmied, denn: Nichts ist unmöglich?!Am Jahresanfang liegt immer ein bisschen vom Zauber des Neuen und Unberührten in der Luft. Das spürt auch Evelyne, die gerade entspannt auf ihrem Sofa sitzt.
Evelyne ist voller Erwartungen und trägt den festen Vorsatz in sich, dieses Jahr besser meistern zu wollen. Optimaler. Die allgegenwärtigen Botschaften in ihren E-Mails laden sie nachdrücklich dazu ein, sich selbst zu verbessern und ihr Leben erfolgreicher, strukturierter und glücklicher zu gestalten. Die Idee, zur besten Version ihrer selbst zu werden und die eigene Lebensqualität zu verbessern, ist überall. Spontan meldet sich Evelyne zu einem Workshop bei einem Super-Coach an.
Zufrieden blickt Evelyne auf. Einen ersten Schritt hat sie getan.
Aber ein leichtes Grummeln macht sich dennoch in ihrer Magengegend breit. Der Wunsch nach persönlicher Verbesserung ist zwar beachtenswert, aber die ständige Aufforderung, sich zu optimieren, stresst Evelyne auch ein wenig. Die Erwartung, immer an sich arbeiten zu müssen – privat wie auch beruflich –, aus Fehlern etwas lernen zu müssen und das Positive aus jedem Scheitern ziehen zu müssen, setzt Evelyne unter Druck.
Paulus widersprichtWiderspruch regt sich auch in Paulus. Die Gemeinde, die er in Korinth ins Leben gerufen hat, hat einige glänzende Prediger aufgenommen, die als religiöse Helden und glänzende Coaches angesehen werden. Man könnte sagen: Super-Apostel haben sich in der Gemeinde viel Raum verschafft.
In Korinth predigen strahlende Persönlichkeiten, deren Glanz so überwältigend ist, dass Paulus fast in ihrem Schatten verschwindet. Paulus, der eher wie ein gebrochener Held aussieht, schreibt nun seiner Gemeinde in Korinth.
PredigttextLesung des Predigttextes aus 2. Korinther 4, 6–10 nach der Lutherübersetzung 2017:
„Denn Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht.
Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen.
Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, auf dass auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“
Die Schönheit des Unvollkommenen. Ein Blick in die menschliche ExistenzLiebe Gemeinde, perfekt zu sein, gelingt uns nicht. Alles richtig machen – können wir nicht.
Vollkommenheit liegt nicht in unserem Wesen. Es entspricht nicht unserer Natur.
So sind wir nicht geschaffen.
Unsere menschliche Grundbestimmung ist eine andere. Wir sind kreatürlich. Wir sind Kreaturen und nicht der Kreator, der Schöpfer.
Um das zu beschreiben, um uns zu beschreiben wählt Paulus ein besonderes Bild.
Er spricht von uns als irdische Gefäße. Fragile, unscheinbare Behältnisse sind wir.
Gefäße, die aus Erde gemacht sind so wie der erste Mensch.
Ein irdenes Gefäß, so ein tönerner Krug, kann leicht anschlagen, oder zerbrechen.
Auch der Mensch ist zerbrechlich, verwundbar und verletzlich.
Denn ein Menschenleben formt sich aus Möglichkeiten und verworfenen Lebensmöglichkeiten.
Aus Gelingen und Misslingen. Menschliches Leben wird versehrt und kann trotzdem erblühen.
Manchmal fügt sich im Leben das Gestern, Heute und Morgen nicht immer so einfach zusammen – auch wenn wir noch so viele Workshops belegen und ein positives Mindset entwickeln.
Manchmal entstehen Brüche, und manche Dinge im Leben bleiben einfach unvollendet.
Manche Erfahrungen, die wir im Leben machen, hinterlassen Spuren in uns.
Und manche Freuden, die wir erleben, zaubern Lachfalten auf den Wangen.
Leben ist nicht makellos.
Und genau hierin liegt die Schönheit unseres Seins: nicht in einer makellosen Perfektion, sondern in der Echtheit unserer Form, geprägt von den Händen des göttlichen Künstlers.
Wir Menschen müssen keine Helden sein.
Stattdessen spüren wir eine Sehnsucht in uns nach dem, was noch nicht ist, aber sein könnte. Wir ahnen: Wir sind im Werden, um einst zu denen zu werden, wozu wir bestimmt sind.
Erinnerung an den ersten SonnenaufgangAuch Evelyne spürt diese Sehnsucht. Und so steht sie eines Morgens in aller Früh auf, legt ihr Handy aus der Hand und ist für einen Tag lang nicht zu erreichen.
Sie packt ihren Rucksack. Stopft Getränke und Butterbrote hinein.
Heute wird sie nicht produktiv sein!
Noch weit vor Sonnenaufgang kommt Evelyne auf der Lichtung oben auf dem Berg an.
Sie setzt sich auf einen Holzstamm und wartet.
Zaghaft lichtet sich im Osten das Dunkel.
Die ersten hellen Orangetöne erheben sich kreisförmig über den Morgenhorizont.
Langsam schiebt sich die erhellende Kraft der aufgehenden Sonne immer höher.
Die langen Schatten fallen hinter Evelyne. Eine wohlige Wärme umhüllt sie.
Die Morgendämmerung erinnert an den allerersten Sonnenaufgang der Welt, als Gott sprach: Es werde Licht!
Und dann spürt Evelyne, wie es in ihr drin licht wird.
Ein heller Schein entsteht da in ihrem Herzen. Ganz ohne ihr Zutun.
Es ist ein Augenblick, von dem man sich wünscht, er möge nie zu Ende gehen.
Evelyne atmet ein. Sie nimmt das Tiefe, Besondere, Verbindende in sich auf.
Ihr scheint, als würde ihr Leben getragen und gehalten werden.
Durch alle noch so feinen Risse in ihrer Seele und in ihrem Leben leuchtet Gott hervor.
Evelyne versteht: ihr Leben hängt nicht von äußeren Glanzlichtern und ihren Glanzleistungen ab, sondern von einer tiefen Verbindung zu Gottes Licht. Durch ihre brüchige Seele strahlt das goldene Sonnenlicht und zaubert Muster und Formen in ihr Leben hinein. Neue Sichtweisen auf Risse und Bruchstücke werden möglich.
Evelyne lässt los: alle Vorhaben, alle Optimierungsgedanken, alle kräfteraubenden Produktivitätssteigerungen, die ihre Seele umschlungen hielten.
Und dann merkt sie: Nicht ich selbst vergolde mein Leben.
Es ist der Lichtglanz Gottes, der in mir aufscheint und meine Unvollkommenheit zum Strahlen bringt.
Paulus erinnert an diesen Schatz im HerzenFür Paulus ist diese Erfahrung des Sonnenaufgangs ein Schatz in einem irdenen Gefäß. Und an diesen Schatz erinnert er auch die Christen in seiner Gemeinde in Korinth.
Paulus erinnert daran, dass jeder Sonnenaufgang eine Vorwegnahme dessen ist, was noch aussteht.
Jede Morgendämmerung ist eine Erinnerung an Ostern.
Eine Erinnerung daran, dass Jesus die Zerbrechlichkeit des Lebens überwunden hat. Dass er in uns zum Strahlen kommt.
Jedes Mal, wenn die Sonne in unseren Herzen aufgeht, merken wir:
Mein Leben wird getragen und gehalten. Ich muss nicht perfekt sein. Mein Leben darf Schrammen und Brüche haben, denn durch diese Risse kann Christus mein Leben zum Glänzen bringen.
Jedes Mal, wenn die Sonne in unseren Herzen aufgeht, dann spüren wir da etwas von der Sehnsucht nach dem, was noch nicht ist, aber wozu wir bestimmt sind. Amen.
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