16. Sonntag nach Trinitatis (24. September 2023)
Hebräer 10,35-39
IntentionDie Predigt greift die Situation der Adressaten des Hebräerbriefes auf, sieht eine nahe Parallele zur heutigen Situation von Kirche, Gemeinde und persönlichem Glauben. Müde gewordene Christen sollen erinnert, ermutigt und neu gestärkt werden in ihrem Alltag, damit sie das Leben nicht versäumen, sondern gewinnen.
Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr nötig, auf dass ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. Denn »nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben. Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm« (Hab 2,3-4).Wir aber sind nicht solche, die zurückweichen und verdammt werden, sondern solche, die glauben und die Seele erretten.
(Hebräer 10,35-39)
Liebe Gemeinde,
du schaffst das! Mit vielerlei Motiven kann man diesen Zuspruch im Postkartensortiment von Buchhandlungen oder Papeterien finden. Mutmach-Worte, Zuspruch für jemanden, der unsicher ist, vielleicht Angst hat, Sorge, Befürchtungen: Wie soll ich das bloß schaffen? Die Prüfungen, mein Studium, die Umstrukturierungen am Arbeitsplatz, die Pflege der Eltern, die Kinder und den Haushalt? Den Umbau unseres Hauses…
Du schaffst das! Wer solch eine Karte verschickt, meint es gut mit den Adressaten, möchte ihnen den Rücken stärken, traut ihnen zu, dass sie ihre Herausforderung bewältigen und am Ende ihr Ziel erreichen. Wer solch eine Karte empfängt, wird sich freuen, spüren: Es steht jemand hinter mir. Er, sie will mir Kraft geben, dass ich die Flinte nicht ins Korn werfe, sondern durchhalte.
Wie wohltuend ist es, wenn jemand – gerade in schwierigen Phasen – hinter uns steht, uns motiviert, „an uns glaubt“, ermutigt, wo wir entmutigt sind, uns nichts mehr zutrauen, womöglich resignieren: Ich kann nicht mehr, ich mag nicht mehr.
Und dann: Du schaffst das!
Der Verfasser des Hebräerbriefes ist solch ein Motivator. Er schreibt an Gemeinden, deren Glaubensleben auf Sparflamme läuft. Bei vielen ist die Stimmungslage nach anfänglicher Begeisterung im Glauben gegen Null gesunken. Enttäuschung macht sich breit.
Die Situation der Christen im Römischen Reich wird nicht leichter, sondern immer schwieriger.
Wen wundert’s, wenn sie mürbe werden, desillusioniert resignieren. Was soll’s? Es lohnt sich doch nicht, dieser Weg mit Christus. Sie fragen sich: Was habe ich davon, wenn ich glaube, wenn ich bete, Bibel lese, Mitglied der Gemeinde bin? Wo sehe ich denn Gottes Herrschaft in der Politik, im Weltgeschehen, in dieser gottfernen Welt überhaupt?
Ich denke, die Lage der Christen, an die der Hebräerbrief geht, ist nicht groß unterschieden von unserm heutigen Erleben, persönlich, in Kirche und in der Gesellschaft.
Gewiss, verfolgt werden wir Christen in Europa nicht. Doch zunehmend bedeutungslos, ignoriert, auch kritisiert und attackiert. Die geschlossenen und verkauften Kirchengebäude, die vielen Kirchenaustritte, Stellenreduzierungen gehen nicht spurlos an uns Christen vorüber. Zweifel machen sich breit, Müdigkeit und Resignation oft auch im persönlichen geistlichen Leben.
Wir schaffen das. Hat die Kanzlerin 2015 angesichts der vielen Geflüchteten gesagt. Längst hat der Slogan von 2015 gelitten, ist angekratzt. Wie sollen wir das schaffen, all die Aufgaben von Inflation, über Ukraine-Krieg und Klimawandel und immer noch: die vielen Flüchtlinge? Und dann kann es geschehen, dass unmerklich, schleichend der Glaube in den Hintergrund rückt. Müde gewordene Christen.
Dem tritt der Verfasser des Hebräerbriefes mit aller Leidenschaft entgegen. Er ruft heraus aus Schlappheit, Mutlosigkeit, Gleichgültigkeit. Er will die Gemeinden damals und uns heute neu motivieren, stärken, ermutigen!
Sein Motto greift tiefer als du schaffst das – mit deinem Verstand, deiner Energie! Er erinnert vielmehr: Lebt vom Ziel her! Dann müssen wir nicht aufgeben. Dann schaffen wir das!
Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.
Ein erster Aspekt: Bewahren! Vom Ziel her leben!
Wir haben viele Erfahrungen aus unserer Wegwerfgesellschaft. Was nicht mehr modern ist, kommt in den Container, was nicht mehr gefällt, wird ausrangiert. Inzwischen hat– Gott sei Dank – ein Umdenken eingesetzt: Kostbare Güter nicht weiter vergeuden! Nicht alles unüberlegt über Bord werfen!
Erst recht nicht den Glauben! Bewahren, wahrnehmen, wie wir zu Christen geworden sind. Gott hat sein JA gesagt. Aus ihm leben wir. Der Wochenspruch führt uns ins Zentrum:
Jesus Christus hat dem Tod die Macht genommen, Leben, unvergängliches Wesen an Licht gebracht. Der Himmel steht offen. Jesus Christus hat uns die Ewigkeit erschlossen Mit Worten von Heino Tangermann: "In Jesus gehörst du zur ewigen Welt zum Glaubensgehorsam befreit" (EG Württ. 608, 4).
Wie töricht wäre es, unser Vertrauen wegzuwerfen, uns zu lösen aus dem Ja Gottes. Jeder Gottesdienst und jedes Losungswort, unsere Choräle und neuen Lieder motivieren, stärken, ermutigen uns zum Bewahren, zum Freuen, einander den Rücken zu stärken: Wir haben einen großen Gott! Jesus Christus ist auferstanden, er lebt, er hat uns den Himmel eröffnet. Mit ihm leben wir – im Horizont der Ewigkeit!
Ein zweiter Aspekt: Bewähren! Geduld braucht’s!
Geduld habt ihr nötig! Ja, das stimmt. Wer braucht sie nicht? Geduld ist nötig in der langen Schlange an der Kasse des Supermarkts und in der Warteschleife am Telefon. Wir brauchen Geduld an der roten Ampel und im Warten auf die langersehnte Post.
Wir brauchen Geduld mit unsern Mitmenschen, Eltern mit Kindern und Kinder mit Eltern, Kollegen untereinander, Geduld im Kindergarten und im Pflegeheim.
Und wir brauchen Geduld mit uns selber: Wenn die Arbeit nicht so von der Hand geht, wie erhofft, wenn eine schwere Krankheit ihre Spuren hinterlässt, wenn das Einarbeiten in den umstrukturierten Arbeitsbereich nicht gelingen will.
Geduld braucht’s – um den Willen Gottes zu tun. Wie können, sollen wir den Willen Gottes tun? Tatsächlich – mitten in unserm täglichen Leben.
Von aktiver und passiver GeduldDer Ausleger Gottfried Voigt benennt eine doppelte Form, den Willen Gottes zu tun, eine aktive und eine passive. (1)
Es gibt Zeiten, Phasen unseres Lebens, in denen uns nichts anderes bleibt als auszuhalten, in Geduld zu warten bis die Zeit durch die Wüste vorüber ist, Gott wieder spürbar wird, der Glaube wieder lebendig und erfrischt.
Der englische Erweckungsprediger und Gründer der Methodistischen Kirche John Wesley, schreibt in seinem Tagebuch einmal von einer Zeit geistlicher Dürre. Ausgelaugt von seinen anstrengenden Diensten fühlte er sich am Ende, hatte keine Kraft mehr zum Verkündigen.
Er wandte sich an seinen Seelsorger, schilderte seine Situation und bekam die verblüffende Antwort: „Wenn du nicht mehr predigen kannst, dann predige weiter bis du es wieder kannst. Und wenn du es wieder kannst, dann predige, weil du es kannst.“
Eine Zumutung, mag man denken. Aber: So sieht passive Geduld aus. Auch wenn ich nicht gut drauf bin, wenn ich dazu neige, mein Vertrauen wegzuwerfen – dies bloß nicht tun!!! Sondern dran bleiben an Gottes Zusage, sich stärken lassen von seinem Wort und Hilfe holen von Mitmenschen, die wohlwollend und unterstützend zur Seite bleiben. Das ist passive Geduld. Wörtlich übersetzt bedeutet Geduld – drunten bleiben. Unter Gottes Willen, unter seiner Hand und unter seiner Führung bleiben.
Also: Die Zumutungen, die Gott uns auferlegt, tragen, aushalten. Hineinfinden in ein Ja dazu, – auch wenn es mir persönlich gegen den Strich geht, schmerzlich ist und unverständlich bleibt.
Fast klingt es, als hätte der Seelsorger Wesley ermutigt mit dem Zuspruch: Du schaffst das schon. Er traut dem Prediger zu, dass er wieder zur alten Leidenschaft der Verkündigung zurückfindet.
Doch es bleibt ein feiner Unterschied: Nicht Wesley muss in seiner Erschöpfung noch alle Energie zusammennehmen, sondern die Ermutigung kommt von außen, aus der Gewissheit der Gegenwart Gottes: Er schenkt dir wieder neue Kraft, zu seiner Zeit.
Gott hält Wort. Er hält uns. Wir sind gehalten. Darum können wir aushalten – in passiver Geduld.
Und dranbleiben: in aktiver Geduld den Willen Gottes zu tun.
Ein beeindruckendes Beispiel dazu ist die Geschichte von jenem Touristen, der Arbeitern auf einer Baustelle zuschaut. Er geht auf einen zu, fragt: „Was machst du da?“ – „Das siehst du doch: Steine behauen“ ist die karge Auskunft. Einem zweiten stellt er die gleiche Frage: „Ich verdiene Geld, um meine Familie zu ernähren.“ Der Tourist geht weiter; noch einmal stellt er einem dritten Bauarbeiter die Frage: Was machst du da? Der hält kurz inne, schaut nach oben und antwortet mit leuchtenden Augen: Ich baue einen Dom zur Ehre Gottes!
Aktive Geduld! Zur Ehre Gottes! Im Ewigkeitshorizont mitwirken an diesem Jahrhundertbauwerk. Sicher ist er oft müde von seiner Arbeit und erschöpft. Doch: Den Blick nach oben, das Ziel vor Augen, so kann der Arbeiter im Staub der Baustelle Tag um Tag sein Werk tun –fröhlich, zuversichtlich, in Geduld! Er wird es schaffen! Amen.
Anmerkung
1 Gottfried Voigt: Die lebendigen Steine, Evang. Verlagsanstalt Berlin, 2. Aufl. 1989, S.365.
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