Gründonnerstag (06. April 2023)
Lukas 22,39-46
Intention„Stärkung“ zieht sich als Leitmotiv durch die Gründonnerstags-Schilderung des Evangelisten Lukas und erreicht ihre größte Intensität, als Jesus in seiner Todesangst am Ölberg gestärkt wird. Dies lässt ihn allen Menschen in Ängsten und im Leiden nahe sein. Im Abendmahl bekommen wir Anteil an dieser Stärkung.
Liebe Gemeinde!
Gründonnerstag, das ist der Tag in weiß mitten in der Karwoche. Am Altar hängt das weiße Parament. Kelche und Abendmahlsbrote auf dem Altar sind mit weißen Tüchern abgedeckt. Die weißen Tücher verbreiten einen Vorschein österlichen Festglanzes mitten in der Karwoche. Am Gründonnerstag-Abend halten wir inne vor dem Schreckenstag der Kreuzigung am Karfreitag. Zugleich schauen wir voraus auf die österlichen Freudentage, an denen wiederum die Festfarbe „weiß“ aufgelegt wird. Wir vergewissern uns, dass es nach der Karwoche weitergeht und wir dann den Sieg des Lebens über den Tod feiern. Das stärkt uns, das Dunkel des bevorstehenden Karfreitags auszuhalten.
Jesus sucht Stärkung, ehe er leiden mussStärkungs-Momente im Lauf des Gründonnerstags – das sind die besonderen Pinselstriche, die der Evangelist Lukas in das Erinnerungs-Bild des letzten gemeinsamen Abends Jesu mit den Jüngern einbringt. Jesus sucht Stärkung. Und er erfährt mehrfach Stärkung, ehe dann Leiden und Tod über ihn hereinbrechen. Als Jesus mit den Jüngern im Abendmahlssaal zusammensitzt, sagt er das bedeutungsschwere Wort: „Mich hat herzlich verlangt, dies Passalamm mit euch zu essen, ehe ich leide.“ (1) Jesus gibt damit zu verstehen, dass er die stärkende Gemeinschaft mit seinen Jüngern sucht. Und weiter: Mit ihnen zusammen lässt er sich stärken durch die gemeinsame Erinnerung an die Befreiungsnacht aus Ägypten, in der Gott das geknechtete Volk aus Todesbedrohung rettet. Und während sie das Passalamm verzehren, gibt Jesus dem alten Brauch eine neue Bedeutung durch die Einsetzungsworte. Das ist der Ursprungsmoment des Abendmahls. Das Abendmahl stärkt die Gemeinschaft untereinander. Es macht die Zukunftshoffnung auf die Tischgemeinschaft im Reich Gottes stark. Dann geht Jesus mit seinen Jüngern hinaus in die Nacht des Verrats. Erneut ist er der Stärkung bedürftig – und erfährt sie auch am Ölberg.
Predigttext: Lukas 22,39–46Und Jesus ging nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch die Jünger. Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: „Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt!“
Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder, betete und sprach: „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er geriet in Todesangst und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen.
Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend vor Traurigkeit und sprach zu ihnen: „Was schlaft ihr? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!“
Der Weg zum ÖlbergJesus verlässt den Abendmahlssaal. Er geht, seiner Gewohnheit folgend, zum Ölberg. So wie es sich an den zurückliegenden Tagen eingespielt hat: Tagsüber hat er das Volk im Tempel gelehrt. Die Nacht verbringt er auf dem weitläufigen Gelände des Ölbergs. Auch an diesem Abend geht Jesus voraus. Die Jünger folgen ihm nach auf seinem Weg ins Leiden. Nach dem Bericht des Lukas bleiben ihm alle elf Jünger gleichermaßen nahe. Jesus richtet die dringliche Aufforderung an sie: „Betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt“ – oder, wie sich auch übersetzen lässt: „damit ihr nicht in Versuchung fallt!“ Da klingt die Bitte aus dem Vaterunser auf: „Und führe uns nicht in Versuchung!“ Damit fordert Jesus seine Jünger auf zu beten, damit sie nicht der Versuchung erliegen, sich von Jesus im Leiden abzuwenden. Und zugleich richtet Jesus diese Aufforderung auch an sich selbst: dass er vor der letzten, tiefsten Versuchung bewahrt werde, sich dem Leiden und dem Tod zu entziehen und damit seine Berufung, seine Bestimmung zu verraten. Nur mit äußerster Kraft löst Jesus sich heraus aus der zuvor so heiß ersehnten Gemeinschaft mit seinen Jüngern. Einen Steinwurf weit von ihnen entfernt beginnt er inbrünstig zu seinem himmlischen Vater zu beten.
„Mein Wille“ contra „Dein Wille“Diese Szene am Ölberg ist die abgründigste Geschichte, die von Jesus überliefert wird. Jesus, der viele Krankheiten geheilt hat, wird schwach. Jesus, der das nahe Reich Gottes verkündet hat, ängstigt sich. Er will sein Geschick nicht annehmen. Er zeigt seinen Willen, leben zu wollen. So fleht er seinen himmlischen Vater an: „Willst du, so nimm diesen Kelch von mir.“ Jesus greift hier ein Bildwort aus der hebräischen Bibel auf. Dort steht „der Becher, der auszutrinken ist“, sinnbildlich für das Schicksal, das einer auf sich nehmen muss.
Eine wichtige Rolle spielt der Kelch als Gerichts-Symbol im zweiten Teil des Jesajabuchs, beim sogenannten „Deuterojesaja“. Mit dessen Worten war Jesus vertraut. Im Licht der Worte Deuterojesajas sah Jesus sein Leiden und Sterben sich abzeichnen. Das Prophetenwort klingt in Jesus auf, nach denen Jerusalem aus der Hand Gottes den Kelch seines Grimms, den Taumelkelch, nehmen musste. Jerusalem musste diesen Kelch trinken – bis zu dem erlösenden Augenblick, als Gott die schon Trunkene ansprach: „Siehe, ich nehme den Taumelkelch aus deiner Hand, den Becher meines Grimms.“ Diese Worte wecken in Jesus die kurz aufblitzende Hoffnung, dass Gott vielleicht doch den Kelch aus seiner Hand nehme. Deshalb bittet Jesus den Vater, ihm das Leiden ersparen.
Aber dieser Bitte gegenüber schweigt Gott. In dieses Schweigen hinein gibt Jesus die Antwort: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ Damit zeigt Jesus, dass er nicht einig mit dem Willen Gottes ist. Aber dass er sich gegen sich selbst für den Willen Gottes entschieden hat. Mit Angstschweiß auf der Stirn erkennt Jesus seinen Leidensweg. Er nimmt den Kelch an, den Gott als Richter über Schuld und Sünde reicht. Es ist der Zornesbecher des göttlichen Richters, wie ihn der Prophet beschreibt. Mit seinem Leiden und Sterben nimmt Jesus stellvertretend Gottes Gericht über alle Sünden auf sich, mit denen andere ihr Leben verwirkt haben.
Jesu Gebet am Ölberg zeigt, in welch starke Spannung mein Wille mit seinem Willen geraten kann. Ja, in welch starke Spannung menschliches Wollen mit dem geraten kann, was Gott mit einem Menschen vorhat oder was er ihm auferlegt. So wie Bonhoeffers Gebet: „Herr, ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den Weg für mich“, so kann Jesu Gebet am Ölberg einen Menschen in der Aufgabe unterstützen, sein unbegreifliches Geschick anzunehmen.
Stärkung in der TodesangstJesus hat sich gegen sich selbst entschieden, aber für den Willen Gottes. Er nimmt das Leiden auf sich. Jesus erfährt während seines Gebetskampfs unerwartete Stärkung durch einen Engel. Und es befällt ihn unwiderstehliche Todesangst, eine Agonie, in der sich sein Angstschweiß in Blutstropfen wandelt. Wenn Sie zuhause in Ihrer Bibel diese Stelle nachlesen, finden Sie den Hinweis: „Diese Verse finden sich in einigen wichtigen Handschriften nicht.“ Schon kurz nach Fertigstellung des Lukas-Evangeliums fanden einige Abschreiber diese Schilderung Jesu zu menschlich und deshalb unerträglich. Sie sahen Jesu Göttlichkeit in Frage gestellt. Aber diese Worte sind fester Bestandteil der Passionsgeschichte des Lukas: Die Blutstropfen auf Jesu Stirn weisen zurück auf die Erhebung des Kelchs beim Abendmahl. Und sie weisen voraus auf die Ausschüttung seines Blutes auf Golgatha. Offenbar hatten diese Abschreiber des Lukas-Evangeliums das Bedürfnis, Jesu Todesangst wegzuretuschieren. Sie wollten einen Jesus zeigen, der souverän seinem Todesgeschick entgegenschreitet. Aber wegretuschierte Todesangst verschwindet nicht. Sie ist untergründig dennoch da.
Dass auch Jesus Todesangst durchlitten hat, lässt ihn zum Menschenbruder derer werden, die heute in Todesangst sind. Dass der Gottessohn sich gottverlassen fühlte, lässt ihn solidarisch werden mit allen Menschen, die sich gottverlassen fühlen. Was für ein Trost- und Stärkungspotenzial steckt gerade in diesen Versen!
Hören wir noch einmal genau hin, was Lukas berichtet: Vom Himmel her erscheint Jesus ein Engel. Er übergibt keine Botschaft, aber er vermittelt Kraft, er stärkt ihn. Dann gerät Jesus in Todesangst. Eigentlich erwarten wir die umgekehrte Reihenfolge: Zuerst die Todesangst, dann die göttliche Stärkung. Aber so, wie das Leben nicht aus Happy Ends besteht, so wie der Leidensweg nicht ohne inneres Ringen gegangen werden kann, so hebt die Stärkung durch den Engel die Angst nicht auf. Aber sie gibt Kraft, in ihr zu bleiben.
Stärkung jenseits des ÖlbergsDie Christenheit hat gut daran getan, Jesu Todesangst nicht zu verschweigen. Jesus wurde nicht vor Todesangst bewahrt, aber in Todesangst gestärkt. Gerade so ist er denen nahe, die in Todesangst sind, und stärkt sie: „Du hast die Angst auf dich genommen, du hast erlebt, wie schwer das ist. Wenn über uns die Ängste kommen, dann sei uns nah, Herr Jesus Christ!“
Aus diesem Grund hat die christliche Kunst Jesu Gebet und Todesangst am Gründonnerstagabend vielfältig dargestellt, besonders eindrucksvoll im süddeutschen Raum vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Barock in den großen plastischen Ölberg-Gruppen in oder an den Kirchen. So etwa an der Martinskirche in Neuffen im Lenninger Tal: Dem inbrünstig betenden Jesus erscheint ein Engel, der einen Kelch in Händen hält – den Leidenskelch, der nicht zufällig gestaltet ist wie ein Abendmahlskelch.(2) Es ist ein Hinweis darauf, dass im Abendmahl immer auch Jesu Ölbergnacht präsent ist, in der er Todesangst durchlitten und sein Ja zum Leidensweg gegeben hat, und gerade so allen nahe ist, die in Ängsten, am Abgrund, im Leiden sind.
Für die christliche Gemeinde ist nicht mehr der Ölberg, wohl aber der Abendmahlstisch der Ort, an dem sie Stärkung erfährt, gerade auch heute, am Gründonnerstag, dem Tag in weiß: „Christi Leib für euch gegeben. Christi Blut für euch vergossen. Das stärke und bewahre euch im Glauben zum ewigen Leben.“ Amen.
Hinweise
1 Vgl. dazu: Hortus Deliciarum, Jesus und die schlafenden Apostel am Ölberg - Ölberg (Jerusalem) – Wikipedia (abgerufen am 04.03.2023) – eine seltene Darstellung von Jesus und den elf Jüngern am Ölberg.
2 Vgl. dazu: Kunst außen (ev-kirche-neuffen.de) (abgerufen am 04.03.2023).
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