Judica / 5. Sonntag der Passionszeit (26. März 2023)
Hebräer 5,7-9
IntentionJesus musste leiden und hat im Leiden hören gelernt. So können auch wir Menschen hören lernen und so Leiden mit Gottes Hilfe annehmen /bewältigen?
5,7 Jesus hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.
So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.
Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.
Liebe Gemeinde, Jesus hatte es nicht einfach. Was er sich wohl gedacht hat, als er vor gut 2000 Jahren im Himmel Gott-Vaters Befehl hörte: „Mein lieber Gottessohn, jetzt machst Du für die nächsten 30 Jahre mal einen auf Mensch.“
Natürlich hat Gott das so nicht gesagt. Gott hat gesagt: „Für die nächsten 30 Jahre bist du ein Mensch.“ Gott hat das einfach befohlen. Vielleicht versuchte Jesus ja noch zu widersprechen. Aber Gottes Reaktion war eindeutig: „Wirst du wohl hören!?“ So hörte Jesus und war gehorsam.
Dabei hatte er es nicht einfach, als Mensch. Er hatte viel zu lernen. Neun Monate im Bauch von Maria. Danach die Kindheit im Haus von Maria. Dann mutmaßlich die Jahre im Beruf von Josef. Und schließlich die kurze Zeit als Wanderprediger unterwegs in Israel.
Ja, Jesus musste viel lernen als Mensch. Was sich zunächst eher kurios anhört, zeigte sich zuletzt als überaus leidvoller Lernprozess. Er, der Gottessohn, hat ja von Haus aus, besser: von Himmel aus, keine Erfahrungen mit Schuld oder mit Schwäche am eigenen Leib, mit Schmerzen und Leid. Gottes Sohn ist ja frei von allem Bösen, makellos.
Und was er nicht aus eigenem Verschulden oder Erdulden kennt, das muss er zuallererst lernen. So ließ Jesus sich vom Leiden treffen, ließ sich betroffen machen vom Leiden all derer, um derentwillen er Mensch geworden ist. Er lernte bitten und betteln, klagen und zagen, heulen und weinen.
Uns allen ist die Szene mit Jesu Todesangst im Garten Gethsemane deutlich vor Augen, wenn der Hebräerbrief schreibt: „Jesus hat (…) Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte.“ Damals bekam Gott-Vater im Himmel einiges zu hören.
Natürlich war Jesus der Sohn Gottes. Trotzdem musste auch in ihm, dem Gottessohn, zuallererst die Bereitschaft wachsen, seinen Auftrag zu erfüllen, das göttliche Projekt zur Heilung der Menschheit nicht kurz vor Vollendung platzen zu lassen. Auch der Gottessohn musste – wie alle Söhne und Töchter – zuallererst Gehorsam lernen.
Immerhin: Er hat’s gelernt. Der Hebräerbrief stellt das Erreichen des Lernzieles fest: „So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.“
Jesus „lernte an dem, was er litt, Gehorsam“. Dieser Satz klingt bemerkenswert. Im Wortsinne „klingt“ er bemerkenswert. Im griechischen Text des Hebräerbriefes handelt es sich nämlich um ein Wortspiel: ἔμαθεν ἀπὸ τῆς ἔπαθεν (emathen apo täs epathen) – so steht es da. Auf Deutsch könnte man es so nachspielen: „Leiden lässt lernen“ oder „Lernen durch Leiden“.
Doch was sich so spielerisch anhört, ist in Wirklichkeit ja bitterer Ernst. Und der Satz klänge besonders bitter, wenn man ihn als allgemeine Wahrheit behauptete: „Leiden lässt lernen.“ Wir wissen, dass das nicht stimmt. Aus manchem Leiden lässt sich gar nichts lernen. Manches Leiden ist völlig ohne Sinn:
• Die unzähligen Opfer derzeit von Krieg, Folter, Völkermord – völlig sinnloses Leiden.
• Menschen, die auf der Flucht ins Meer gespült werden und nie mehr auftauchen – völlig sinnloses Leiden.
• Die zehntausende Toten nach einem Erdbeben wie in Syrien und der Türkei – völlig sinnloses Leiden.
• Sicher fallen Ihnen noch mehr Formen des Leidens ein, welche Sie als sinnlos bezeichnen würden.
Der Hebräerbrief aber behauptet von Gottes Sohn, er habe durch sein Leiden gelernt. Und er benutzt dafür ein allgemein gebräuchliches Wortspiel – „Lernen durch Leiden“. Dann scheint dahinter vielleicht doch auch eine allgemeine menschliche Erfahrung zu stecken. Leiden kann den Sinn des Lernens haben. Was aber lernen wir durch Leiden?
Vielleicht versuchen wir uns nicht gleich an den ganz großen Lernzielen wie Geduld oder Durchhaltevermögen. Vielleicht fangen wir mit einem schlichteren Lernziel an. Wie wäre es mit Hören? Vielleicht lernen wir das Hören?!
Wenn ich viel erleiden muss, dann lerne ich hören auf die Signale, die von mir selbst ausgehen, von meinem Leib, meiner Seele. Wenn alles gut läuft und alles ganz leicht mir von der Hand geht, dann überhöre ich schnell, was mein Körper mir sagen will von nahender Erschöpfung. Doch wenn sie mich ereilt, wenn das Leiden mich im Griff hat, dann höre ich hin: Welches Bedürfnis meldet mein Leib an? Was braucht meine Seele? Und dann spreche ich’s aus vor Gott. Ich kann wie Jesus „bitten und flehen mit lautem Schreien und mit Tränen.“
Und ich höre auf Gott!? Höre, was er von mir will. Gott will von mir nichts als dieses eine: auf ihn hören. Er will nicht, dass ich mehr bin als ich bin. Er will nicht, dass ich etwas tue, was ich jetzt nicht kann. Er will nicht, dass ich etwas sage oder denke, das zu sagen oder zu denken mir unerreichbar ist.
Eben so hat es Jesus gemacht. Er nahm sich alle Zeit, die er nötig hatte, eine ganze Nacht, um damals im Garten seine Angst vor Gott auszubreiten.
Er nahm sich allen Raum, der nötig war, seine „Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen“ Gott darzubringen: „Nimm diesen Kelch von mir.“
Er lernte, auf Gott zu hören und auf dessen Willen: „Nicht, was ich will, sondern was du willst“, so beschloss er sein Gebet (vgl. Mk 14,36).
So zeigte Jesus Christus, der Sohn Gottes, dass das Hören eine seiner Charaktereigenschaften war. Und wissen Sie, wie die deutsche Sprache Charaktereigenschaften anzeigt? Indem sie an ein Verb die Endung „-sam“ anhängt.
Ein Kleid, das gut kleidet ist „kleid-sam“. Ein Ereignis, das viel bedeutet, ist „bedeut-sam“ und ein Mensch, der gut hören kann, ist „gehör-sam“. Also „gehorsam“.
In diesem Sinne sagt der Hebräerbrief von Jesus, er habe, „an dem, was er litt, Gehorsam gelernt“. Nicht weil Jesus blinden Gehorsam zeigte und damit dummerweise am Kreuz endete. Nein: Jesus lernte in dem, was er da erlitt, auf Gott zu hören. Und gleichzeitig brachte er sein Anliegen energisch, mit Bitten und Flehen, vor Gott. Obwohl er damit Gott widersprach.
Jesus brachte beide zusammen: Widerstand und Ergebung. Jesus hielt diesen Kontrast aus: der eigene Wille und das Hören auf das, was Gott für ihn wollte.
Ja noch mehr: Jesus lernte, so auf Gott zu hören, dass er irgendwann seinen eigenen Willen und Gottes Willen zusammen hörte, bis sie zusammengehörten.
Darin kann Jesus uns Vorbild sein: Gehorsam zu lernen, das heißt nicht, sich den eigenen Willen von Gott brechen zu lassen. Gehorsam lernen heißt: den eigenen Willen und Gottes Willen solange zusammen zu hören, bis sie zusammen gehören. Wenn unser Gehör derart geschult ist, dann sind wir im guten Sinne gehörsam.
Dieser zusammen-hörende Gehorsam ist nicht einfach. Er braucht Zeit, er braucht Raum, er braucht Übung, er braucht viele Gebete. Das ist nicht einfach.
Nein, Jesus hatte es als Mensch nicht einfach. Und es ihm nachzutun, ist nicht einfach. Aber mit Jesus haben wir auch ein großes Versprechen. Das Versprechen: Gott erhört unseren Gehorsam.
So sagt es der Hebräerbrief: „Jesus hat (…) Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen Gott dargebracht (…); und er ist auch erhört worden.“
Schon wieder ein Hören. Jetzt aber hört Gott. Und er hört nicht nur, dass wir bitten, flehen, schreien, heulen. Das griechische Verb verrät es: Gott „hört“ nicht nur. Gott „hört hin“. Er „hört hinein“.
Gott hört sich in unsere Bitten, in unser Flehen hinein. Gott hört sich in unser Schreien, in unsere Tränen hinein. Gott hört sich in unseren Willen hinein.
Gott hört seinen Willen in unseren Willen hinein.
Gott hört unseren Willen und das, was er für uns will, solange zusammen, bis es zusammengehört.
Vielleicht hat Jesus Christus als Mensch eben dies in Gethsemane erlebt. Er betete, er schrie Gott seinen Willen entgegen. Er hörte auf Gottes Willen. Und er spürte, wie Gott ihn erhörte. Bis sie zusammen-hörten und zusammen-gehörten: Vater und Sohn.
Eben dies ist uns auch versprochen. Und noch mehr ist uns versprochen. Denn wie sagt der Hebräerbrief abschließend über Jesus: „Als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.“
Urheber des ewigen Heils. Liebe Gemeinde, bringen wir also unsere Bitten vor Gott zu Gehör, gerne auch laut.
Hören wir auf Gott. Nehmen wir uns den Raum und die Zeit dafür. Seien wir in diesem Sinne gehorsam.
Und wir werden es erleben: Gott wird noch einmal ganz neu von sich hören lassen. Amen.
Lied: O Mensch, bewein dein Sünde groß; EG 76.
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