Jahreslosung (01. Januar 2024)
1. Korinther 16,14
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
„In Liebe“ heißt nicht „aus lauter Liebe“. Diesen Unterschied will die Predigt als Verhaltensregel für 2024 deutlich machen.
„Alles Liebe!“ Auf Glückwunschkarten steht das manchmal schon fertig vorgedruckt, und manche sagen das auch: Alles Liebe zum Geburtstag! Manchmal steht das auch am Ende eines Briefes, statt „viele Grüße“. Im Lehrbuch „Deutsch für Ausländer“ lese ich, das ist ein besonders persönlicher Wunsch, man sollte ihn nur für Menschen benutzen, zu denen man in enger Beziehung steht, in der Familie oder für gute Freunde. Alles Liebe sei intimer als liebe Grüße.
Alles Liebe. Bestimmt ist das nett gemeint. Aber was genau wünscht mir der Schreiber oder die Schreiberin da eigentlich?
Nicht Wunsch, sondern guter Rat
„Alles was ihr tut, soll in Liebe geschehen!“ hat Paulus am Ende seines Briefes an die Leute in Korinth geschrieben. Für dieses Jahr 2024 haben die Kirchen diesen Satz als Jahreslosung ausgesucht. Alles, was ihr tut, soll in Liebe geschehen: Paulus schreibt das an die Gemeinde in Korinth, die ihm besonders am Herzen liegt. Er beklagt aber auch, wie die Menschen dort miteinander umgehen und wie sie mit ihm umgehen. Wie das so ist in einer Familie: Man kennt sich gut, man steht sich nahe, es ist also berechtigt, dass Paulus den Korinthern „Alles Liebe“ wünscht. Aber es gibt auch Auseinandersetzungen und Streit wie in jeder Familie. Wie bei Ihnen und bei mir.
Aber halt! Mir fällt auf, dass Paulus nicht einen Wunsch formuliert am Ende seines Briefes. Er wünscht den Korinthern nicht, dass Glückseligkeit, Freude und Liebe unter ihnen ausbricht, also gewissermaßen vom Himmel fällt. Paulus fasst alles, was er in seinem langen Brief geschrieben hat, mit einem guten Rat zusammen. „Alles, was ihr tut, soll in der Liebe geschehen.“ Soll! Das ist ein Ratschlag zum Verhalten, eine Aufforderung. Ein Befehl vielleicht sogar. Imperativ, Befehl, nennt man die Ausdrucksweise, die er verwendet. Ich würde lieber sagen: Er gibt ihnen am Schluss einen Rat. Aber einen nachdrücklichen Rat. „Alles was ihr tut, soll in Liebe geschehen“ – sonst geht es nicht gut weiter bei euch.
Nicht aus Liebe, sondern in Liebe
Aber Liebe kann man doch nicht befehlen, möchte ich da am liebsten sagen. Ich kann doch nicht alle lieben, mit denen ich zu tun habe. Schon gar nicht die fernen Nächsten, die ich gar nicht kenne. Das ist wahr. Es gibt Menschen, die sind mir so fremd, die kann ich nicht verstehen. Schon gar nicht lieben. Es gibt Menschen, die sind mir unsympathisch: zu vorlaut oder zu duckmäuserisch, aggressiv oder aufdringlich, zu verschlossen oder zu akkurat. Wie soll ich die lieben? Warum auch? Paulus schreibt ja nicht, ich soll alles aus Liebe tun, so wie ich für meine Kinder oder für meinen Mann etwas tue, auch wenn ich eigentlich noch viel anderes erledigen muss. Ich möchte, dass es denen gut geht, die ich liebe. Dass sie sich freuen. Dafür tue ich, was ich kann. Aus Liebe. Aber Paulus schreibt „in Liebe“. Da geht es um die Art und Weise, wie ich etwas tue. Es geht um das Wie unseres Zusammenlebens, nicht um das Warum. Liebe ist in diesem Sinn eine Verhaltensweise, nicht ein Gefühl, auch nicht eine Stimmung. Stimmungen und Gefühle sind spontan, von der Situation abhängig. Von meinem Gegenüber abhängig. Wenn der oder die liebenswert ist, dann kann ich ihn lieben. Eine Verhaltensweise ist etwas anderes. Die kommt aus mir heraus – unabhängig vom Gegenüber. Ich bin liebevoll. So bin ich. Das ist zuverlässig. Darauf können andere sich verlassen.
Agape, nicht Eros und nicht Philadelphia
Agape, das Wort, das Paulus hier benutzt, das hat nichts mit rosaroten Gefühlen zu tun. Dann hätte er Eros geschrieben. Er meint nicht einmal Freundschaft oder Geschwisterliebe. Das würde in seiner Sprache Philadelphia heißen. Paulus schreibt Agape. Agape ist die uneigennützige Nächstenliebe, die sich einfühlsam an dem orientiert, was der oder die andere braucht. Agape sieht den anderen als Mitmenschen, sieht seine Bedürfnisse, sieht, was dem anderen fehlt. Agape sieht den anderen als Mitmenschen, sieht ihn oder sie so, wie ich selber auch bin. „Alles, was euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ Das könnte das Leitwort der Agape sein. Wenn Menschen hungern, gebe ich ihnen zu essen, wenn sie frieren, gebe ich ihnen Kleidung, wenn sie einsam sind, habe ich ein bisschen Zeit für sie. Dazu muss man den anderen nicht lieben. Man muss sehen, dass er ein Mensch ist, wie ich einer bin. Man muss sehen, was der Mitmensch braucht.
„In Liebe“ – das gilt für alle Menschen
Und das gilt nun eben nicht nur für die, die mir besonders nahe stehen. Klar, die Enkel, die Kinder, den Ehepartner oder die Partnerin, die kann ich lieben, wenn es gut geht auch ein Leben lang. Aber den oder die andere als Mitmenschen sehen, das hat nichts mit Sympathie und Antipathie zu tun. Als Mitmenschen kann ich auch den sehen, der mir gehörig auf die Nerven geht. „Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben – was tut ihr Besonderes!“, hat Jesus gefragt. Und dann aufgefordert, sogar die Feinde zu lieben. Sie als Menschen zu sehen, die Ängste haben, Bedürfnisse, Schwächen, Stärken – so wie ich. In unserem Friedensgebet montags sagt eine Frau immer wieder, dass sie auch für Wladimir Putin betet. Gott möge ihm Weisheit und Einsicht schenken – so kann man beten, auch wenn man den anderen für einen Kriegsverbrecher hält. Er ist doch ein Mensch. Mein Mitmensch. Gottes Geschöpf, wie Sie und ich.
Gottes Liebe und Nächstenliebe
Agape/Nächstenliebe – den und die andere als Mit-Menschen behandeln. Agape/Nächstenliebe – genauso behandelt Gott seine Menschen. Als seine Geschöpfe. Nicht, weil sie besonders klug, besonders schön, besonders gut sind, sondern weil sie seine Geschöpfe sind. Seine Kinder. Gott begleitet seine Geschöpfe mit seiner Liebe. Er hat ihnen das Leben gegeben und will, dass sie leben. Befreit und frei und gut miteinander leben. Alle. Jeder und jede auf seine und ihre Weise. Gott sieht, was sie brauchen. Und gibt ihnen die Verhaltensregel: „Was ihr tut, soll in derselben Liebe geschehen“ – dann wird das Leben für alle gut werden. Dann werden sich nicht die einen alles nehmen und für die anderen bleibt nichts mehr, wovon sie leben können. Dann muss ich nicht mit gleicher Münze heimzahlen, wenn einer unfreundlich zu mir ist oder feindselig. Wer sich geliebt fühlt, der kann lieben. Der muss nicht ergattern, was er nur kriegen kann. Gottes Liebe wirkt sich aus. Sie ist die Quelle unserer Nächstenliebe. „Lasst uns lieben, denn Gott hat uns zuerst geliebt“ steht in einem anderen Brief in der Bibel. Weil Gottes Nächstenliebe allen Menschen gilt und die Quelle ist für unsere Nächstenliebe, deshalb kann sie nicht nur Freunde und Verwandte, auch nicht nur die Christengemeinde um uns herum betreffen. Sie erstreckt sich auch auf die fernen Nächsten und also auf gesellschaftliche Themen – zum Beispiel die erneut aufgeflammte Debatte um die wachsende Zahl von Flüchtlingen in Europa. Obergrenzen? Belastungsgrenzen? Das sind Fragen, die gestellt werden müssen. Aber wir Christen sind zunächst mal herausgefordert, die Menschen in den Blick zu nehmen, die Hilfe brauchen. Das sind Menschen wie wir. Auch für sie gilt: „Was euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ Da sind die Christen und ihre Kirchen aufgerufen, aufzustehen und zu sagen: Bei allem, was passiert, muss die Liebe eine Rolle spielen. Alles, was wir tun, soll in der Liebe geschehen. Das ist nicht naiv – das ist die Liebe, mit der Gott uns liebt und die wir weitergeben sollen.
Die Liebe verändert die Welt
Wo wir – unverzagt und unermüdlich – diese Liebe weitergeben, da verändert sich die Welt. Wie das gehen kann, das kann man immer vor Weihnachten in dem Film „Der kleine Lord“ sehen. Der alte, griesgrämige und menschenfeindliche Lord muss seinen Enkel aufnehmen. Und der behandelt ihn so freundlich und zuvorkommend und liebevoll, dass der Alte sich verändert. Zunehmend wird auch er fröhlich und liebevoll und behandelt seine Untergebenen wie Mitmenschen und nicht länger wie lästige Sklaven. Die Liebe verändert die Welt, weil sie Menschen verändert. Sie ist nicht ein bestimmtes Tun, sondern die Art und Weise, wie wir etwas tun.
Langmütig und freundlich
Und was heißt das nun konkret, dieses Verhalten „in der Liebe“? Alles Liebe – wie verhält man sich da? Im selben Brief hat Paulus dafür Worte gefunden: 1. Korintherbrief Kapitel 13 gehört zu den bekanntesten Abschnitten der Bibel. „Langmütig (also geduldig) und freundlich“ rät Paulus da. Nicht nur an sich selber denken und an den eigenen Vorteil. Nicht verbittern, auch wenn die anderen schwierig sind. Dem anderen das Böse nicht nachtragen. Sich nicht über Ungerechtigkeit freuen, die Wahrheit lieben. Alles ertragen, Vertrauen haben, die Hoffnung nicht aufgeben und geduldig bleiben.
Wie wäre es, liebe Gemeinde, wenn wir damit anfangen im Neuen Jahr? Manches in unserer Welt wird sich dadurch verändern. In diesem Sinn: „Alles Liebe“ in 2024! Amen.
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