1. Advent (27. November 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer Albrecht Conrad, Stuttgart [Albrecht.Conrad@elkw.de]

Offenbarung 3,14-22

IntentionIn der Predigt hören wir hin, wenn mit Laodizea auch wir, die heutige Gemeinde, von au-ßen betrachtet werden. Warum fällt Jesus Christus so ein hartes Urteil? Und wieso gibt es dennoch Hoffnung auf einen guten Ausgang? Christus stärkt uns mit der Zusage, dass er uns ganz nahe kommt. Er bleibt verlässlich.

Als Predigttext zum ersten Advent hören wir ein Sendschreiben aus der Offenbarung. Diese Briefe gehen an sieben frühchristliche Gemeinden auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Das letzte Sendschreiben richtet sich an die Gemeinde zu Laodizea. Es steht in Offenbarung 3:

14 Dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes:
15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach dass du kalt oder warm wärest!
16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
17 Du sprichst: Ich bin reich und habe mehr als genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.
18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.
19 Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße!
20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.
21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.
22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Liebe Gemeinde, „siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.“ So ein Klopfen kann verheißungsvoll klingen wie in einem Krankenzimmer. Da verheißt es Abwechslung. Das Pochen an der Tür kann aber auch stören, wenn Zwei gerade über Persönliches reden und ein Dritter hineinplatzt. Und dann gibt es noch das beunruhigende, ja beängstigende Klopfen: Die Gefahr steht vor der Tür!

(Das folgende Beispiel kann gegebenenfalls entfallen.)
Wie in der Serie „Breaking Bad“. Da geht es um den biederen Chemielehrer Walter White. Er erkrankt an Krebs. Seine teure Therapie versucht er zu verdienen, indem er Drogen produziert und verkauft. Dabei verwandelt er sich in einen rücksichtslosen Kriminellen. Irgendwann bekommt seine Frau Skyler mit, was ihr Mann tut. Sie denkt, er sei in Gefahr. Doch seine Auskunft ist eindeutig: „I am not in danger, Skyler. I am the danger. A guy opens his door and gets shot and you think that of me? No. I am the one who knocks!“ („Ich bin nicht in Gefahr, Skyler. Ich bin die Gefahr. Ein Typ öffnet die Haustür und wird erschossen und du meinst, das wäre ich?! Nein, ich bin derjenige, der klopft.“ (Staffel 4, Folge 6, https://youtu.be/31Voz1H40zI)

So beängstigend klingt auch das Klopfen in unserem Predigttext. Sie haben es ja gehört: Jesus Christus urteilt sehr hart über die Gemeinde zu Laodizea. Und dann sagt er: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.“ (He is the one who knocks.) Wie kann das nur gut ausgehen!?
Zumal Jesus Christus tatsächlich selbst das harte Urteil spricht. Die Sendschreiben der Offenbarung gehören auch deshalb zu den Perlen der Bibel, weil in ihnen der Herr persönlich zu Wort kommt. Gleich zu Beginn des Kirchenjahres spricht also Jesus Christus zu uns. Unsere höchste Autorität.
Und mit dieser höchsten Autorität fällt Jesus ein Urteil. Ein Urteil über Laodizea. Es könnte auch ein Urteil über seine Gemeinden heute sein. Womöglich auch über uns.
Dieses Urteil stellt uns zwei Fragen:
1. Warum fällt Jesus Christus so ein hartes Urteil?
2. Wieso gibt es dennoch die Hoffnung auf einen guten Ausgang?

Warum also fällt Jesus Christus so ein hartes Urteil?Warum fällt Jesus Christus so ein hartes Urteil?
„Ich kenne deine Werke“, sagt Jesus Christus, „dass du weder kalt noch warm bist. Ach dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
„Ausspeien“ übersetzt Luther zurückhaltend. Im Griechischen klingt das drastischer. Jesus muss sich unseretwegen übergeben. Er findet uns zum Kotzen.
Es geht Jesus wie einem, der bei großer Hitze in der Türkei unterwegs ist. Bei einer Gaststätte macht er Rast, um etwas zu trinken. Er trinkt entweder heißen Tee, wie er allerorten angeboten wird. Oder er erfrischt sich mit kühlem Wasser. Einen Schluck lauwarmem Wassers wird er jedoch unwillkürlich ausspucken – mindestens. So schmecken wir Jesus Christus: lau.
Warum fällt Jesus ein so harsches Urteil über Laodizea, über seine Gemeinde, vielleicht auch über mich und dich?
Wer ist in Jesu Augen lau? Was wirft er Laodizea vor? Ein kurzer Steckbrief: Laodizea, gegründet im dritten Jahrhundert vor Christi Geburt. Gelegen in Phrygien, heute Westtürkei. Wichtige Handelsstraßen treffen hier zusammen. Laodizea ist eine Provinzhauptstadt des Römischen Reiches, bekannt für Banken, Textilindustrie und pharmazeutische Industrie. Berühmt sind die schwarzen Wollteppiche. Die Mediziner der Stadt mischen eine hervorragende Augensalbe. Und der berühmte Cicero empfiehlt die Banken von Laodizea. Eine reiche, eine selbstbewusste Stadt.
Im Jahr 60 nach Christi Geburt wird Laodizea von einem Erdbeben schwer beschädigt. Aus der Hauptstadt Rom bietet man finanzielle Hilfe an. Doch stolz und kühl antwortet Laodizea: „Ich bin reich und habe genug und brauche nichts!“ Wir haben doch auf unseren Banken genug Geld! Wir weben uns die neue Kleidung eigenhändig! Wir machen unsere Heilmittel selbst!
Auch die Christinnen und Christen in Laodizea kamen gut zurecht. Sie hatten alles. Sie verließen sich auf sich selbst. So waren sie lau geworden: Fromme Leute, aber nur, solange es den Betrieb nicht störte. Sie glaubten an Jesus Christus. Aber sie glaubten auch, ihn im Ernstfall nicht wirklich zu brauchen.
Laues Laodizea: Glauben ja, aber nur wenn es einem selbst passt. Ansonsten: Reich, selbstbewusst und mitten im Leben.
Dieses Selbstbewusstsein ist uns heute als Kirche abhandengekommen, scheint mir. Reich sind wir immer noch. Doch wir haben das Gefühl, nicht mehr mitten im Leben zu stehen. Wir sind auf dem Weg an der Rand der Gesellschaft.
Natürlich spielen der ungeheuerliche sexuelle Missbrauch und seine skandalöse Aufarbeitung eine Rolle. Doch unter hohen Austrittszahlen leiden beide großen Kirchen schon länger. Es nähme zu viel Zeit in Anspruch, jetzt die Gründe für die Kirchenkrise zu diskutieren. Das sieht auch jeder anders.
Doch eines ist klar: Viele Menschen halten uns für unbrauchbar, unnütz, nicht der Unterstützung wert. Sie finden uns weder erwärmend noch erfrischend. Sie finden uns lau. Und vielleicht sind wir es auch!? Und vielleicht bald am Ende!?
Wie reagieren wir darauf? Landeskirche und Gemeinden schielen nach den Zahlen. Wir beschäftigen uns mit uns selbst, eine Sitzung folgt auf die andere. Wir basteln an den Strukturen rum. Wir probieren neue Gottesdienstformen aus. Neue Formen von Gemeinde. Hier das eine, dort das andere. „Wir müssen die Kirche“, so sagen wir, „zukunftsfähig aufstellen“. Kurzum: Wir tun meist so, als bräuchten wir Jesus Christus nicht. Wir verlassen uns eigentlich auf uns selbst. Wir suchen nach Rezepten, wie wir es besser machen können.
Das Schlimme: Es hilft nix. Wir kriegen es nicht selber hin. Es gibt anscheinend keine Rezepte gegen die Krise.
Das Tröstliche: Der Predigttext zum 1. Advent rät uns, erstmal die Finger von allen eigenen Rezepten lassen. Lasst das Schielen nach den Zahlen, pfuscht nicht herum mit selbst zusammengerührten Heilmittelchen, hüllt euch nicht in zeitgemäß scheinende Gewänder.
Denn es klopft schon.

Wieso gibt es dennoch die Hoffnung auf einen guten Ausgang?Jesus Christus klopft. Vermutlich sitzt niemand heute im Gottesdienst, der dieses Klopfen nicht schon gehört hat. Es erklingt in jedem Wort der Bibel, das uns im Herzen trifft. Das Klopfen erklingt in einer Liedstrophe, die uns berührt. Es erklingt in dem freundlichen Wort, in der deutlichen Mahnung, in dem vorsichtigen Hinweis, die ein freundlicher Mensch uns erteilt. Ja, vielleicht klopft der Herr auch in diesem beängstigenden Gefühl, das in uns pocht, wenn wir an die Krisen dieser Zeit denken und suchen, wo denn Hoffnung herkommen könnte.
Wo sollte unsere Hoffnung sonst herkommen, als von dem, der klopft. Unsere Hoffnung steckt in seinem Namen: „Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge.“
Das sagt, der „Amen“ heißt. Jesus Christus beurteilt den Glauben der Gemeinde zu Laodizea. Er urteilt vielleicht auch über uns: „lau“!. Und unter dem Urteil steht dann „Amen“, also ein kräftiges „So ist es“.
Doch das „Amen“ ist auch der Name des Prüfers. Und wie der Name „Schneider“ von einer Tätigkeit herkommt, dem Schneidern, so auch der Name „Amen“. Er kommt im Hebräischen von dem Verb „Aman“ (אמן), was soviel bedeutet wie: „dauerhaft sein“, „beständig sein“ und damit auch „zuverlässig, treu sein“. Der Prophet Jesaja nennt Gott den „Gott des Amen“ (Jes 65,15), also den Gott, der beständig ist und auf den man sich verlassen kann.
Auf Gott kann man sich verlassen. Was er sagt, das gilt. Was er zu-sagt, das ist verbindlich. Und gerade in Jesus Christus hat Gott etwas verbindlich zugesagt. Gott wird Mensch. Er hat sich durch Jesus Christus mit uns in Liebe verbunden. Gerade die Liebe lässt ihn das harte Urteil sprechen: „Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht.“
So bleibt die Liebe auch verbindlich, trotz des Urteils. Sein Name, sein „Amen“, seine Verlässlichkeit stehen gegen unsere Auflösungserscheinungen. Er war von Anfang der Schöpfung an dabei. Er geht darum auch gelassen um mit dem, was wir für das Ende halten.
Er klopft. Hören wir hin! Tun wir ihm die Türe auf! Anstatt auf eigene Rezepte zu vertrauen, verlassen wir uns auf Jesus Christus und auf das, was es bei ihm gibt. Kaufen können wir es nicht. Nichts nützt uns all das, was wir können und vermögen. Er bringt es einfach mit.
„Ihr stellt tolle Stoffe her“, sagt Jesus Christus, „schwarze vor allem“. Aber weiße Gewänder hast du nötig! So schmuck sollst du vor deinem Gott erscheinen.“
„Ihr stellt eine Augensalbe her gegen Augenkrankheiten?“, sagt Jesus Christus. „Nimm meine Salbe, damit dir die Augen aufgehen, und du siehst, wofür du wirklich bestimmt bist: zur Verbundenheit mit Gott. Verbindlich. Nicht lau!“
„Und lass bloß dein Geld stecken!“, sagt Jesus Christus. „Was ich bringe, kannst du nicht kaufen.“
Da sitzen wir nun, die Christinnen und Christen in unserer Wohlstandskirche. An unseren immer noch reich gedeckten Tischen. Doch wie damals zählt jetzt nur das, was wir von ihm haben, von Jesus Christus.
In der Tiefe unserer Seele macht es uns reich, dass Christus uns verbunden bleibt. Wir hüllen uns in die weißen Kleider, welche die heilende Nähe Gottes aufleuchten lassen. Und wir salben uns die Augen frisch. Jetzt sehen wir klar, wie töricht wir waren, als wir uns auf uns selbst verließen. Und wir sehen, wer wir dank Christus sind: Menschen, mit denen er das Abendmahl hält. Er fand uns zum Kotzen. Und isst trotzdem mit uns. Er kommt uns ganz nahe, selbst wenn wir noch so sehr wie die Leute in Laodizea sind. So gestärkt gehen wir den nächsten Schritt in die Zukunft.

„Das schreib dir in dein Herze,
du hochbetrübtes Heer,
bei denen Gram und Schmerze
sich häuft je mehr und mehr;
seid unverzagt, ihr habet
die Hilfe vor der Tür;
der eure Herzen labet
und tröstet, steht allhier.“
(EG 11,6)

Amen.

Fotonachweis: © Ludmilla Parsyak

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