Christi Himmelfahrt (26. Mai 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Susanne Joos, Stuttgart [Susanne.Joos@elkw.de]

Daniel 7,1-14

IntentionIch muss die Augen vor dem Bösen nicht verschließen, denn es trägt sein Ende schon in sich.

Im KinoDer Film ist zu Ende, auf der Leinwand läuft der Abspann. Hanna sitzt da wie festgenagelt. Nur langsam löst sich die Spannung in ihrem Körper. Sie trinkt einen Schluck Sprudel. Dann steht sie auf und folgt Ines, die schon unterwegs zur Tür ist.
„Wenn ich ehrlich bin, mag ich diese Star Wars Filme gar nicht so“, sagt sie auf dem Heimweg. „Sie sind mir zu gewalttätig. Wenn die dunkle Macht angreift und alles zerstört, was ihr in den Weg kommt, – das zerrt an meinen Nerven. Bei manchen Szenen muss ich die Augen zumachen, sonst halte ich es gar nicht aus.“ „Geht mir auch so“, meint Ines. „Aber wenn dann die Jedi-Ritter dagegenhalten und sich durch nichts unterkriegen lassen, das ist doch ermutigend.“ „Vielleicht ist es das, was mich am Ende immer wieder ins Kino zieht“, meint Hanna. „Man kann sich halt drauf verlassen: Es geht gut aus.“
„In diesem Sinne: Mach’s gut!“, ruft die Freundin, bevor sie an der Kreuzung abbiegt.

Daniel 7, 1-141 Im ersten Jahr Belsazars, des Königs von Babel, hatte Daniel einen Traum und Gesichte auf seinem Bett; und er schrieb den Traum auf: 2 Ich, Daniel, sah ein Gesicht in der Nacht, und siehe, die vier Winde unter dem Himmel wühlten das große Meer auf. 3 Und vier große Tiere stiegen herauf aus dem Meer, ein jedes anders als das andere.
4 Das erste war wie ein Löwe und hatte Flügel wie ein Adler. Ich sah, wie ihm die Flügel ausgerissen wurden. Und es wurde von der Erde aufgehoben und auf die Füße gestellt wie ein Mensch, und es wurde ihm ein menschliches Herz gegeben. 5 Und siehe, ein anderes Tier, das zweite, war gleich einem Bären und war auf der einen Seite aufgerichtet und hatte in seinem Maul zwischen seinen Zähnen drei Rippen. Und man sprach zu ihm: Steh auf und friss viel Fleisch! 6 Danach sah ich, und siehe, ein anderes Tier, gleich einem Panther, das hatte vier Flügel wie ein Vogel auf seinem Rücken und das Tier hatte vier Köpfe, und ihm wurde Herrschergewalt gegeben. 7 Danach sah ich in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, ein viertes Tier war furchtbar und schrecklich und sehr stark und hatte große eiserne Zähne, fraß um sich und zermalmte, und was übrigblieb, zertrat es mit seinen Füßen. Es war auch ganz anders als die vorigen Tiere und hatte zehn Hörner. 8 Als ich aber auf die Hörner achtgab, siehe, da brach ein anderes kleines Horn zwischen ihnen hervor, vor dem drei der vorigen Hörner ausgerissen wurden. Und siehe, das Horn hatte Augen wie Menschenaugen und ein Maul; das redete große Dinge.
9 Da sah ich: Throne wurden aufgestellt, und einer, der uralt war, setzte sich. Sein Kleid war weiß wie Schnee und das Haar auf seinem Haupt wie reine Wolle; Feuerflammen waren sein Thron und dessen Räder loderndes Feuer. 10 Da ergoss sich ein langer feuriger Strom und brach vor ihm hervor. Tausendmal Tausende dienten ihm, und zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht wurde gehalten und die Bücher wurden aufgetan. 11 Ich sah auf um der großen Reden willen, die das Horn redete, und ich sah, wie das Tier getötet wurde und sein Leib umkam und in die Feuerflammen geworfen wurde. 12 Und mit der Macht der anderen Tiere war es auch aus; denn es war ihnen Zeit und Stunde bestimmt, wie lang ein jedes leben sollte. 13 Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. 14 Ihm wurde gegeben Macht, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende.

Apokalyptische BilderLiebe Gemeinde, eines Nachts hatte der Prophet Daniel einen Traum.
Es ist dunkel. Da ist ein Meer, schwarze Wasser, Gischt. Es tobt ein heftiger Sturm. Aus allen vier Himmelsrichtungen fegen Böen übers Wasser und wühlen es auf. Tiere steigen aus dem Meer hervor, grauenvoll anzusehen. Da ist ein Löwe mit Flügeln, die ihm gerade ausgerissen werden. Ein Bär, der ein Gerippe zwischen seinen Zähnen zermalmt. Da ist ein Panther mit vier Köpfen. Und ein viertes Tier mit eisernen Zähnen, voll roher Gewalt.
Da sind seltsame Hörner zu sehen, ein Horn mit Menschenaugen. Ein Maul, das große Worte macht.
Man mag sich diese Ungeheuer gar nicht so genau vorstellen.
Bis zu dieser Stelle ist es ein Alptraum, aus dem man fast nur schweißgebadet aufwachen kann.

DeutungsversucheWer ist mit den wilden Tieren gemeint?
Zu allen Zeiten haben Traumdeuter sich daran abgearbeitet: Welches verbrecherische Regime wird hier verschlüsselt beschrieben? Wer versteckt sich hinter den apokalyptischen Szenen?
Vergeblich. Obwohl sich manche Deutung nahelegen mag: Die Bilder des Traumes gehen nicht auf in einem einzelnen Ereignis, in einem konkreten Machthaber oder Despoten.
Sie gehen tiefer. Sie beschreiben das Leben seit jeher. Gewalt und Verwüstung sind ja nicht neu in der Geschichte der Menschheit.
Mit Trauer und Entsetzen sehen wir in diesen Wochen Bilder von Tod und Zerstörung in unserer Nähe. Wenn das Monster Krieg einmal losgelassen ist, dann reißt es Unzählige mit sich. Plötzlich wenden sich auch jene Feindschaft und Verrat zu, die eben erst noch ganz normale Familienmenschen waren: freundlich und mit Hoffnung auf eine gute Zukunft. Nur wenige sind stark zu widerstehen.
Zum Bösen fähig zu sein, das liegt in uns allen, – im Kleinen oder im Großen. Das wilde Tier gehört zu unserer menschlichen Existenz.

In der Mitte der NachtMitten im Traum ändert sich die Stimmung. Eine uralte Gestalt in schneeweißem Kleid setzt sich auf einen feurigen Thron. Lava strömt nach allen Seiten. Abertausende stehen ehrfurchtsvoll dabei. Ein Gericht nimmt Platz, Akten werden geöffnet. Eines nach dem anderen verlieren die Tiere ihre Macht und werden ins Feuer geworfen. Ihre Zeit ist um.
Schließlich eine letzte Szene. Da erscheint einer mit den Wolken des Himmels und wird vor den Alten gebracht. Alle Macht wird jetzt diesem Menschenkind übertragen. Für immer.
Ihm dienen nun alle, woher sie auch immer kommen.

PerspektivwechselDer Traum nimmt eine wundersame Wendung.
Ja, es gibt himmelschreiende Grausamkeit. Wieder und wieder.
Und dennoch: Es wird Recht gesprochen. Die Opfer werden nicht vergessen. Die Täter werden gestoppt werden. Den Lügnern werden die Worte vergehen. Die Zeit des Bösen ist begrenzt. Es trägt sein Ende schon in sich. Auch wenn es sich jetzt noch so fürchterlich gebärdet.

TrostLiebe Gemeinde, wenn ich auf die Geschehnisse in unserer Welt schaue, dann macht mich das oft hoffnungslos. Wird es denn nie anders werden?
Dennoch: Die biblischen Bilder wirken auf mich. Sie kommen mir manchmal in den Sinn, wenn ich Nachrichten höre. Die Bilder haben die Kraft, düstere Gedanken zu unterbrechen.
Denn es stimmt ja: Jeder Schrecken hat einmal ein Ende. Ja, immer wieder setzt sich das Recht durch. Immer wieder werden Wege des Ausgleichs und der Verständigung gefunden, die vorher undenkbar erschienen.
Es gibt mehr als das, was wir auf den ersten Blick sehen. Welch ein Trost!
Es wird regiert (so hat Karl Barth einmal geschrieben). Gottes Geist ist in der Welt.
Der Traum beschreibt Gott in seiner Macht als sanftmütig und verletzlich: weiß gekleidet, mit weichem Haar. Und dennoch ist er in der Lage, die wilden Tiere ins Feuer zu werfen.
Die Macht des Menschensohns ist eine, die frei macht zu sprechen und zu hören. Auf dass Menschen aller Sprachen ihr Herz öffnen und beieinanderstehen.
Daniels Vision deckt eine tiefere Wirklichkeit auf: Das Böse trägt sein Ende schon in sich.
Wer von diesem Ausgang her schaut, muss die Augen vor den Schrecknissen unserer Tage nicht verschließen. Der kann hinschauen, nüchtern und besonnen bleiben. Um den Frieden beten. Mit Kraft und Liebe tun, was das Leben uns vor die Füße legt. Ein jedes an seinem Platz.

HimmelfahrtDen frühen Christen war Daniels Traum vertraut. Er half ihnen, Jesu gewaltsamen Tod auszuhalten. Sie lernten, sein Fernsein nach Ostern zu ertragen und zu deuten: Er ist es, der mit den Wolken des Himmels kommen wird! So konnten sie ihre Trauer überwinden und zuversichtlich weitergehen.
Jesus selbst hat Daniels Worte aufgenommen (Mk 13,26), als er vom Ende der Zeiten sprach: „Sie werden sehen den Menschensohn kommen in den Wolken mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und dann wird er die Engel senden und wird seine Auserwählten versammeln von den vier Winden, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.“
Heute an Himmelfahrt feiern wir den Menschensohn. Wir bekennen ihn als den, der am dritten Tage auferstanden ist, der in den Himmel aufgefahren ist und wiederkommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten.

Im Kontakt bleibenInes hört ihre Mailbox ab. Eine Nachricht von Hanna: „Ich bin so niedergedrückt seit ein paar Tagen. Vielleicht sollten wir mal wieder ins Kino gehen? Melde dich doch mal.“
„Auf das Treffen freue ich mich!“, denkt Ines. „Miteinander zu reden, gibt Kraft in diesen Zeiten.“ Amen.

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