Ostermontag (18. April 2022)
Rundfunkpfarrerin i. R. Dr. Lucie Panzer, Stuttgart [lucie.panzer@web.de]
Jona 2, 3-10
IntentionDer Predigttext ist überraschend dunkel für einen Ostermontag. So wie die aktuelle Situation unserer Welt ja auch eher dunkel ist. Die Predigt versucht, „trotz alledem“ zu zeigen, wie Hoffnung möglich ist. Da bei der Abfassung dieser Predigt ganz unklar ist, wie die Welt-Situation an Ostern sein wird, ist die Predigt entsprechend anzupassen.
2, 1 Aber der Herr ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte.
2 Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches und sprach:
3 Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst,
und er antwortete mir.
Ich schrie aus dem Rachen des Todes,
und du hörtest meine Stimme.
4 Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer,
dass die Fluten mich umgaben.
Alle deine Wogen und Wellen
gingen über mich,
5 dass ich dachte,
ich wäre von deinen Augen verstoßen,
ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen.
6 Wasser umgaben mich bis an die Kehle,
die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt.
7 Ich sank hinunter zu der Berge Gründen,
der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich.
Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt,
Herr, mein Gott!
8 Als meine Seele in mir verzagte,
gedachte ich an den Herrn,
und mein Gebet kam zu dir
in deinen heiligen Tempel.
9 Die sich halten an das Nichtige,
verlassen ihre Gnade.
10 Ich aber will mit Dank
dir Opfer bringen.
Meine Gelübde will ich erfüllen.
Hilfe ist bei dem Herrn.
11 Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.
AbgestürztDa ist dieser Jona gewissermaßen abgestürzt. Ins kalte Wasser haben sie ihn geworfen. Und jetzt sitzt er ganz und gar im Dunkeln. Kein Licht und kein Ausweg. Nirgends.
So kann es einem gehen. Die einen hat die Angst im Griff – die Angst vor dem Krieg, die Angst vor Corona, die Angst vor dem Klimawandel, die Sorgen um die Zukunft der Kinder. Und wem das erspart bleibt, der hat vielleicht einen lieben Menschen verloren, kämpft mit einer schweren Krankheit. Oder jemand hat in einer wichtigen Sache versagt, und jetzt ist nichts mehr zu retten.
Da geht man leicht unter wie Jona im Meer. Da sitzt man schließlich im Loch von Trauer und Angst und Misserfolg. „Da gehst du durch die Hölle!“, sagen manche. Hölle hat mit Höhle zu tun – die Höhle im Bausch des Fisches. „Fluten umgaben mich, Wogen und Wellen gingen über mich, Wasser umgaben mich bis an die Kehle“, sagt Jona.
Und doch gerettetUnd das schlägt man uns vor für die Predigt an Ostern! Ostern, wo wir doch von neuem Leben hören wollen, von Frühling, von frischem Grün, von Licht und Hoffnung. Aber – Sie wissen es, und ich weiß es: So ist die Welt nicht. Jedenfalls ist sie nicht n u r so. Nicht im Jahr 2022, als der Krieg nach Europa zurückgekommen ist und die Pandemie im 3. Jahr wütet. Nicht im 7. Jahrhundert vor Christus, als dieser Prophet Jona gelebt hat. Damals hieß die beherrschende Großmacht bloß anders. Nicht Russland, nicht China, sondern Assyrien mit seiner Hauptstadt Ninive. Die Assyrer hatten Kriege geführt. Die Israeliten hatten versucht, sich zu verteidigen, aber schließlich war ein großer Teil Israels besetzt. David gegen Goliath – das gab es damals schon. Und im 3. oder 4. Jahrhundert vor Christus – als ein unbekannter Schriftsteller die Geschichte Jonas aufgeschrieben hat – waren erst die Perser, dann die Griechen und etwas später die Römer ins Land eingefallen und hatten ihr Unrechtsregime aufgerichtet. Ein Unbekannter hat Jonas Geschichte aufgeschrieben für alle, die unter Bedrückung leiden, die Angst haben und Sorgen. Für Menschen, die im Dunkeln sitzen. Die sollen sich und ihre Situation wiedererkennen und sehen, woher Rettung kommen kann. Und vor allem: dass es Rettung gibt.
Seither gab es vermutlich kein Jahrhundert, indem es das nicht gab: Seuchen und böse Menschen, Gewalttäter, die alle in Angst und Schrecken versetzt haben, Überfälle und Kriege. Der unbekannte Schriftsteller hat für die Betroffenen in allen Jahrhunderten kein Geschichtsbuch geschrieben, keinen historischen Bericht über Jona, auch keine Biographie. Er hat eine Geschichte geschrieben, eine Erzählung, mit der er deutlich machen wollte, um was es damals ging. Welche Gefahren es gab, wie Menschen durch die Hölle gehen mussten. Und wie es dann doch gut werden konnte. Das hat er einprägsam illustriert. Eine Abenteuergeschichte im Grunde. Kein Wunder, dass sie in der Kinderkirche besonders beliebt ist und in jeder Kinderbibel illustriert wird. Man kann sich amüsieren über Jona, diesen Angsthasen und Tollpatsch. Man kann zittern, als sie ihn ins Wasser werfen und der Fisch ihn verschluckt. Und ganz nebenbei lernt man, was der Schriftsteller uns sagen will.
Das Jonabuch zeigt: Umkehr ist möglichDas Jonabuch zeigt, dass es anders werden kann auch in auswegloser Situation. Auch mit einer Metropole und ihrem grausamen König, von der Gott selbst sagt: „Ihre Bosheit ist vor mich gekommen.“ Da soll Jona hingehen und Gottes Zorngericht verkünden. Sie erinnern sich, wie das weitergeht. Jona will erst nicht, die Sache ist ihm zu heikel. Er nimmt Reißaus, geht an Bord eines Schiffes, aber Gott wird er nicht los. Als ein Unwetter kommt, gibt die Schiffsbesatzung ihm die Schuld daran hat und wirft ihn ins Meer. So kommt Jona dann in den Bauch dieses Riesenfisches. Und als er doch wider Erwarten gerettet wird, macht er sich auf nach Ninive und sagt den einzigen Satz, der von ihm überliefert ist: Es sind noch 40 Tage, dann wird Ninive untergehen. Und das Unglaubliche geschieht: Die Menschen in Ninive samt ihrem König kehren um. „Ein jeder“ heißt es, „kehrt um von seinem bösen Wege“. In der Folge wird die Stadt gerettet. Die Menschen kommen davon.
Umkehr ist möglich, sagt mir diese Geschichte. Auch für solche, von denen ich es nie gedacht hätte. Auch in großen Weltreichen können sich die Dinge verändern und zum Besseren wenden. Und anscheinend mit Gottes Hilfe und mit mutigen Kritikern auch ohne Feuer und Kanonendonner. Gott gibt der Welt eine Chance. Gibt den Menschen im Großreich eine Chance. Das klingt wie ein Märchen. Und doch: „Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass das Leben siegt?“ Gott braucht mutige Menschen, die sich nicht drücken und das Richtige tun – auch wenn sie zuerst ein bisschen tollpatschig scheinen wie Jona. Auch die Starrsinnigsten werden einsichtig. Dann wird mit Gottes Hilfe ein Weg zur Umkehr möglich. Dann findet sich ein Ausweg, und der Untergang mit Ansage bleibt aus. Und am Ende kann man über diese Geschichte und den Jona lachen. Das Lachen der Hoffnung. Auch das ist ein Osterlachen, dazu muss man gar nicht Witze erzählen, wie das früher üblich gewesen sein soll. Man muss nur auf diese Geschichte hören. Gottes Mitleid gilt der gewalttätigen Welt und ihren Menschen: Sie sollen leben. Die Frage an uns heute ist, ob wir daran glauben mögen und darauf hoffen können.
Sich aussprechen vor Gott. Beten hilft.Noch etwas kann man lernen aus dieser Jonageschichte, finde ich, besonders von Jonas Gebet, als er da im Finstern sitzt. Die Worte, die er da betet, hat Jona sich nicht ausgedacht. Es sind Worte aus den Psalmen, das, was ihm in seinem Kummer in den Sinn gekommen ist. Manchmal, wenn Sorgen und Angst einem das Herz abdrücken, fehlen einem ja die Worte. Dann weiß man nicht mehr, was man sagen soll. Dann ist es gut, wenn man einen Vorrat an schon geprägten Worten hat. Sogar Jesus hat in seiner Not am Kreuz zu Worten aus einem Psalm Zuflucht genommen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Manchmal kann man vor Angst kaum noch klar denken, geschweige denn Worte finden. Dann ist es gut, wenn man ein paar Worte parat hat. Das Vaterunser beten viele. Das hält den Kontakt aufrecht zum Vater im Himmel, und sein „erlöse uns von dem Bösen“ meint auch die bösen Situationen unseres Lebens.
Und wie betet Jona? Er lässt erst einmal seine Verzweiflung heraus. Er sagt Gott, wie es ihm geht: „Das Wasser steht mir bis zum Hals“, „Wellen und Wogen schlugen über mir zusammen“. „Ich bin verloren, verstoßen aus deinen Augen.“ „In das Reich des Todes bin ich hinabgestiegen.“ Das klingt genauso wie „Warum hast du mich verlassen, Gott?“. Aber dann kommt noch etwas anderes: „Du aber hast mein Leben aus dem Abgrund gezogen“, erinnert sich Jona in seinem Gebet. Und ich merke, Jona spricht nicht nur von dem, was ihn gerade jetzt ängstigt. Er erinnert sich zugleich an bereits gemachte Erfahrungen. Er hat das alles schon erlebt. Hat schon erlebt, dass er dachte: „Jetzt ist alles aus!“ Und Gott hat ihm herausgeholfen aus der Angst und aus der Not. Viele von uns heute werden das schon erlebt haben, dass alles zu Ende schien, alles dunkel war und keine Hoffnung mehr. Und dann hat sich doch ein Weg gezeigt, eine Hoffnung, eine Möglichkeit, neues Leben. „Gott hat mir da raus geholfen“ – das kann man oft erst lange hinterher sagen. Dem Jona fällt es jetzt ein im Bauch des Fisches. Und es macht ihm Hoffnung und Mut. Warum soll es nicht wieder so sein? Gott, der geholfen hat, er wird wieder helfen!
Eine weitere Erfahrung gibt Jona uns weiter: „Wer sich an Nichtigkeiten klammert, verliert seinen einzigen Halt im Leben.“ Der einzige Halt – für Jona ist das Gottes Treue und Güte, seine „chäsäd“. Daran kann man sich festhalten, darauf sich verlassen. Die Nichtigkeiten, die keinen Halt geben, das könnten auch die vielen Nachrichten und Gerüchte, die Vermutungen und Prognosen sein, mit denen wir in diesen Krisenzeiten überflutet werden. Manchmal am Abend, nach dem dritten Brennpunkt, nach dem vierten heute-extra steht mir auch das Wasser der Mutlosigkeit bis zum Hals. Wie gut tut es dann, zu beten: „Herr bleibe bei mir, aus der Tiefe rufe ich, halt mich fest.“ Nach meiner Erfahrung hilft das gegen den Alarmismus, gegen die Angst, gegen die Panik. Beten hilft aushalten.
Am Ende gerettetUnd Jonas Geschichte zeigt: Am Ende wird er gerettet – gegen alle Prognosen, gegen alles menschliche Ermessen. Und heute, an Ostern, feiern wir, dass auch Jesus auferstanden ist, der gebetet hatte „Warum hast du mich verlassen, Gott“. Wir feiern: Gott hatte ihn nicht verlassen! Er hat sein Leben in der Hand gehalten und ihn auferweckt zu neuem Leben – gegen alles, was Menschen sich vorstellen können.
Liebe Gemeinde, da war einer abgestürzt. Er musste durch die Hölle gehen. Und das Jonabuch erzählt uns: Dort im Dunkeln hat er die Kraft gefunden, das Richtige zu tun. Jona ging nach Ninive und das böse Volk dort wurde gerettet. Das ist eine Erfahrung, von der kann man erst im Nachhinein erzählen – so wie uns das Jonabuch davon erzählt. Aber wir können darauf hoffen. Amen.
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