Estomihi (14. Februar 2021)
Prälatin Dagmar Zobel, Freiburg [dagmar.zobel@gmx.de ]
Jesaja 58, 1-9
IntentionFasten in der Pandemie? Verzichten wir nicht schon genug? Der Predigttext und die Predigt zeigen, wie und warum Fasten trotz allem gut ist. Und wem es nützt.
Ganz oben im Regal im Kinderzimmer stand das Einmachglas. Ab dem Aschermittwoch haben wir schweren Herzens alle Süßigkeiten dahinein abgeliefert, die wir Kinder bekamen. Damals in den 60er Jahren geschah das sowieso nicht häufig. Bis Ostern stand es da oben, ein buntes Glas mit Seligkeiten, tägliche Anfechtung. Zugegeben: Wir hielten nicht immer stand.
So gestaltete sich die Fastenzeit in unserem Haushalt, auch wenn wir Kinder nicht wirklich verstanden, was der liebe Gott gegen unsere Süßigkeiten hatte.
Der Blick in den Kalender zeigt: Am Mittwoch beginnt sie nun wieder, die Fastenzeit. Und jedes Jahr erinnere ich mich an das bunte Glas.
„Sieben Wochen ohne“…Die Fastenaktion der evangelischen Kirche. Seit mehr als 30 Jahren nehmen viele daran teil und üben sich im Verzicht, je nachdem auf Süßigkeiten, Alkohol, Zigaretten (ganz früher!) Fernsehen, Autofahren oder Facebook.
Aber dieses Jahr? Dieses Jahr will ich eigentlich nicht fasten. Denn gefühlt verzichten wir doch seit fast einem Jahr auf so Vieles, was uns lieb ist. Reisen, schöne Feste, spontane Treffen mit Freundinnen und Freunden, die Begegnung mit Kolleginnen und Kollegen, unbeschwert mit vielen anderen Gottesdienste feiern und singen.
Und wozu das alles? Damit wir alle zusammen diese Pandemie hoffentlich dann auch einmal in den Griff bekommen. Wir verzichten auf einen Teil unserer Selbstverständlichkeiten, damit nicht noch mehr Menschen mit diesem Virus sterben müssen, es sind doch schon viel zu viele. Damit unsere Kinder und Enkel wieder gemeinsam spielen, lernen und unbeschwert Kinder sein und die Jugendlichen wieder zusammen abhängen können. Damit Gastwirte, Künstlerinnen und Ladeninhaberinnen wieder ein auskömmliches Einkommen haben und Pflegekräfte durchatmen können.
Jedes für sich ist ein guter Grund für den auferlegten Verzicht und deshalb will ich auch nicht klagen, sondern tun, was notwendig ist, um die Not zu wenden.
Das hat auf den ersten Blick nichts mit dem alljährlichen Fasten zu tun und doch wirft es ein Licht auf das, was die Bibel uns mit dem heutigen Predigttext über das Fasten sagt:
„Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. ‚Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?‘ Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich“ (Jesaja 58, 1-9a).
Dieses Prophetenwort führt uns zunächst weit zurück in die Zeit, als das Volk Israel nach der Zeit des babylonischen Exils wieder ins Land zurückkam. In der Verbannung hatten die verheißungsvollen Worte der Propheten den zerknirschten und am Boden zerstörten Israeliten die Hoffnung gestärkt: Gott erhält seinen Bund aufrecht, er wird sein Volk höchstpersönlich zurückbegleiten und Wohlstand und Frieden werden wieder einziehen.
Aber schon bald nach der Rückkehr zeigte sich, dass es keine Umkehr zu Recht und Gerechtigkeit gab. Im Alltag wurde sie nicht wirklich praktiziert. Zwar wurden Fasten- und Bußtage eingeführt. Die Erinnerung an das schuldhafte Versagen des Volkes, das zur nationalen Katastrophe führte, sollte aufrechterhalten werden. Gleichzeitig bildeten sich aber wieder dieselben Ungerechtigkeiten aus wie zuvor. Einige wenige waren schnell wieder oben, profitierten von den Steuergesetzen der persischen Hoheit. Für die meisten aber wurde dadurch das Leben hart und führte massenhaft in Schuldsklaverei, Obdachlosigkeit und Elend.
Das ist der Hintergrund für die harsche Kritik des Propheten. Es ist ja nicht so, dass Gott den Menschen gleichgültig gewesen wäre. Sie fragen nach ihm, „sie suchen ihn täglich“. Aber die, die wieder zu Geld und Macht gekommen waren, verstehen die Fasten- und Bußrituale als bloße religiöse Übung. Sie meinen, darin wäre ihrer Pflicht gegenüber Gott Genüge getan.
Und die anderen, die Habenichtse und Unterdrückten, die sehen, wie vergeblich ihr Rufen nach Gott ist. An ihrer Lage verändert auch keine Fastenpraxis irgendetwas.
„Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?“
So klagen die einen selbstgerecht und ignorant und die anderen wütend und enttäuscht.
Wie geht Fasten?Die prophetische Rede stellt das sehr klar und deutlich vor Augen. Da kann man nichts missverstehen.
Umkehr und Buße und Fasten haben in erster Linie etwas mit einem gerechten Ausgleich zu tun. Es geht um den Versuch, Verhältnisse wieder herzustellen, die das Leben für alle möglich macht, so wie Gott es für seine Menschen gedacht hat.
„Brich dem Hungrigen dein Brot.“ Nimm die Bedürftigkeit um dich herum wahr. Sei solidarisch mit denen, die Hilfe brauchen, achte auf die, die beschützt werden müssen, teil mit den Einsamen dein Haus oder deine Zeit, halte dich zurück und mäßige dich in deinen Bedürfnissen, wenn dadurch andere zu Schaden kommen.
„Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut.“
So viele Forderungen!
Aber ein Verzicht, der nur mir selbst zugutekommt, meiner Gesundheit, meinem Körper, meiner Seelenruhe, der geht an dem vorbei, worauf dieses Fasten zielt. Eigentlich wissen wir das doch.
Eigentlich sollte es anders sein: Aus meiner Fülle teile ich etwas, damit andere leben können, meine Privilegien will ich nicht um den Preis behalten, dass anderen dafür die Lebensgrundlagen entzogen werden, meine Macht will ich nicht nutzen, um anderen die Freiheit zu nehmen.
Reichtum, Fülle und Überfluss sollen wir einsetzen, um anderen zu helfen. Es ist uns aufgegeben, für einen Ausgleich zwischen Reich und Arm zu sorgen. Das ist die Aufgabe, die uns Gott stellt. Damit wir sie erfüllen können, müssen wir tatsächlich etwas aufgeben. Etwas von unserem Geld, von unserer Zeit. Und weil unsere Lebensweise Einwirkungen auf das Weltklima hat und weil der Klimawandel schlimme Folgen auf der ganzen Erde mit sich bringt, deshalb müssen auch wir etwas von unserem gehobenen Lebensstil aufgeben. Es sind halt nicht nur andere Kräfte, die diese Katastrophe beschleunigen, es sind auch wir.
Die Pandemie führt uns so deutlich vor Augen, wie wir als Weltgemeinschaft aufeinander gewiesen sind. Umkehr und Umdenken sind nötig, um diese Herausforderung gemeinsam zu bewältigen.
Aber es wird auch nicht völlige Selbstaufgabe von uns erwartet. Wir müssen dem Hungrigen nicht unser ganzes Brot geben, wir sollen es mit ihm teilen. Wir müssen dem Obdachlosen nicht unser Haus geben, wir sollen ihn aufnehmen. Wir müssen dem Nackten nicht all unsere Sachen geben, wir sollen seine Blöße bedecken.
Das richtige Maß lässt sich finden.
Ein buntes Glas voller Seligkeiten lässt sich auf diese Weise sammeln, an denen wir uns dann auch wieder erfreuen dürfen.
Die Hinwendung zum Mitmenschen lässt die Nähe Gottes wieder erleben. Das ist der Ausblick, den der Prophet gewährt. Ein Lichtblick, der Aussichten neu eröffnet. Denn:
„dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.“
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