Rogate (17. Mai 2020)
Matthäus 6, 5-13
IntentionAm Sonntag Rogate ist die Gemeinde eingeladen, darüber nachzudenken, welche Bedeutung unser menschliches Gebet hat. In der Schule des Vaterunsers lernen wir beim Gebet, was wir eigentlich brauchen.
6,5 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 6 Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. 7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. 9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. 14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. 15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.
Liebe Gemeinde,
viele entdecken es in Zeiten der Corona-Krise für sich wieder neu: das Gebet!
In allen Religionen dieser Welt wird gebetet. Meistens geht es darum, dass Menschen etwas von Gott bekommen wollen. Das Gebet ist dann vor allem eine Bitte und Gott soll sie erfüllen. Das ist auch völlig legitim. Dazu ermutigt uns die Bibel: „In allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden“ (Philipper 4,6). Da ist der Winzer, der dringend Wasser für seine trockenen Weinberge braucht und den Durst der Traubenstöcke geradezu am eigenen Körper spürt. Er bittet Gott um Regen. Da ist der arbeitslose Familienvater, der dringend einen Job braucht, nicht nur um seine Familie zu ernähren, sondern auch um seines eigenen Selbstwertes willen. Da ist die kranke Frau, die schon oft operiert und therapiert wurde und die nur noch eine Sehnsucht hat: „Heile mich, Herr, von meiner Krankheit.“ Etwas von Gott zu erbeten ist zutiefst menschlich und biblisch gesehen völlig in Ordnung. Dazu werden wir geradezu ermutigt. In den Psalmen heißt es: „Schüttet euer Herz vor ihm aus“ (Psalm 62,9). Sagt ihm alles, was euch bedrückt. Und Petrus lädt dazu ein: „Alle eure Sorge werfet auf den Herrn!“ (1.Petrus 5,7).
Und trotzdem nicht plappernDoch Gott ist kein Erfüllungsautomat. Im heutigen Predigttext wird dem menschlichen Bitten die Maßlosigkeit genommen. Die geschwätzige Hemmungslosigkeit des individuellen Bittens wird begrenzt. Im Verhältnis zwischen Gott und Mensch geht es offensichtlich nicht nur um Nehmen und um Geben, sondern im Eigentlichen um etwas anders. Jesus sagt hier: „Ihr sollt nicht gedankenlos plappern und viele Worte machen. Es geht nicht darum, dass ihr nur ja nichts vergesst in der Aufzählung eures Gebetes. Euer himmlischer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn darum bittet.“ „Euer Vater weiß es!“ Das ist ein wichtiger Satz für unser Gebetsleben. Das dürfen wir nicht missverstehen. Jesus sagt nicht, dass wir im Grund genommen überhaupt um nichts mehr bitten sollen, weil es der himmlische Vater ja eh schon weiß. Jesus meint: Euer Vater weiß es besser, als ihr selbst es wisst. Er weiß, was ihr eigentlich braucht! Ich möchte es mit einem Beispiel deutlich machen:
Er weiß es, besser als ihrDa kommt ein Mann zum Arzt und sagt: „Ich habe Bauchschmerzen. Bitte verschreiben Sie mir ein paar Pillen, damit die Schmerzen vergehen.“ Der Arzt untersucht ihn und dann sagt er: „Nein, sie bekommen von mir keine Tabletten. Ihr Problem ist etwas anderes. Sie sind viel zu sehr im Stress. Sie trinken zu viel Kaffee und schlingen ihr Essen hinunter. Sie brauchen keine Pillen, sondern mehr Ruhe, einen anderen Lebensrhythmus!“ Der Patient bittet um Schmerzlinderung, aber der Arzt erkennt, was die eigentliche Not des Kranken ist. Nur, wenn er sich mehr Ruhe gönnt, werden seine Schmerzen vergehen. Erbitten wir manches Mal von Gott nicht fast zu wenig? Wir bitten um die schnelle Erledigung unserer Probleme, aber eigentlich haben wir etwas viel Nachhaltigeres nötig. Sind wir nicht manchmal wie nackte Kinder, die um Bonbons bitten, aber eigentlich Kleider nötig hätten? Sind wir nicht wie Gefangene, die um einen Perserteppich für ihre Gefängniszelle bitten und die doch eigentlich die Freiheit nötig hätten? Gott weiß, was wir eigentlich brauchen und das setzt unserem Bitten ein Maß, das nimmt uns die Hemmungslosigkeit. Manchmal reicht ja nur ein einziger Satz, um das Eigentliche zu erbitten. Aber was ist das?
Das Eigentliche ist er selbstDa bringen Männer ihren gelähmten Freund zu Jesus. Sie haben sein Leiden seit Jahren beobachtet und wollen ihm helfen. Die Tür zum Haus, in dem Jesus predigt, ist verschlossen. Da steigen sie ihm im wahrsten Sinne des Wortes aufs Dach. Sie graben das Flachdach auf und lassen ihren Freund an langen Seilen hinunter direkt vor Jesu Füße. Wenn wir die Freunde fragen würden „Was ist eure Bitte?“ „Klar“ würden die sagen „unser Freund soll gesund werden und wieder gehen können!“ Doch Jesus sieht die eigentliche Not dieses kranken Menschen und sagt zu ihm: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Er sieht, was ihm eigentlich fehlt. Er sieht dessen Lähmungen, die ihn nicht aufstehen lassen. Eine vermurkste Biographie, Niederlagen, Einsamkeit, das Unvermögen, anderen nahe zu sein und Gott zu vertrauen. Jesus vergibt ihm und kommt ihm nahe. Am Ende wird alles gut. Auch wenn es dazwischen Zeiten gibt, in denen wir das nicht so empfinden. Wo Gott ist, wird es gut! So verstehe ich das „Vaterunser“ als ein Gebet, bei dem ich, wie ein Kind, zurückschlüpfe in die Gemeinschaft mit Gott. Das Gebet ist ausgesprochener Glaube.
Beten ist ausgesprochener GlaubeSchon im ersten Satz wird das Eigentliche gesagt: „Vater unser im Himmel“. Wenn ich ihn anrede, bin ich schon bei ihm. Dieser Satz ist im Deutschen grammatikalisch nicht ganz korrekt. Eigentlich würde man sagen: „Unser Vater im Himmel“. Das wäre logisch. Dass der „Vater“ am Anfang steht, ist ein betonter Anfang, wie ein Ausruf: „Vater“! Und schon, wenn ich ihn anrufe, ist er bei mir. Der Ewige ist mir in Mund und Herzen. Die Gemeinschaft zwischen Menschen und Gott wird im weiteren Gebetsverlauf näher beschrieben. Wie viele materielle Dinge werden von uns für heiliggehalten? Das heilige Blechle, die heilige Nation, der heilige Feierabend. Das „Vaterunser“ sagt etwas anderes: „Geheiligt werde dein Name.“
Der Name, den der Jude Jesus für Gott gebraucht hat, ist Jahwe. Das heißt übersetzt: „Ich bin für dich da!“ Dieser Name sagt den unbedingten Gemeinschaftswillen Gottes aus. Und zwar für alle Zeiten. Die Herren und Hirten dieser Welt, die manchmal ihre Völker ins Schlachthaus der Weltgeschichte geführt haben, sie gehen, unser Herr aber kommt: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ In der Gemeinschaft mit diesem Hirten gibt es keinen Mangel: „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ Nicht auf Vorrat gibt Gott seine Gaben, aber immer das, was wir „heute“ nötig haben. Mancher Weingärtner darf inmitten der Hitze erleben, dass zwar Weniges, aber dafür Hochwertiges wächst. Mancher Arbeitslose spürt, dass er trotz seiner finanziellen Sorgen gehalten ist und nicht in Verzweiflung gerät. Und manche Kranke fühlt, dass die Zeit der Ohnmacht auch eine Zeit der besonderen Nähe Gottes ist. Und dann Mitte und Höhepunkt des Vaterunsers: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ Das ist die innerste Herzkammer dieses Gebetes. Die vollendete Gemeinschaft, die die einsam machende Schuld überwindet. So wie der gelähmte Mann, dem Jesus sagt: „Dir ist deine Schuld vergeben“ Also: Du gehörst wieder dazu, zu den Kindern Gottes. Auch dir ist Gott nah. Das soll nicht mehr von uns genommen werden, darum: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen!“ Lass nicht die Habgier unsere Gemeinschaft zerstören. „Denn dein ist die Kraft und Herrlichkeit in Ewigkeit.“ Ein feierlicher Schlusspunkt hinter die ausgerufene Gemeinschaft.
Liebe Gemeinde, das ist das Ziel des Gebetes, dass wir vom Vorläufigen zum Eigentlichen kommen, von der Hand zum Herzen des Vaters. Nicht nur Gottes Güter begehren, sondern vor allem seine Güte. Seine Nähe, die tröstet und hilft, auch schwere Zeiten durchzustehen. Nicht seine Gaben, sondern ihn selbst haben. Darum geht es. Das Vaterunser ist ein Fliehen hin zum lebendigen Gott. Amen.
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