Osternacht (11. April 2020)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Elisabeth Küfeldt, Ansbach [kuefeldt@web.de]

2. Timotheus 2, 8-13

IntentionIn Krisen braucht man Erinnerung an das, was hilft. Paulus erinnert an den, der hilft: Jesus Christus, der das Leben gut machen kann und dem Tod seine Macht genommen hat.

Liebe Gemeinde,
Krisen haben fast alle eine Nebenwirkung: Gedächtnisverlust. Damit meine ich nicht die ganz normale Schusseligkeit „wo ist jetzt schon wieder der Schlüssel abgeblieben??“. Der Gedächtnisverlust geht viel tiefer, wir konnten‘s jetzt live beobachten: In der Flüchtlingskrise hat mancher vergessen, dass wir in Deutschland schon ganz andere Menschenmengen nach dem Krieg als Flüchtlinge aufgenommen und verkraftet haben; mancher Mensch hat in der Coronakrise seinen Anstand vergessen, vor dem Regal mit den letzten Klopapierrollen; manch einer hat vergessen, an wie vielem er oder sie sich freuen kann in diesem wunderbaren Land, in diesem herrlichen Frühling.
Man kann diese Vergesslichkeit auch positiv anschauen: Unser Hirn fokussiert auf die Probleme; das ist sehr vernünftig. In einer Krise muss man sich auf das fokussieren, was hilft, sie zu beenden. Unser Hirn macht das schon gut, dass wir im Moment vieles andere ausblenden, vergessen –aber manchmal halt um den Preis, dass über dem Wichtigen das Wichtigste vergessen wird.

Predigttext als Gedächtnis-HilfeUnser Predigtwort für heute Nacht ist da ein „Hallo wach!“ an alle Vergesslichen, an mich z.B., und vielleicht auch an Sie: Denk an das Wichtigste, oder besser, an „Den Wichtigsten“.
Ich lese aus dem zweiten Brief des Paulus an seinen jungen Freund Timotheus:
2,8 Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten, aus dem Geschlecht Davids, nach meinem Evangelium,
9 für welches ich leide bis dahin, dass ich gebunden bin wie ein Übeltäter; aber Gottes Wort ist nicht gebunden.
10 Darum dulde ich alles um der Auserwählten willen, auf dass auch sie die Seligkeit erlangen in Christus Jesus mit ewiger Herrlichkeit.
11 Das ist gewisslich wahr: Sind wir mit gestorben, so werden wir mit leben;
12 dulden wir, so werden wir mit herrschen; verleugnen wir, so wird er uns auch verleugnen;
13 sind wir untreu, so bleibt er treu; denn er kann sich selbst nicht verleugnen.

Die Krise der christlichen Gemeinde damalsPaulus und Timotheus und seine Gemeinde erleben auch eine gewaltige Krise, sehr anders als unsere Pandemie, aber nicht weniger beängstigend: Die Christengemeinde damals wurde z.T. gewalttätig verfolgt, Paulus selbst sitzt gerade im Gefängnis wegen seines Glaubens, „wie ein Schwerverbrecher“, schreibt er. Und was ihm da passiert ist, hängt ja wie ein Damoklesschwert über den Christen allgemein – wie ja in vielen Ländern der Welt auch in diesen Tagen. Dass sie enteignet, mindestens verachtet werden, viele an Leib und Leben bedroht sind, von der Familie ausgestoßen, die Heimat, das Dorf, die Freunde verlassen müssen und fliehen vor dem Terror – das passiert jetzt! (Genauso haben auch heute Menschen Existenzängste wegen der Corona-Krise. Ausgangssperren und Absagen von Geburtstagsfeiern sind fast nichts dagegen…) Und es passierte damals – aber das war nicht alles: Zu dem Druck von außen kam Streit im Inneren der Gemeinde dazu. Paulus warnt gleich nach unserem Predigttext vor Wortgezänk, vor Irrlehre und geistlichem Machtgehabe, aber auch vor ganz handfesten Versuchungen. Die Christengemeinden waren schwer gebeutelt.

Timotheus im Gefängnis seiner SorgenDeshalb schreibt Paulus diesen Brief an seinen jungen Freund Timotheus. Der hatte ihn eine ganze Zeit auf den Missionsreisen begleitet, als Lehrling quasi, und war jetzt Leiter einer Gemeinde, hatte Verantwortung für andere in dieser Krise. Ich kann mir vorstellen, dass alles über ihm zusammenschlägt: Oh weh, bin ich dem gewachsen?? Was soll ich denn zuerst tun? Soll ich mich um unsere Außenwirkung kümmern? Fluchtmöglichkeiten bereitstellen? Oder lieber den inneren Streit schlichten? Oder ein Machtwort sprechen? Wer bin ich, dass ich Ältere zurechtweise? Aber was passiert, wenn ich’s nicht mache?
Und schon sind seine Gedanken auf Wanderschaft wie ein Tiger im Gehege. Immer auf den gleichen Bahnen, dauernd im Trab, – aber ohne irgendwohin zu kommen.

Behalte Jesus im BlickIhm sagt Paulus (und damit uns allen, deren Gedanken so am Kreisen sind): Halt im Gedächtnis Jesus Christus. Behalte ihn im Blick!
Wie hilfreich ist das, aufzusehen, mal wegzuschauen von dem, was den Blick starr gefangen hält!
Wenn ein Wanderer auf einer schwierigen Strecke im Gebirge ist, da muss er freilich den nächsten Tritt im Blick haben, den festen Griff sichern – aber er muss immer wieder das Ziel in den Blick nehmen. Aufschauen, Orientierung suchen am Ziel, sonst verliert er die Richtung. Und den Mut. Noch besser ist: auf den Bergführer schauen. Dort, wo er voransteigt, da ist der Weg sicher. Ihm hinterher mag anstrengend sein – führt aber zum Ziel.
Halt im Gedächtnis Jesus Christus – damit meint Paulus nicht die Erinnerung an einen längst vergangenen Helden, sondern er rüttelt Timotheus wach: Denk dran, wegen wem du gestartet bist. Mit wem.
Und er stellt zwei Dinge besonders heraus, lenkt den Blick darauf, was ihn, Paulus so stark macht, dass er alles dulden kann, alles aushalten kann, dass er trotzdem weitermachen kann:

Behalte Jesus im Blick, den Sohn Davids„Halt im Gedächtnis Jesus Christus, aus dem Geschlecht Davids.“ Das ist nicht schlicht eine Frage nach seinem Papa und Opa, sondern die Frage: Was bringt der an Geschichte mit? Was hat er in seinem Rucksack?
David war ja der erste großartige König Israels, an dem sich alle späteren Könige messen lassen mussten. Im Gepäck hat Jesus als Nachkomme von diesem David also die Sehnsucht von ganz Israel nach einem solchen Herrscher, der ewig regiert. Und zwar gut. Weise, gerecht, unbestechlich, uneigennützig. Jesus, aus dem Geschlecht Davids, hat die Verheißung Gottes im Gepäck: So einen König werde ich senden, der wird in den Fußstapfen Davids gehen – und zugleich noch viel mehr sein. Er wird nicht nur Herrscher, sondern auch Heiland sein, der Gesalbte (oder auf Griechisch eben: der „Christus“)
An diesen Jesus wird Timotheus erinnert. Mehr als ein wunderbarer Prediger. Mehr, als nur ein Vorbild an Sanftmut und Freundlichkeit. Noch viel mehr: Er ist der Sohn Davids, in dem die Sehnsucht Israels und die Verheißungen Gottes erfüllt sind.

Der Sohn Davids – ein gerechter HerrscherUnd ich stelle mir vor, dass vor Timotheus‘ inneren Augen Bilder und Geschichten aufgestiegen sind, die er berichtet bekommen hat: Jesus, wie er in der Bergpredigt ein wunderbares Regierungsprogramm entwirft; für ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit.
Jesus, der dann an die 5000 Menschen fünf Brote und zwei Fische verteilen lässt – und in seiner Gegenwart führt das nicht zu Tumult und Ellbogeneinsatz, weil jeder etwas abkriegen möchte. Sondern in der Gegenwart Jesu wird aus dem Wenigen genug für alle.
Oder er sieht vor seinem inneren Auge die Ströme von Blinden, Verkrüppelten, Ausgezehrten, Tauben, Aussätzigen, die sich hingeschleppt haben, die Gebeugten und Zerbrochenen, die sich kaum zu ihm getraut haben – und sie alle durften heil und geheilt, mit gradem Rücken und gesunden Gliedern wieder nach Hause gehen.
Jesus, der gerechte König, Sohn Davids. Und zugleich der Christus, der Heiland der Welt.
Den ruft Paulus dem Timotheus in Erinnerung in seiner drückenden Situation. Und uns genauso. Vergiss nicht, zu wem du gehörst. Vergiss nicht, wer der Herr ist, wer dein Begleiter ist. Halt ihn im Gedächtnis, auch wenn alles andere groß und dunkel und erdrückend ist. Jesus, der Christus, der Herr und Heiland.
Ich habe gesagt, auf zwei Dinge lenkt Paulus den Blick des jungen Timotheus. Das eine war die Frage „Was bringt dieser Jesus mit im Gepäck?“
Das andere ist: Welche Macht, welchen Einfluss hat dieser Jesus?

Der Sohn Davids - Herr über den TodPaulus sagt kurz und knapp das Entscheidende: Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist.
Das ist so schnell gesagt, so leicht überhört – und dabei ist es die alles entscheidende Frage nach der letztgültigen Macht. Und nach der jetzt gültigen Macht.
Was hilft ein Held, der vor 2000 Jahren gelebt hat? Was hilft ein Vorbild, das berührend und eindrucksvoll Güte und Freundlichkeit vorlebt, aber nach einem relativ kurzen Leben so grauenvoll scheitert wie der Jesus von Nazareth? An den man sich voller Wehmut erinnert als leuchtendes Vorbild?
Ehrlich gestanden: In echten Krisen hilft das nicht viel! Wenn’s mir den Boden unter den Füßen wegzieht, wenn ich Angst vor Krankheit und Sterben habe, oder Angst um meine Lieben – da hilft mir ein vor Jahren gestorbener Held nichts. Und da ist es sogar schon egal, ob der Held erst vor 30 Jahren gestorben ist (wie der Abstand bei Timotheus war) oder vor 2000 Jahren, wie der Abstand zwischen Jesus und uns ist.

Der Auferstandene – Helfer in Not und TodUnd darum ist es entscheidend, was Paulus sagt. Darum ist das Mittel gegen alle Angst und Plage diese Osternacht, der „Hallowach“-Ruf von Ostern: Unser Herr ist nicht tot! Er ist auferstanden, wahrhaftig auferstanden!
Ja, er ist ins dunkle Todestal hineingegangen. Ja, er hat Ungerechtigkeit, Schmerzen, Spott bis zur bitteren Neige ertragen müssen. Ja, er war ganz unten angekommen. So tief ein Mensch nur sinken kann, auf den Grund der Verzweiflung, in den Morast der Hilflosigkeit.
Und er ist auferstanden in Herrlichkeit.
Er ist ins Reich des Todes hinabgestiegen – und hat die Tore des Totenreichs aufgesprengt. Für immer. Die Riegel sind zerbrochen, der Tod kann keinen mehr halten. Und er lebt jetzt. Hier. Bei Timotheus damals genauso wie bei uns in Ansbach heute.
Oh, unsere Vergesslichkeit! Bei all dem, was unser Herz schwer macht – wie können wir das vergessen, dass wir zu Jesus, dem Sohn Davids gehören?
Er regiert doch, nicht nur über alle Welt im Allgemeinen, sondern über mein, über Ihr ganz konkretes Leben! Über unser Land, unsere Familie.
Und er ist auferstanden und lebt. Jetzt und hier.
Der Tod konnte ihn nicht halten und er wird uns nicht halten können.
Wir haben einen lebendigen Gott, der König ist und Heiland, der regiert und heilt. Er wird uns beistehen, auch die schlimme Krise unserer Gegenwart durchzustehen.
Darum setzen wir dem Dunkel dieser Nacht, dem Dunkel um uns, der Angst und der Krankheit unseren Jubelruf entgegen: Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!
Amen.

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