Septuagesimae (09. Februar 2020)
Matthäus 20, 1-16
20,1 Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter anzuwerben für seinen Weinberg.
2 Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg.
3 Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere auf dem Markt müßig stehen
4 und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist.
5 Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe.
6 Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da?
7 Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand angeworben. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.
8 Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten.
9 Da kamen, die um die elfte Stunde angeworben waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen.
10 Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeder seinen Silbergroschen.
11 Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn
12 und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben.
13 Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen?
14 Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir.
15 Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin?
16 So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.
IntentionVon Gott bekommen wir – unabhängig von unserer Leistung: eine Tat der Liebe, Raum zum Leben und Aufatmen. Täglich sucht er nach uns. Kommen wir mit ihm mit?
Liebe Gemeinde, Jesus hat Geschichten erzählt. Mit denen wollte er seine Zuhörer provozieren. Geschichten, die die Hörer nicht kalt lassen sollten. Geschichten, die eine Stellungnahme fordern, eine Antwort: Was sagst du dazu?
Eine solche Geschichte, ein solches Gleichnis haben wir eben in der Schriftlesung gehört. Da ist der Weinbergbesitzer, ein Patron, sicher ein Großgrundbesitzer mit viel Geld. Und nun ist Erntezeit, die Trauben müssen eingebracht werden. Und er sucht sich Arbeiter für seine Ernte. Jesus erzählt diese Geschichte in eine Situation hinein, in der eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte und damit einhergehend Hunger und Elend. Nur wer auf dem Markplatz Arbeit finden konnte und für einen Tag einen Silberdenar verdiente, konnte mit einer Mahlzeit rechnen, die meist aus Gerstenbrei bestand. Andere, denen es nicht so gut erging, die am Ende noch ein körperliches Handicap hatten, gingen leer aus. Dann mussten sie hungern, und wenn sie ihre Schulden nicht mehr bezahlen konnten, wurden sie irgendwann als Sklaven verkauft. Ihre Frauen und Kinder mussten sich oftmals prostituieren und landeten im völligen Aus. Das Elend zur Zeit Jesu – unvorstellbar!
Ein Grundbesitzer handelt ungewöhnlichNun stellt Jesus seinen Hörern einen Patron vor, der das Elend der Menschen nicht ausnutzt, sondern völlig verblüffend und völlig unerwartet handelt. Er entlohnt am Abend alle seine Arbeiter gleich. Die, die den ganzen Tag in der Hitze geschuftet haben, bekommen genauso viel wie die, die nur noch eine Stunde gearbeitet haben. Was ist das für ein Typ? Ein Sozial-Romantiker, ein Sozialist gar oder doch viel eher ein Verrückter, der nicht rechnen kann? Volkswirtschaftlich gesehen ein desaströses Handeln, ungerecht und die Arbeitsmoral untergrabend.
Die armen Schlucker aber, die unverhofft einen ganzen Tageslohn verdient hatten, dürften sich schnell vom Acker gemacht haben, bevor der Chef es sich anders überlegen würde oder die aufgebrachten neidischen Vollzeitarbeiter über sie herfallen würden, um ihnen ihren kostbaren Lohn zu entreißen.
Zu den Neidischen, zu denen, die sich vom Weinbergbesitzer ungerecht behandelt fühlen, sagt er am Ende: „Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin? Bist du deshalb neidisch? Kannst du es den Anderen, die genauso schlimm dran sind wie du, nicht gönnen, dass sie das bekommen, was sie zum Überleben brauchen?“
Vom Umgang mit einem schwierigen TextDas ist nun auch die Frage, die Jesu Gleichnis an uns heute stellt.
Und ich erinnere mich an heiße Diskussionen, die wir damals als Jugendliche im Jugendkreis über diesen Text hatten. Alle wollten mit Ernst das Christsein leben. Das war ganz schön anstrengend. Man musste so viel beachten, sich dauernd bemühen, ein moralisch einwandfreies Leben zu führen, die Latte lag, so habe ich das als Teenager empfunden, enorm hoch. Kann ich das überhaupt schaffen? Wenn nicht, dann droht Verdammnis. Ein Teufelskreis, der jedenfalls mich relativ freudlos und angestrengt zurückließ. Und jetzt dieses Gleichnis, so wie wir es verstanden! Ungeheuerlich! Die, die ihr ganzes Leben lang sich im Weinberg des Herrn abgeplagt hatten, die wurden denen gleichgestellt, die sich’s einfach gemacht hatten und sich vielleicht erst noch kurz vor ihrem Tod dem Glauben zugewendet hatten. Das ist doch empörend! Der Protest der Langzeitarbeiter sprach uns aus der Seele.
Als Studentin der Theologie fand ich die anarchistischen Tendenzen des Gleichnisses aufregend. Gott stößt Hierarchien um, wirft unsere Vorstellungen über den Haufen. Er sieht den Menschen und das, was er braucht, und gibt es ihm.
Dann habe ich eine Zeitlang in Südamerika gelebt und gearbeitet, und die Ärmsten der Armen kennen gelernt. Arme Menschen ohne Ausbildung, ohne Chance auf Veränderung und Besserung, Trostlosigkeit. Und die Frage: Wer sieht diese Menschen? Wer gibt ihnen Hoffnung? Unser Gleichnis sagt: Gott ist ein Gott, der mitleidet, der ergriffen ist von dem Leiden seiner Menschen. Und dies erhält Vorrang vor allem. Gott ist gütig.
Das Vorrecht, im Weinberg des Herrn arbeiten zu dürfenNoch später, jetzt bereits Pfarrerin mit einer Festanstellung im Weinberg des Herrn, stellte sich mir das Gleichnis wieder in den Weg, denn es erscheint ja regelmäßig in der Reihe der Predigttexte. Nun regten mich die alten pietistischen Fragestellungen nicht mehr auf. Ein ganz anderer Aspekt war mir wichtig geworden. Es ist doch ein Vorrecht, im Weinberg des Herrn arbeiten zu dürfen! Was bringt es, sich den ganzen Tag auf der Straße rumzutreiben? Das ist doch schrecklich, wenn man weiß: Man ist in seinem Leben nicht am richtigen Ort, man kriegt keinen Fuß auf den Boden, man findet nicht das, was die Seele nährt und befriedet. In diesem Leben wollte ich immer daran mitarbeiten, diese Welt zu einem Ort zu gestalten, an dem Wärme und Zuwendung erfahrbar werden. Der Herr des Weinbergs jedenfalls ist dazu entschlossen, und ich will ihn nach Kräften unterstützen. Was will ich mit Geld, wenn mein Herz träge und blind und kalt ist? Ein Leben ohne Mitgefühl und Herz ist ein schweres Unglück, macht unzufrieden und schließlich krank. So hören wir es jedenfalls von der modernen Glücksforschung.
Zwei Fragen bewegen mich heuteUnd heute? Was habe ich Ihnen heute zu diesem Gleichnis zu sagen?
Es provoziert mich immer noch. Es ist einfach ein gutes Gleichnis. Und ich denke neu darüber nach.
Zwei Fragen bewegen mich heute: wie kommt es, dass der Weinbergbesitzer den ganzen Tag losgeht und Arbeiter sucht? Das ist eine sehr untypische Verhaltensweise für damalige Verhältnisse. Normalerweise weiß der Herr, wie viele Tagelöhner er braucht, und er engagiert sie gleich am frühen Morgen.
Und zum Zweiten: Der Herr sagt: Ist es nicht meine Sache, was ich mit meinem Eigentum mache? Was ist gemeint mit dem Geld, das der Herr austeilt?
Zum ersten: die seltsame Verhaltensweise des Weinbergbesitzers, dass er den Arbeitern nachläuft. Jesus beginnt sein Gleichnis mit der Einleitungsformel: Mit Gottes Reich verhält es sich wie ... Um Gottes Volkswirtschaft geht es, die unsere Vorstellungswelt auf den Kopf stellt.
Zu Jesu Zeiten war die Landflucht ein großes Problem. Eine hohe Steuerlast führte dazu, dass viele Bauern durch ihre kargen Böden die Abgaben nicht mehr aufbringen konnten. Und um der Versklavung zu entgehen, flohen sie und ließen ihr Land im Stich, das dann ein Großgrundbesitzer sich einverleibte. So entstand ein Heer von Entwurzelten, die auf der Suche nach Nahrung und Brot für beinahe alles zu haben waren.
Und da wird uns Gott gezeigt als einer, der sich kümmert um die Menschen, der ihnen nachläuft, der auch noch dem Letzten eine Chance gibt, eine Chance auf ein sinnvolles Leben, eine Chance auf Ernährung, nicht nur ganz handfest materiell, sondern weitergehend, ein Gott, der das anbietet, was unser Leben erhält, Wurzeln, die halten, wenn es hart auf hart kommt, Wegzehrung auch in schlimmen Zeiten.
Wenn Gott sein Reich aufrichtet, dann vergisst er keinen, dann lässt er keinen außen vor. Von dem, was Gott bietet, kann man leben.
Und zur zweiten Frage: Was ist gemeint mit dem Geld, das der Herr austeilt?
Was ist das, was Gott ganz hergibt, ungeteilt? Scheinbar muss etwas gemeint sein, was man nicht aufteilen kann, so wie man nicht ein bisschen schwanger oder ein bisschen tot sein kann.
Es ist etwas, das wir bekommen unabhängig von unserer Leistung. Unsere Leistung ist nicht ausschlaggebend. Und was könnte das auch sein, das uns vor Gott einen Rechtsanspruch geben könnte? Können wir mit naiver Unverfrorenheit von Gott einen gerechten Lohn beanspruchen? Können wir mehr erwarten, als wir anderen zubilligen? Wie sollte das gehen? Ich befürchte, unsere Arbeit macht Gott hauptsächlich Mühe, große Mühe. Es ist bestimmt ein Glücksfall, wenn wir dem nicht im Weg gestanden haben, dass jemand Sinn und Perspektive für sein Leben gewonnen hat, dass jemand Gottes Güte erfahren konnte.
Und was ist das nun, was Gott austeilt am Ende?
Es ist eine Tat. Eine Tat der Liebe. Gott sagt: Wie dein Leben auch verlaufen sein mag, welche Irrwege du auch gegangen sein magst, ich setze einen Schlussstrich drunter. Ich will dich nicht verlieren, du sollst bei mir bleiben, ich setze dich ins Recht mir gegenüber. Deshalb habe ich meinen Sohn geschickt, ja, ich bin selbst zu dir gekommen und habe dir alles gegeben, was ich konnte, mich selbst, das Leben. Ich will dir einen Platz geben, will dir Raum geben bei mir. Raum zum Leben und Aufatmen. Vielleicht lässt du dich anrühren davon, vielleicht antwortest du mir, indem du mit mir kommst, wenn ich nach dir suche. Und das tue ich jeden Tag neu. Amen.
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