23. Sonntag nach Trinitatis
Dem König aller Könige und Herrn aller Herren,
der allein Unsterblichkeit hat, dem sei Ehre
und ewige Macht
Dererste Brief des Paulus an die Timotheus 6, 15-16
Es gibt zahlreiche Christinnen und Christen, die solche Hoheitsbezeichnungen
für Gott und für Jesus Christus ablehnen. Warum? Sie
sehen in dem Ausdruck »König aller Könige« nur eine Überbietung,
eine Übersteigerung des Wortes König in Richtung Superkönig. Oder
im Ausdruck »Herr aller Herren« nur eben diese Überbietung des
Wortes Herr. Sie gehen also – in der Regel unbewusst – von dem aus,
was ihre Vorstellung von einem König oder einem Herrn ist. Diese
Vorstellung ist dann ein Bild, dessen Einzelheiten zum Teil aus persönlichen
Erfahrungen, zum Teil aus historischen Berichten, zum Teil
aus Märchen stammen. Oft ist es ein ziemlich unschönes Bild: der
König, der über den anderen thront, der seine Macht genießt, wenn
andere vor ihm im Staub knien, der mit anderen Königen um die
Macht kämpft, der in solchen Kämpfen massenweise Untertanen und
andere Menschen opfert, der Menschen zwingt, aufeinander zu schießen,
der das alles in einem prachtvollen Hofzeremoniell nach dem
Vorbild des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. vergessen machen will. Und
nun Jesus der König aller Könige, viel mächtiger, viel höher, womöglich
viel gewalttätiger, eine Art Sonnenkönig zur Rechten Gottes?
Sie haben eine Vorstellung von dem, was ein Herr ist, haben ihre
eigenen Erfahrungen mit Herren gemacht, haben erlebt, wie solche
einander und ihren Untergebenen den Herren zeigen, wie sie den
Herren spielen, von naiv Unterwürfigen als etwas Besseres angehimmelt,
von kritisch Aufbegehrenden mit geballter Faust in der Tasche
gehasst, aber im Ernstfall dann doch aus Furcht und Berechnung respektiert
werden. Sie denken an Herrenclubs samt anzüglichen Herrenwitzen,
spüren etwas Frauenfeindliches heraus, etwas geradezu Zynisches,
das einen frieren machen könnte. Und nun der Titel »Herr
aller Herren« und dieser Titel im Zusammenhang mit Jesus oder mit
Gottvater? Nein, und nochmals nein!
Mit Recht sagen sie nein. Gott ist nicht der Superkönig, der die Eigenschaften
irdischer Könige ins Übermächtige hinein verkörpert.
Gott ist nicht der Superherr, der weit über allen Herren den Herren
spielt und den Herren zeigt. Nein, so ist der Gott nicht, zu dem Jesus
gebetet hat, den Jesus »Abba, lieber Vater« nennt. So ist Jesus nicht,
der diesen Gott verkörpert. Jesus setzt nicht reihenweise Leute für sich
ein, um über ihrem Elend seine Herrlichkeit aufzubauen. Jesus setzt
sich für die Menschen ein. Jesus ist nicht dieser König, der sich von
den anderen Königen nur dadurch unterscheidet, dass er noch mächtiger,
noch höher, womöglich noch herrschender, womöglich noch zynischer
ist. Jesus ist der Bruder aller Verzagten, der ganz unten zu finden
ist, der sich unter die Last der hilflosesten Menschen stellt. Jesus gehört
nicht zu denen, die andere ins Gefängnis oder an den Galgen oder ans
Kreuz oder auf das Schlachtfeld zum Bluten und Sterben bringen. Jesus
geht selbst ans Kreuz, er setzt sich für die Seinen ein. Er nimmt denen,
die gegeneinander gehetzt werden zum Töten und zum Sterben,
die Waffe aus der Hand: »Liebet euere Feinde.« Jesus regiert nicht
durch Androhung und Ausübung von Gewalt, durch Geld und Militär,
durch Beziehung und Taktik, durch Propaganda und große Aufzüge,
durch Brot und Spiele. Im Gegenteil: er wäscht den Jüngern die
Füße, er hat keinen Besitz, er bedroht niemanden, sein Reich ist nicht
von dieser Welt, sodass Pilatus vor ihm nur kopfschüttelnd sagen
kann: »Sehet, welch ein Mensch« (Joh 19,5).
Also: Weg mit diesen superlativischen Titeln. Sie passen nicht zu
ihm. Angenommen, wir würden über diese Titel diskutieren und ein
früher Christ, Timotheus oder einer seiner Freunde, Leute aus der ersten
Generation der Paulus-Schüler, könnte mitreden, was würde
Timotheus sagen? Ich stelle mir seinen Diskussionsbeitrag so vor:
»Du hast Recht, es gibt schreckliche Könige. Sie herrschen nach
dem Prinzip ›Wo gehobelt wird, da fallen Späne‹. Sie kämpfen miteinander
mit allen Tricks und Raffinessen um die Macht. Die Großkönige
und Kaiser um die Weltherrschaft. Tausende müssen in diesen
Kämpfen sterben. Und jede Grausamkeit wird entschuldigt mit der
Auskunft ›Es ist eben Krieg. Der Krieg hat seine eigenen Gesetze‹. Sie
lassen sich selbst verehren, ja, die ganz Mächtigen unter ihnen verlangen
die Anrede Divus Caesar, göttlicher Caesar. Sie lassen sich als
Wohltäter des Reiches, wenn möglich des Erdkreises, feiern; sie halten
sich Dichter, die ihnen die schmeichelhaftesten Lieder singen und denen
sie dafür Orden geben. Sie verlangen von uns Christen, dass wir
ihnen wie Gottheiten Opferkörner auf ihre Altäre streuen und dass
wir ihnen absoluten Gehorsam schwören. Wer es nicht tut, dessen Tage
sind gezählt. Aufrechte Leute werden verfolgt. Und immer wieder
gewinnen sie beim Volk damit Popularität, dass sie uns Christen als
die Schuldigen so ziemlich aller Übel der Welt ausmachen, dann ist
die nächste Christenverfolgung nicht mehr weit entfernt. Ja, das sind
die Könige und Herren der Welt. Und die kleinen Herren dieser feudalen
Sklavenhaltergesellschaft machen es, so gut sie es können, den
großen Herren nach, übertreffen sie noch in ihrem Zynismus, diese
Herrlein, die wir bedienen müssen.
Ihr habt Recht, wie anders ist Jesus. Der unser Bruder ist, der uns
die Furcht nimmt, der unsere Last trägt, der uns die Füße wäscht, der
für uns ans Kreuz geht, der in unseren Ängsten und Nöten mit uns
ist, dem wir Lobgesänge singen können, im tiefsten Gefängnis mitten
in der Nacht.
Er ist unser König. Er ist unser Herr. Er ist es von Gottes Gnaden.
Was ein König von Gottes Gnaden ist, das sehen wir an ihm. Was ein
wirklicher Herr ist, verkörpert er.
Darum ist er für uns der Herr aller Herren und der König aller Könige.
Nicht als die Überbietung der Könige und Herren, die wir zur
Genüge kennen, sondern als die totale Alternative.
Wir würden verzweifeln in der feudalen Gesellschaft, in der wir leben
müssen, unter der Knute der Könige und Herren, die uns peinigen.
Aber dass wir in Jesus den eigentlichen Herrn und König haben,
das gibt uns sehr viel innere Freiheit. Dann verfalle ich nicht in Panik,
wenn der König wieder eine neue Maßnahme gegen uns Christen erlassen
hat. Oder wenn der Herr, dem ich als Sklave diene, mit seiner
menschenverachtenden Art meine Geduld testen will. Ich falle ihm
nicht um die Knie vor Angst. Ich lasse ihn meine Distanz spüren. Er
fühlt wohl, dass ich einem anderen Herrn gehöre.
Der König wird sterben, das kann schnell gehen. Seine Ärzte kochen
auch nur mit Wasser. Wenn er beerdigt wird, dann werden seine
Hofdichter ein Trauerspektakel veranstalten, als würde jetzt unser
Land und Volk untergehen. Wo doch fast jeder im Stillen aufatmet
und Gott dankt, dass diese Tyrannis eine Ende hat. Freilich, die Antwort
auf die Frage, ob sein Nachfolger menschlicher sein wird, warten
wir mit Spannung ab. Wir Christen werden in das staatlich angeordnete
Trauergeheul nicht einstimmen. Wir werden in unseren Osterfeiern
mit erhöhtem Ton dem unsere Lieder singen, der allein Unsterblichkeit
hat und der der Fürst des Lebens ist. Wie gut, dass
unsere Herrscher auch irgendwann sterben müssen. Und wie gut, dass
der König und Kyrios Jesus Christus den Tod längst überwunden hat,
lebt und regiert und uns immer neu Mut und Lust zum Leben gibt.
Doch, er ist die Alternative, er ist der König aller Könige und der
Herr aller Herren.«
»… der allein Unsterblichkeit hat«. Man sollte Christian Friedrich
Daniel Schubarts großes Gedicht »Die Fürstengruft« lesen, das er zu
Lebzeiten Carl Eugens auf dem Hohenasperg (!) geschrieben hat, um
den Ton der Erleichterung zu hören, der in diesem Wörtlein allein
steckt. Wie gut, dass die Herren dieser Welt sterben müssen.
Da liegen sie, die stolzen Fürstentrümmer,
eh’mals die Götzen ihrer Welt!
Da liegen sie, vom fürchterlichen Schimmer
des blassen Tags erhellt!
An ihren Urnen weinen Marmorgeister;
doch kalte Tränen nur, von Stein,
und lachend grub, vielleicht ein welscher Meister,
sie in dem Marmor ein.
Da liegen Schädel mit verloschenen Blicken,
die ehemals hoch herab gedroht.
Der Menschheit Schrecken! – Denn an ihrem Nicken
hing Leben oder Tod.
Sie liegen nun, den eisern´ Schlaf zu schlafen,
die Menschengeißeln, unbetraurt,
im Felsengrab, verächtlicher als Sklaven,
im Kerker eingemaurt.
Sie, die im ehrnen Busen niemals fühlten
die Schrecken der Religion,
und gottgeschaffne, bessre Menschen hielten
für Vieh, bestimmt zur Frohn;
die das Gewissen, jenen mächtigen Kläger,
der alle Schulden niederschreibt,
durch Trommelschlag, durch welsche Trillerschläger
und Jagdlärm übertäubt;
die Hunde nur und Pferd und fremde Dirnen
mit Gnade lohnten und Genie
und Weisheit darben ließen; denn das Zürnen
der Geister schreckte sie.
Peter Härtling nannte die »Fürstengruft« »das Gedicht seines Lebens«.
Es kann uns eine Ahnung davon geben, was Menschen aller Jahrhunderte
empfunden haben, wenn ihre Peiniger, die sich als unsterbliche
Herrscher verehren ließen, endlich gestorben sind.
Und auf diesem Hintergrund: Wie Christen zu allen Zeiten den
auferstandenen Christus als ihren Herrn und König verehrt haben
mit ihren Osterliedern.
»Dem sei Ehre und ewige Macht!« Was könnte dieses Bekenntnis
im praktischen Lebensvollzug bedeuten?
Wenn ich Gott die Ehre gebe, dann werde ich durchaus auch Menschen
ehrerbietig begegnen; den bedürftigen Menschen, die kein Gepränge
um sich haben, mindestens so sehr, wie denen, die in Amt und
Würden sind und sich durch irgendwelche Hochleistungen ausgezeichnet
haben. Meine Ehrerbietung wird aber immer von einer geradezu
grundsätzlichen Nüchternheit sein. Sie wird vor dem Hochgestellten
jede Unterwürfigkeit vermissen lassen.
Und sie wird beim Bedürftigen frei von aller Herablassung sein. Wir
haben alle über uns den, dem eigentlich unsere Ehrerbietung zusteht.
Ihm zur Ehre will ich leben in allem, was ich tue, rede, schreibe, in
meinem Tun und Lassen. Und mein Gebet, soweit ich im Gebet mein
eigenes Leben bedenke, soll die Bitte sein, dass er es mir erlaubt, seine
Ehre in dieser Welt nicht zu verdunkeln, sondern zum Leuchten zu
bringen.
»… und ewige Macht«. Ein Christ wird grundsätzlich ideologiekritisch
sein. Alle politischen Programme sind kritikbedürftig. Besonders
wo eine Herrschaftsform mit dem Anspruch auftritt, die richtige zu
sein, werde ich ihr gegenübertreten. Ich tue das im Wissen: Es gibt
keine richtige Staatsordnung; jede politische Ordnung hat Bewährungsfrist
und steht unter dem Urteil: »An ihren Früchten sollt ihr sie
erkennen« (Mt 7. 20). Sie hat sich besonders daran messen zu lassen,
was sie für die Geringsten der Brüder und Schwestern Jesu Christi
bringt. Karl Barth hat das – auf den Trümmern des Dritten Reiches –
in seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« 1946 in
wünschenswerter Deutlichkeit aufgezeigt. Das sollte unter Christen
nicht vergessen werden. Geleitet von dieser Ernüchterung sollten
Christen jeder zum politischen System gewordenen Selbstgerechtigkeit
respektlos widerstehen.
Wenn ich an das ewige Reich Jesu Christi glaube und auf dessen
Offenbarung in unserer Welt hoffe, dann werde ich an meinem Platz,
selbstverständlich auch im Beruf, in allen Bereichen kein höheres Bestreben
haben als das, den Willen Jesu Christi zur Tat werden zu lassen.
Das ewige Reich Christi will jetzt beginnen in meiner bußfertigen
Umkehr, in meinem Gehorsam, in meiner Menschenliebe, in
meiner Gelassenheit und in meiner Freiheit.
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